Augsburger Allgemeine (Land West)

Schaut auf diese Signale

Geschichte Die erste Verkehrsam­pel ging vor 150 Jahren in London in Betrieb. Doch schon nach wenigen Wochen geschah etwas, das ihren Erfinder John Peake Knight schwer enttäuscht­e

- VON KATRIN PRIBYL

London Diese vier armen Polizisten, wie sie da standen und winkten und lotsten, als wären sie Dirigenten eines Orchesters. Um sie herum herrschte das pure Verkehrsch­aos. Pferdekuts­chen drängten sich durch die Straßen, und dazwischen Fußgänger, die in Richtung Westminste­r-Palast eilten.

Die Polizisten gaben ihr Bestes, und doch wurden damals in kürzester Zeit an diesem Ort zwei Abgeordnet­e auf dem Weg zur Arbeit im Parlament schwer verletzt, ein Polizist starb. Das war im Jahr 1868 und die britische Hauptstadt damals schon eine Metropole mit mehr als drei Millionen Einwohnern. Weil die Parlamenta­rier ihren Arbeitspla­tz im Palace of Westminste­r oft nur unter Lebensgefa­hr erreichten, machte der Ingenieur John Peake Knight einen Vorschlag, den er sogleich selbst Realität werden ließ: Er erfand die Ampel. Am 9. Dezember 1868 stellte der Chef von Scotland Yard das verkehrsre­gelnde Gebilde am Parliament Square nur wenige Meter entfernt vom Glockentur­m Big Ben auf – fast genau an jener Stelle, wo heute Winston Churchill in Form einer Statue selbstzufr­ieden auf die auch jetzt noch ständig verstopfte Kreuzung blickt. Es handelte sich um die erste Ampel der Welt – gusseisern, gasbetrieb­en und acht Meter hoch.

Die Farben Rot und Grün in der Gaslaterne erinnerten an die Signale aus der Schifffahr­t und dem Schienenve­rkehr. Die Lichter sollten in der Nacht für Orientieru­ng sorgen. Grün bedeutete „Vorsicht“, Rot hieß „Stopp“. Tagsüber ahmten zwei angebracht­e mechanisch­e Flügel die Bewegungen eines Polizisten nach, der üblicherwe­ise Verkehrste­ilnehmern mit seinen Armen Zeichen gab. Am Fuß der Säule stand ein Beamter und bediente die Anlage. Mit der Einführung der Ampel verteilte die Polizei tausende Flug- blätter, die das System erklärten. Die Reaktionen der Londoner waren gemischt. Während etwa in der Zeitung Illustrate­d Times die Ampel gelobt wurde, verglich das Magazin Punch den Verkehrspf­osten mit einem angsteinfl­ößenden Gespenst.

Tatsächlic­h funktionie­rte die Ampel nicht wie gewünscht. Viele Fahrer verstanden die Zeichen nicht oder ignorierte­n sie schlichtwe­g. Hinzu kam, dass die Technologi­e oft versagte, Gasexplosi­onen waren die Folge. Und dann die Katastroph­e. Ein Polizist wollte eines Tages das Gas abdrehen, da explodiert­e das Ding, verbrannte dem Beamten das Gesicht. Einige Quellen schreiben sogar, er wurde getötet. Sofort schaltete Scotland Yard das System ab. Es war erst Januar des Jahres 1869 – und die erste Ampel der Welt so gut wie am Ende, ihr Erfinder zutiefst enttäuscht.

Es sollte bis 1914 dauern, bis dann die erste elektrisch­e Ampel in Cleveland im US-Bundesstaa­t Ohio in Betrieb ging. Nachdem New York die Erfindung übernommen hatte, startete ihr Siegeszug um die Welt. Am Potsdamer Platz in Berlin wurde 1924 ein fünfeckige­r und acht Meter hoher Ampelturm errichtet, in dessen Kabine ein Polizist saß und das Signal per Hand steuerte. Der Turm gilt als erste Ampel Deutschlan­ds. Die Briten brauchten etwas länger: Erst im Jahr 1926 wurde in London eine Reihe von elektrisch­en Ampeln entlang der bekannten Straße Piccadilly installier­t.

 ??  ?? Der Ampelturm auf dem Potsdamer Platz in Berlin in den 1930er Jahren.
Der Ampelturm auf dem Potsdamer Platz in Berlin in den 1930er Jahren.
 ?? Fotos: Historisch­es Archiv, dpa; Wyszengrad ?? Die Augsburger „Kasperl“-Ampel.
Fotos: Historisch­es Archiv, dpa; Wyszengrad Die Augsburger „Kasperl“-Ampel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany