Augsburger Allgemeine (Land West)
Stadträte verspielen das Vertrauen der Wähler
Die Personalrochaden erreichen ein Ausmaß, das in dieser Form nicht mehr akzeptabel ist. Jedes sechste Stadtratsmitglied hat in nur viereinhalb Jahren Amtszeit die politischen Farben gewechselt
Die Politik ist ein schnelllebiges Geschäft. Es beginnt bei den vielen Themen und setzt sich bei handelnden Personen fort. Es ist kein Wunder, wenn Bürger da schnell den Überblick verlieren. Was sich in der laufenden Periode des Augsburger Stadtrats abspielt, ist dennoch ein absolutes Unding.
In dieser Betrachtung bleiben inhaltliche Punkte außen vor – auch wenn es zur Verschuldung der Stadt sowie den großen Bauprojekten wie Theater und Schulen einiges zu sagen gäbe. Dennoch geht es hier ausschließlich um handelnde Personen – also die Stadträte.
Ein Teil des Gremiums hat viel Kredit beim Bürger verspielt. Man könnte es sogar krasser formulieren: Wähler können oder müssen sich getäuscht fühlen. Festzumachen ist dies an den fortwährenden Wechselspielen. Mit 60 Personen, die sich bei der Kommunalwahl im März 2014 zur Wahl stellten, ist das Gremium besetzt. Ein Sechstel davon gehört nach viereinhalb Jahren Amtszeit nicht mehr jener Partei oder Gruppierung an, für die man ins Rennen ging. Zehn von 60 Stadträten vertreten nun andere politische Anschauungen und Inhalte. Es sind Peter Grab (vorher Pro Augsburg, jetzt WSA), Thomas Lis (AfD, Pro Augsburg), Marc Zander (AfD, CSU), Rolf Rieblinger (CSM, CSU), Dimitrios Tsantilas (CSM, CSU), Claudia Eberle (CSM, Pro Augsburg), Markus Arnold (FDP, CSU), Alexander Süßmair (Die Linke, parteilos), Thorsten Kunze (AfD, CSU) – und seit dieser Woche Grünen-Stadtrat Christian Moravcik, der zur SPD gewechselt ist.
Der 35-Jährige hat aus seiner Sicht gute Gründe benannt, warum er sich im Kreis der GrünenFraktionskollegen nicht mehr gut aufgehoben sah. Dass die SPD den abtrünnigen Grünen-Stadtrat mit offenen Armen aufgenommen hat, ist aus Sicht der Sozialdemokraten nachvollziehbar. Der junge Stadtrat genießt einen guten Ruf, er wird die SPD-Fraktion beleben und stärken, keine Frage. Es ist übrigens kein Geheimnis, dass auch andere im Stadtrat vertretene Parteien und Gruppierungen ihre Fühler nach Moravcik ausgestreckt haben. Das alles spricht für die AnerMoravcik kennung, die sich Moravcik wegen seiner politischen Arbeit für die Grünen erworben hat. Nun hat Moravcik die Grünen verlassen. Die Fraktion agiert künftig mit einer Person weniger. Schwamm drüber, das politische Leben geht weiter? Eben nicht! Tatsache ist, dass Moravcik das Stadtratsmandat für die Grünen gewonnen hat. Gemeinsam mit damaligen Mitstreitern ist er in den Wahlkampf gezogen, er stand für grüne Positionen. Dies tut er jetzt nicht mehr. Wäre es insofern nicht konsequent, auf das Mandat zu verzichten und einem Nachrücker auf der Liste die Möglichkeit einzuräumen, genau diejenigen Inhalte zu vertreten, die auch die Wähler, die ihr Kreuz bei Grün machten, einfordern? Es wäre jedenfalls die bessere Form, mit einem Parteiaustritt umzugehen. Theoretisch hätte Moravcik jetzt SPD-Mitglied werden können, um dann im Wahljahr 2020 auf der Stadtratsliste zu kandidieren.
und die anderen neun Stadträte, die in der Periode gewechselt haben, führen dagegen an, dass es keineswegs allein das Parteibuch gewesen ist, warum sie in den Stadtrat einzogen. Das Votum für sie sei auch als Persönlichkeitswahl zu verstehen. Die erzielten Stimmen würden dokumentieren, dass Wähler den einzelnen Kandidaten wertschätzen.
Das Wahlgesetz lässt zu, dass der Abschied von einer Partei nicht automatisch den Rückzug aus dem Gremium bedeuten muss. Im Bundestag und Landtag gelten ähnliche Regeln. Es bleibt im Fall des Augsburger Stadtrats jedoch die Vielzahl der Wechsel, die in der Wahrnehmung der Bürger ankommt. Die Christlich-Soziale Mitte (CSM) und die FDP, die nach der Kommunalwahl in den Stadtrat eingezogen waren, sind nicht mehr präsent. Stattdessen gibt es die Gruppierung WSA (Wir sind Augsburg) neu im Stadtrat, die im Wahljahr 2014 noch gar nicht existent war. Ein weiterer Aspekt: Elf Parteien und Gruppierungen schafften 2014 den Einzug in den Stadtrat. Bei acht davon hat sich die Zahl der Stadträte geändert. Ausgerechnet in der kleinen Ausschussgemeinschaft ist die größte Kontinuität zu erkennen: Bei zwei Freien Wählern, Christian Pettinger (ÖDP) und Oliver Nowak (Polit-WG) gab es seit Amtsanritt im Mai 2014 keine Änderung. Fast alle Stadträte, die in der laufenden Periode gewechselt sind, führen Entwicklungen auf kommunaler Ebene an, warum sie eine neue politische Heimat anstrebten. Es gibt nur einen Fall mit bundespolitischer Dimension: Drei Stadträte verließen die AfD, weil sie sich mit dem Rechtsruck der Partei inhaltlich nicht identifizieren wollten. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Haltung für einen Teil der AfD-Wähler bei der Kommunalwahl 2014 ebenfalls gelten muss. Insofern ist hier im Vergleich mit anderen Übertritten ein großer Unterschied zu erkennen. Geblieben in der AfD ist allein Markus Bayerbach, der zudem im Oktober 2018 in den Landtag einzog. Dass Bayerbach nicht aus freien Stücken auf sein Stadtratsmandat verzichtet, hat wiederum eine ganz besondere Bewandtnis: Die Nachrückerin ist gar nicht mehr AfD-Mitglied. Würde Bayerbach ausscheiden, flöge die AfD aus dem Stadtrat und eine Parteilose käme hinein. Es ist das beste Argument für Bayerbach, um das Doppelmandat auszuüben.
Warum wird das Mandat nicht zurückgegeben?