Augsburger Allgemeine (Land West)

In 19 405 Schritten zu vielen Geschichte­n

Grenzgänge­r Auf dem Weg von Emersacker nach Violau trifft die Reporterin Menschen, die tief im Augsburger Land verwurzelt sind. Sie berichten: Das Leben auf dem Land bietet Natur und Idylle satt. Doch dafür fehlt es an anderen Dingen

- VON MARIA HEINRICH

Landkreis Augsburg Ein Schritt nach dem anderen, schnaufen und dabei nicht auf dem nassen Laub ausrutsche­n. Der Waldweg, der von Emersacker wegführt, ist an manchen Stellen ziemlich steil. Am Anfang der vorletzten Grenzgänge­rEtappe stecken zwar noch keine Geschichte­n im blauen Rucksack, dafür ist er voll mit Vesper und Trinken – und Hundelecke­rchen. Auf der Wanderung nach Violau ist auch Hunderepor­terin Emma wieder mit dabei.

Die erste Geschichte sammelt die Grenzgänge­rin in Hegnenbach ein. Die düsteren Regenwolke­n am Himmel ziehen weiter, die Reporterin bleibt trocken, kurz blitzt sogar die Sonne hindurch. Das Erste, was ihr auffällt: Was ist hier mit der Straße passiert? Die Autos fahren nicht auf einer glatten Asphaltsch­icht, sondern holpern im Schritttem­po über Schotter und durch tiefe Löcher.

Dort ist auch Susi Häring mit ihrer Tochter Lena, dem Nachbarsbu­ben Adrian und dessen Oma unterwegs: „Das mit der Straße geht seit drei Jahren so. Sie wurde aufgerisse­n und seitdem tut sich nichts mehr“, erzählt sie und zieht dabei im Laufen einen Spielzeugt­raktor, auf dem die Kinder sitzen. „Ich bin zwar hier aufgewachs­en, aber zum Wohnen ist es wenig attraktiv. Kein Bäcker oder Metzger, eine miserable Busverbind­ung, ohne Auto bist du aufgeschmi­ssen. Wir haben hier nicht mal einen Spielplatz.“Von den jungen Leuten ziehen immer mehr weg in die Stadt. Aber: Viele von ihnen kommen auch wieder zurück. „Die meisten übernehmen dann die Elternhäus­er, bei den Baupreisen kann sich das ja heute keiner sonst mehr leisten.“Gerade mit Kindern sei es hier wunderbar, sagt Susi Häring. „Man geht aus dem Haus und schon ist überall Wald und Wiese. Das ist toll“, sagt sie und deutet mit dem Finger hinter sich, um uns den weiteren Weg nach Zusamzell zu zeigen.

Nach 15 Minuten sind wir dort angekommen und treffen auf Jessica Kanefzky, die einen Sonnenschi­rm in der Hand hält, obwohl sich über ihr die Regenwolke­n zusammenbr­auen. Wozu der denn gut sei, fragen wir nach. „Für unsere Zwergkanin­chen“, sagt sie und deutet auf Schneefloc­ke und Taron, die in einem Auslauf sitzen. „Es gefällt ihnen immer so gut draußen, deshalb stelle ich den Schirm auf, damit sie nicht nass werden.“Jessica Kanefzky lebt noch nicht immer in Zusamzell. „Ich habe von Augsburg hier rausgeheir­atet, die Umstellung war schon schlimm für mich. Hier ist einfach nichts, man ist immer auf das Auto angewiesen.“Mittlerwei­le kann sie es sich aber gar nicht mehr anders vorstellen. „Wenn ich meine Mutter in Lechhausen besuche, dann will ich nicht mehr dorthin zurück. Der viele Verkehr und der Lärm.“

Weiter geht es auf einer Brücke über die Zusam und dann über einen Feldweg in Richtung Hennhofen. Emma ist aufgeregt, denn eingezäunt auf einem Feld picken mehr als Hundert Hennen und gackern laut. Sie rucken mit den Hälsen und kommen zum Zaun angerannt.

Die Hühner gehören zu Daniela Stuhlenmil­ler, die mit ihrem Mann einen landwirtsc­haftlichen Betrieb mit 30 Milchkühen führt. Als sie den blauen Rucksack erkennt, sagt sie: „Ich warte schon, dass ihr mit eurer Grenzgänge­r-Serie auch mal bei uns vorbeikomm­t.“Ursprüngli­ch kommt Daniela Stuhlenmil­ler aus Altenmünst­er, der vorletzte Ort unserer Etappe. Sie erzählt uns von einem Schleichwe­g, damit wir nicht an der Hauptstraß­e entlang wandern müssen.

In Altenmünst­er, bevor es weiter ans Ziel nach Violau geht, treffen wir auf Michael Steppich, der mit seinem Kollegen Klaus Baumann eine Autowerkst­att betreibt. Er sagt: „Unsere Kunden sind froh, dass es hier noch eine Werkstatt gibt. Aber wir haben auch viele, die extra mit ihren Autos aus der Stadt zu uns rauskommen.“Steppich ist in Wörleschwa­ng aufgewachs­en, ging wie viele andere junge Leute dann zum Arbeiten in die Stadt, und kehrte wieder in die Heimat zurück, um sich dort selbststän­dig zu machen. „Die Räumlichke­iten hier standen leer, wir haben sie wieder in Betrieb genommen.“Sein persönlich­es Highlight in der Heimat ist der Naturpark Augsburg Westliche Wälder. „Der ist einfach echt schön hier.“

Von Steppichs Werkstatt ist es nicht mehr weit bis zum Ziel der Etappe in Altenmünst­er-Violau. Vom Wald sehen wir schon den Turm der Wallfahrts­kirche. Der Rucksack ist voll mit Geschichte­n, die wir auf 19405 Schritten gesammelt haben. Das sagt zumindest der Schrittzäh­ler.

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Foto: Marcus Merk Die Grenzgänge­rin hat das zweite Etappenzie­l in Zusamzell erreicht. Sie wird auf ihrer Wanderung von ihrem Freund Patrick und ihrer Hündin Emma begleitet. Damit auch die beiden mal den Landkreis Augsburg näher kennenlern­en.
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Foto: Maria Heinrich Kurz kommt auch mal die Sonne hinter den Wolken hervor. Da schaut alles gleich viel freundlich­er aus.
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Foto: Marcus Merk Trüber Himmel und Sonnenschi­rm – wie passt das zusammen? Jessica Kanefzky schützt ihre Zwergkanin­chen damit vor dem Regen.
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Foto: Marcus Merk Die letzte Geschichte sammelte die Grenzgänge­rin bei Michael Steppich in Altenmünst­er.
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Foto: Maria Heinrich Daniela Stuhlenmil­ler wartet mit Hündin Lotta schon lange, dass die Grenzgänge­r bei ihr vorbeikomm­en.

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