Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Kampf um die Macht
Staatstheater Mit dieser Premiere kommt das Ensemble auf dem Uni-Campus an. An diesem Abend beginnt die Luft im Hörsaal langsam zu brennen.
Alles scheint völlig klar. Professor John muss als Opfer herhalten, er muss als Vertreter männlicher Macht gestürzt werden. Die Anklage: raffiniert. Vorgeworfen werden ihm von seiner Studentin Carol ein willkürliches Hinwegsetzen über die Universitätsregeln („Ich kann Ihnen eine 1 geben, wenn Sie öfters zu mir privat kommen“), vor allem aber Sexismus, Pornografie und sexuelle Belästigung. Und John kann das nicht fassen. Das Publikum hat es ja selbst gesehen. Carol verstand den Stoff nicht, John wollte ihr jenseits des Unterrichts helfen. Er erzählte von seinen Schwächen, um ihr zu zeigen, dass sie sich nicht unähnlich sind. Sie erfährt, dass er zwar als Professor auf Lebenszeit berufen ist, der Vertrag aber noch nicht unterschrieben ist. Er macht ihr das Angebot, alles anders und jenseits der Vorschriften zu regeln. Sie lehnt das ab; er legt ihr die Hände auf die Schultern; sie weißt die Geste vehement zurück. Alles harmlos, möchte man nach dem ersten Akt von David Mamets Zwei-Personen-Stück „Oleanna“meinen. Mitnichten.
Kurz vor der ersten Premiere in der neuen Brechtbühne auf dem Gaswerk-Areal verwandelt das Staatstheater Augsburg den Hörsaal 2 der Universität Augsburg in eine Bühne. Gespielt wird dieses mittlerweile schon 17 Jahre alte Stück, das sich wie ein künstlerischer Beitrag zur #MeToo-Debatte liest. Wobei all das, was bei dem US-Filmproduzenten Harvey Weinstein und den Schauspielerinnen, die seine Opfer wurden, so deutlich ist, hier vollkommen verschwimmt.
Mamet geht es nicht um Eindeutigkeit, auch nicht um die Frage, wer recht hat. Am Schluss, nach dem dritten Akt, hat John all das an physischer Gewalt nachgeholt, was ihm anfangs von Carol vorgeworfen wurde. Irgendetwas muss an den Anschuldigungen also dran sein. Im Sinn hat Mamet Grundsätzlicheres.
Er richtet den Blick auf die Kommunikation in Machtzusammenhängen. Ein normales Gespräch, eine Abfolge von Reden und Zuhören, so etwas wie Einsicht und Verstehen scheinen unmöglich. Anfangs unterbrechen sich beide ständig. Das ganze Stück über widersprechen sie sich. Irgendwann muss John schmerzhaft erkennen, wie einfach Reden und Unterrichten für ihn war, als er die Macht innehatte. Ein Moment der Einsicht, auf den aber nichts mehr folgen kann, weil John da nichts mehr zu sagen hat, er den Diskurs an dieser Stelle nicht mehr ändern kann. Carol diktiert da die Regeln des Sprechens, als sie sich endgültig in eine Kämpferin für ihre Gruppe verwandelt hat. Sie verfügt jetzt über Macht - und genießt es sichtlich.
Die Eskalation im Stück setzt Regisseur Axel Sichrovsky ins Bild. Die Schauspieler Andrej Kaminsky und Katja Sieder sprechen über Mikrofone, sie müssen nicht schreien, den ganzen ersten Akt über bis zur Pause ist das gesittet. Er trägt dezente Professoren-Beige, sie hat sich mit einem Wollmantel gepanzert. „War da was?“, kann man sich zur Pause fragen. Nach der Pause kommen einem die Darsteller sehr viel näher - als übergroße Videoprojektion in einer Verhörsituation. Im dritten Akt streifen sie die Kleider ab, tragen sie beide dasselbe schwarze Kostüm, geht es endgültig um Archetypisches und um das, was beide verbindet: nämlich die Macht. Dazu wird auch der Text an manchen Stellen verlassen. Beide versuchen, das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Es gibt Schlenker zum Theater selbst („Warum musst Du Dich jetzt ausziehen? Warum muss in jedem Stück ein Pimmel zu sehen sein?“). Kaminsky fordert das Publikum nackt dazu auf, mit ihm das alte Studentenlied „Die Gedanken sind frei“zu singen.
Anfangs stürzen sich die beiden Schauspieler förmlich in ihre Rollen, lange scheint Kaminskys Professor Herr der Lage zu sein mit diesem kontrollierten Ton, verständnisvoll, aber immer auch ein bisschen gönnerhaft. Sieders Carol dagegen wirkt verunsichert und unnahbar, eine Studentin, die ihr Ich auf arktische Temperaturen herunterkühlen kann. Später brechen diese Charaktere auf, verlassen die Schauspieler die klaren Rollengrenzen, wird es furios. Sieder verwandelt sich wie ein Chamäleon. Zwischen dem hohen Ton weiblicher Verführungskunst und der breitbeinigen Cowboy-Attitüde liegen nur zwei Striche übers Gesicht, nach denen Sieder einen Bart trägt. Und Kaminsky: Wehrt sich mit allem! Umgarnt das Publikum, zieht sich aus und hat trotzdem keine Chance mehr als Professor. Ein Stück und eine Inszenierung, die Diskussionen förmlich heraufbeschwören. War da was? Wer hat recht? Alles überzogen! Oder: Nein, so ist es! Und dann gibt es da ja noch diese Ebene dahinter, das Spiel um die Macht. Sehenswert, das auf jeden Fall ist eindeutig.