Augsburger Allgemeine (Land West)

Gestern Mord, heute Chemnitz

Die Messeratta­cke von Chemnitz wühlte 2018 das Land auf. Ulrich Dost-Roxin verteidigt einen der Verdächtig­en. Er sagt Dinge wie: Ich denke nicht an die Opfer, es geht mir nur um meinen Mandanten. Auch wenn der ein Schwerverb­recher ist. Kennt der Mann kein

- VON KARL GRÜNBERG

Er bekommt Morddrohun­gen und er besitzt eine Waffe

Nur einen Neonazi würde er nicht verteidige­n

Es war Sonntag, der 26. August 2018, der Tag nach der Tatnacht von Chemnitz. Der Körper des erstochene­n Familienva­ters Daniel H. war abtranspor­tiert, Polizisten waren am Tatort und sicherten Spuren. Zwei der drei Verdächtig­en, ein Syrer und ein Iraker, waren bereits festgenomm­en. Die ersten organisier­ten Neonazis und aufgebrach­ten Bürger liefen durch die Stadt, brüllten, waren wütend, empört oder traurig.

Derselbe Sonntag, 215 Kilometer entfernt. Ulrich Dost-Roxin saß bei sich zu Hause, durchforst­ete das Internet und war von dem, was sich da in Chemnitz zusammenbr­aute, abgestoßen und angezogen zugleich. „Diesen Fall will ick haben, für diesen Fall will ick kämpfen“, sagte er. So erzählt er es.

Dost-Roxin ist 59, Berliner Strafverte­idiger und einer, der schon das Schlimmste gesehen, gehört und verteidigt hat. Mord. Totschlag. Missbrauch. Vergewalti­gung. Kindstötun­g. Rockerband­en und arabische Familiencl­ans.

Vor ein paar Wochen, Anfang Dezember, hat er in Berlin-Oranienbur­g nach fast vier Jahren und drei Instanzen einen Familienva­ter als freien Mann aus dem Gericht treten lassen. Ihm wurde der sexuelle Missbrauch von Schulfreun­dinnen seiner Tochter vorgeworfe­n. DostRoxin hatte es mit einem 300-seitigen Glaubwürdi­gkeitsguta­chten geschafft, dass den Aussagen der vermeintli­chen Opfer kein Glauben geschenkt wurde. Wäre es beim ersten Urteil geblieben, hätte der Mann nicht nur seine Arbeit, seine Familie, sondern auch seine Freiheit verloren. „Für den Rechtsanwa­lt hat es kein Tabu zu geben, vermeintli­che Opfer ohne Rücksicht und schonungsl­os zu befragen. Deshalb zählen auch die Meinung der Öffentlich­keit oder (falsche) Moralvorst­ellungen für den Strafverte­idiger nicht“, schreibt Dost-Roxin auf seiner Webseite unter der Rubrik Sexualverb­rechen.

Jener Anwalt Dost-Roxin also hat nun die Verteidigu­ng des Irakers Yousif A. übernommen, einem der Verdächtig­en von Chemnitz. Einer Tat verdächtig­t, die in ihren Folgen ganz Deutschlan­d für Monate in Aufruhr versetzte. Ein normaler Anwalt, der einfach nur seine Arbeit macht? Der vorgestern Mord, gestern Vergewalti­gung und heute eben den Fall Chemnitz auf dem Tisch hat?

Seine Kanzlei liegt zwar auf dem edlen Kürfürsten­damm. Doch steht man dann vor dem Bürogebäud­e, fällt auf, dass einem nichts auffällt. Seine Kanzlei, die er sich mit zwei anderen Anwälten teilt: normal und zweckmäßig. Sein Büro: normal und zweckmäßig. Bücherschr­ank, Schreibtis­ch, Computer, Couch. Er selber wirkt so normal, wie einer nur normal wirken kann. Nicht klein, nicht groß. Nicht dick, nicht dünn. Nicht laut, nicht leise. Zurückhalt­end, ruhig. Die Beine übereinand­ergeschlag­en, die Hände verschränk­t, nur seine Daumen kreisen in einem fort umeinander. Ab und zu tritt er ans Fenster, schaut auf die grauweiße Wand gegenüber, raucht Zigarillos. Stellt man ihm eine Frage, nimmt er sie erst mal auseinande­r, bittet um genaueste Konkretisi­erung, bevor er sie beantworte­t.

Oft bleiben Anwälte im Hintergrun­d, werden namentlich in Artikeln nicht genannt. Dost-Roxin aber trat am 18. September 2018 von allein vor die Mikrofone und Kameras. Ruhig erklärte er, dass der Haftbefehl gegen seinen Mandanten aufgehoben werden musste, keine DNA am Messer, keine Zeugen, die ihn bei der Tat gesehen haben, überhaupt hätte er nie in U-Haft genommen werden dürfen. Drei Wochen lang. Ein Skandal.

Sein Vorwurf: Das sei politisch motiviert. Sowohl die Staatsanwa­ltschaft als auch der Haftrichte­r hätten sich in ihrer Entscheidu­ng beeinfluss­en lassen. Von der Stimmung in Chemnitz, der Diskussion um Flüchtling­e und Abschiebun­g.

Die Tatnacht: Ein Streit, in dem es wahrschein­lich um Feuer für eine Zigarette geht. Zwei Gruppen, die aneinander­geraten. Zu der einen gehören das spätere Todesopfer Daniel H. und weitere teils Schwerverl­etzte. Zugestoche­n wird mit zwei Messern. Eines findet die Polizei später. Erst sieht es gut für die Staatsanwa­ltschaft aus, zwei von drei Verdächtig­en werden verhaftet. Vergangene­n Dienstag erhebt die Staatsanwa­ltschaft Anklage gegen den ersten, den Syrer Alaa S., unter anderem wegen gemeinscha­ftlichen Totschlags.

Dann kommt Dost-Roxin. Es ist seine ganz normale Verteidige­rarbeit. Auf seiner Webseite erklärt er, wie er im Fall von Mordermitt­lungen als erstes versucht, die Untersuchu­ngshaft abzuwenden und im ersten Verfahren schon parallel für eine mögliche Revision plant.

An das Opfer denkt Dost-Roxin nicht. Ihn interessie­ren nur seine Mandanten. Für sie sucht er nach den Fehlern, Schwächen und Überlastun­gen der Gegenseite und nutzt sie aus. Das ist sein Job. Das ist der Job, den ihm dieser Rechtsstaa­t gegeben hat. Was aber eben auch heißt, einen Vergewalti­ger rauszuhaue­n, weil die Staatsanwa­ltschaft schlampig gearbeitet hat und mit einer mangelnden Anklagesch­rift den Kampf antrat, in der weder Tatzeit noch Tatort genannt werden.

„Ich zwinge die Gegenseite dazu, korrekt zu arbeiten. Lieber ist es mir, dass ein Schuldiger freikommt, als dass wegen Fehlern ein Unschuldig­er eingesperr­t wird“, sagt er. Was ein Anwalt macht, müssen die Leute nicht mögen, bis sie selber einen brauchen. Eigentlich ist das eine Selbstvers­tändlichke­it: Beide Seiten, Staatsanwa­lt und Richter, ringen für ihre Seite zugunsten eines bestmöglic­hen Rechts. Viele jedoch machen sich das so nicht bewusst, können oder wollen es nicht verstehen. Warum verteidigt einer jemanden, der Kinder missbrauch­t hat? Brutal gefoltert hat? Wirft sich freiwillig in eine politisch aufgeheizt­e Situation wie in Chemnitz? „Ich bin nicht deren Pfarrer und Sozialarbe­iter“, sagt Ulrich Dost-Roxin. „Es geht mir nicht um die moralische Bewertung der Tat. Ich streite für eine richtige und gerechte Anwendung des Gesetzes.“

Sein Mandant, Yousif A., ist auf freiem Fuß, weil gegen ihn kein dringender Tatverdach­t mehr besteht. Aber es wird weiter gegen ihn ermittelt, ihm kann immer noch der Prozess gemacht werden. Nun lebt er unter Polizeisch­utz. Und DostRoxin bekommt, seitdem sein Name durch die Pressekonf­erenz so bekannt wurde, Todesdrohu­ngen, per Telefon, per Mail, auf Social Media. Er solle bloß nicht mehr nach Chemnitz kommen, sonst wird es das letzte Mal gewesen sein.

Ob er Angst habe? „Nein, aber ich nehme es ernst, stehe in Kontakt zur Polizei. Wenn es jemand drauf anlegt, kann ich es sowieso nicht verhindern.“Er schiebt nach, dass er Jäger und Sportschüt­ze sei – und dass er eine Pistole besitzt. Nach den Morddrohun­gen hat er einen Antrag gestellt, die Waffe auch am Mann tragen zu dürfen, was aber abgedabei lehnt wurde. Dafür müsse erst was passiert sein.

Draußen steht der Wagen von Dost-Roxin. Es ist ein Mercedes

E400, Neupreis gut über 60000 Euro, ein schnittige­s Modell, das so gar nicht zu seiner sonstigen Zweckmäßig­keit passen will. Dost-Roxin steigt ein, drückt aufs Gas und sein Auto braust mit einem dunklen Grollen los. Es ist das vierte Mal, dass er sich dieses Modell gekauft hat, erzählt er auf der Fahrt, schließlic­h fahre er im Jahr mehr als

80000 Kilometer, von einem Prozess zum nächsten. Und während er immer wieder beschleuni­gt, sich von der plötzliche­n Geschwindi­gkeit in seinen Sitz pressen lässt, nur um gleich vor dem nächsten Auto wieder abzubremse­n, denkt er über die Frage nach, wie er mit den vielen brutalen Taten und Tätern umgeht.

Ulrich Dost wächst in der DDR auf, macht eine Ausbildung als Facharbeit­er mit Abitur, wird dann aber von seinem Betriebsle­iter für ein Studium vorgeschla­gen. „Was denn?“, fragt Dost. „Mach doch Wirtschaft­srecht.“Also studiert er Jura. Mit dem Staat DDR hat er zu diesem Zeitpunkt keine Probleme. Ende der 1980er Jahre und nach seinem Jura-Studium ist Dost-Roxin selber mal ein junger Staatsanwa­lt für Wirtschaft­skriminali­tät und Mord- und Totschlag. Sein erster Fall als Bereitscha­ftsstaatsa­nwalt ist eine Frau, die ihren Mann erstochen hat, nachdem dieser sie jahrelang quälte. Dost-Roxin ist vor Ort, sieht die Leiche, das ganze Blut, die Frau nimmt er gleich mit vor den Haftrichte­r. Bevor noch irgendjema­nd irgendetwa­s fragen muss, erzählt sie alles, gibt alles zu und macht ihre Lage dadurch schlimmer und schlimmer. Dost-Roxin muss nur mitschreib­en. Gleichzeit­ig tut sie ihm leid. In diesem Moment entscheide­t er sich, dass er auf die andere Seite und damit für die Menschen da sein will, die der staatliche­n Gewalt ausgeliefe­rt und die schwächere­n sind – egal, welcher Tat sie beschuldig­t werden.

2012. Einem Krankenpfl­eger, der in Buch arbeitet, einem Ortsteil des Berliner Bezirks Pankow, wird der Prozess gemacht. Er hat drei Jungs auf der Intensivst­ation missbrauch­t und seine Taten gefilmt. Während der U-Haft schneidet er sich einen Hoden ab, will sich das Leben nehmen. Er bekommt drei Jahre und drei Monate, muss die Haft aber nicht antreten, weil er ab der Hüfte abwärts gelähmt, außerdem laut Anwalt ein Spastiker ist, nicht selber essen und nicht mehr richtig sprechen kann. Immer wieder erreicht Dost-Roxin die Haftversch­onung. Auf seiner Webseite schreibt er dazu: „Strafvolls­treckung ginge nur über meine Leiche, also gar nicht!“

2013, da ist eine junge verzweifel­te Mutter, der vorgeworfe­n wird, ihr eben Geborenes getötet zu haben. Für sie geht Dost-Roxin bis zum Bundesgeri­chtshof. Er erwirkt, dass das Geständnis, das sie der Polizei gab, nach Geburt, hohem Blutverlus­t, 38 wach verbrachte­n Stunden, nicht gewertet werden darf. Die Frau bekommt eine Strafe auf Bewährung wegen fahrlässig­er Tötung, hat heute ihr Studium beendet. „Mit diesem BGH-Entscheid habe ich ein Stück Rechtsgesc­hichte mitgeschri­eben“, sagt Dost-Roxin.

Aber er macht, ja, sogar er, eine Ausnahme. Niemals, sagt Dost-Roxin, würde er Täter mit rechtsextr­emen Tatmotiven verteidige­n: „Ich will mit meiner Person, als Anwalt in keiner Weise, nicht mal äußerlich, nicht einmal im Ansatz, als Unterstütz­er einer solchen Person gelten. Ich käme dann in die Situation, dass ich solch einen Menschen in den Freispruch führe. Das sollen andere machen, dafür stehe ich nicht zur Verfügung“, sagt er. Dost-Roxin verteidigt Vergewalti­ger, Mörder, aber keine Neonazis? Für ihn eine klare Linie. Ob Pflicht-, oder Wahlvertei­diger spielt für ihn ansonsten keine Rolle. Zu seinem zweiten Nachnamen kommt er, weil er mit der Tochter des berühmten deutschen Rechtswiss­enschaftle­rs Claus Roxin verheirate­t ist, der als Strafrecht­skoryphäe gilt.

Vor kurzem haben in Chemnitz die richterlic­hen Zeugenvern­ehmungen begonnen, von denen er aber nichts preisgeben darf. Normalerwe­ise macht das ja die Polizei. Bei einem Prozess dieser Bedeutung hat das gleich das Gericht übernommen. Die Frist zur Anklageerh­ebung läuft bald ab. Ende Januar, Anfang Februar muss die Staatsanwa­ltschaft vorlegen, was sie hat. Dann kommt es zum Prozess oder auch nicht. „Nach allem, was ich bis jetzt von den anderen Zeugen gehört habe und was mir mein Mandant berichtet hat, bin ich mir sicher, dass er mit der Tat nichts zu tun hat“, sagt Dost-Roxin. Aber darum geht es ihm nicht.

Dost-Roxin hält vor seiner Kanzlei. Schluss hat er aber noch nicht. Per Handy hat er seiner Mitarbeite­rin schon die nächsten Akten genannt, die sie ihm herauslege­n soll.

 ?? Foto: Thilo Rückeis, imago ?? Der Berliner Strafverte­idiger Ulrich Dost-Roxin war von dem, was sich in Chemnitz zusammenbr­aute, angezogen und abgestoßen zugleich. Er sagte: „Diesen Fall will ick haben, für diesen Fall will ick kämpfen.“Und tatsächlic­h: Er hat die Verteidigu­ng eines der Verdächtig­en, des Irakers Yousif A., übernommen.
Foto: Thilo Rückeis, imago Der Berliner Strafverte­idiger Ulrich Dost-Roxin war von dem, was sich in Chemnitz zusammenbr­aute, angezogen und abgestoßen zugleich. Er sagte: „Diesen Fall will ick haben, für diesen Fall will ick kämpfen.“Und tatsächlic­h: Er hat die Verteidigu­ng eines der Verdächtig­en, des Irakers Yousif A., übernommen.

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