Augsburger Allgemeine (Land West)

Kampf ums Rezept

Warum es so schwer ist, legal Cannabis zu bekommen

- VON ANDREAS SCHOPF

Augsburg Es war eine groß angelegte Razzia. Mitte April statteten fast 200 Polizisten Betreibern von Hanfläden einen Besuch ab. Wenzel Cerveny – Gründer einer Kette, die seit Herbst 2018 auch in Augsburg vertreten ist – führt drei solcher Läden im Großraum München. Auch er bekam es mit der Polizei zu tun. Die Ermittler haben bei ihm Waren im Wert von 300000 Euro beschlagna­hmt, berichtet er, darunter Hanfcremes, -tees oder -öle. Die Staatsanwa­ltschaft begründet den Einsatz damit, dass die Produkte zu Rauschzwec­ken missbrauch­t werden könnten.

Die neuerliche­n Razzien verdeutlic­hen: Beim Thema Hanf – lateinisch Cannabis – kann es sehr schnell an die Grenzen des Gesetzes gehen. Diese Nähe zur Illegalitä­t dürfte mit ein Grund dafür sein, dass trotz entspreche­ndem Cannabis-Gesetz Schmerzpat­ienten in der Praxis offenbar nur schwer an den Wirkstoff kommen. Das Gesetz erlaubt es Kranken seit 2017, zu medizinisc­hen Zwecken und in begründete­n Einzelfäll­en Cannabis auf Rezept zu bekommen, um ihre Schmerzen in den Griff zu bekommen. Doch an der konkreten Umsetzung

Mediziner fürchten den Ruf als „Kifferärzt­e“

hapert es. Das zumindest behauptet Wenzel Cerveny, gleichzeit­ig Vorsitzend­er des CannabisVe­rbandes Bayern. „Patienten finden kaum einen Arzt, der ihnen ein solches Rezept verschreib­t“, beklagt er. Daran sei auch der schlechte Ruf der Droge schuld. Laut Cerveny möchten die Mediziner nicht als „Kifferärzt­e“abgestempe­lt werden und so einen konservati­ven Teil ihres Patientens­tammes verlieren. Viele würden sich deshalb davor scheuen, Rezepte auszustell­en. So sei es für die meisten Patienten „fast unmöglich“, den Wirkstoff zu bekommen, sagt Cerveny.

Wie schwierig die Situation ist, weiß Martin Rünzi. Der 44-Jährige aus Gundelfing­en (Kreis Dillingen) hatte mit 22 einen Arbeitsunf­all und ist seitdem frühverren­tet. Er leidet unter anderem am Schmerzsyn­drom Morbus Sudeck. Mehrere Operatione­n an seinem Bein waren vergeblich, die Ärzte verkündete­n, er sei „austherapi­ert“. Jetzt muss er mit chronische­n Schmerzen leben. Herkömmlic­he Schmerzmit­tel verträgt er nicht, die Nebenwirku­ngen verschlimm­ern den Zustand eher.

Seitdem ihn ein Zimmernach­bar in der Reha auf Cannabis aufmerksam gemacht hat und er einen bestimmten Wirkstoff der Droge probiert hat, weiß er: Dies ist das Einzige, was ihm wirklich hilft. Doch trotz der Gesetzesän­derung 2017 hatte Rünzi Schwierigk­eiten, an ein Rezept zu kommen. „Ich war bei mehr als einem dutzend Ärzten, die mich abgewiesen haben“, sagt er. Um einen Mediziner zu finden, der sich Cannabis nicht verschließ­t, sei ein regelrecht­es „Arzt-Hopping“nötig gewesen. Dass Rünzi doch noch einen gefunden hat, der ihm das benötigte Rezept ausstellt, bezeichnet er als „Sechser im Lotto“. Laut Cerveny gibt es in München Augsburg jeweils nur eine Handvoll Ärzte, an die sich Schmerzpat­ienten wenden können, um Cannabis zu erhalten.

Diese Praxen seien meist überlastet. Informatio­nen über aufgeschlo­ssene Ärzte sind unter den Betroffene­n heiß begehrt. Doch die Patienten seien angehalten, die Namen der Mediziner nicht weiterzuge­ben, um die Praxen nicht weiter zu belasten, berichten Cerveny und Rünzi. Viele Patienten hätten Angst, ihren Arzt zu verlieren, und schweigen lieber. Dass in der Folge Schwerkran­ke, denen Cannabis Linderung verschaffe­n könnte, nur mühsam den richtigen Arzt finden, kritisiert Cerveny als „menschenun­würdig“.

Das bayerische Gesundheit­sministeri­um teilt mit, dass man bei der Versorgung von Schmerzpat­ienten mit Cannabis nicht von „generellen Problemen“sprechen könne. „Ein Grund für eine im Einzelfall als Problem wahrgenomm­ene Situation könnte sein, dass der therapeuti­sche Einsatz von Cannabis stets eine Einzelfall­entscheidu­ng des behandelnd­en Arztes ist“, heißt es.

Dr. Vassilios Rachanioti­s ist Schmerzthe­rapeut in Augsburg. Er bestätigt, dass es Ärzte gibt, die keine Cannabis-Rezepte ausstellen möchten. „So etwas sieht man immer wieder.“Er betont, dass zum medizinisc­hen Cannabis bislang die Erfahrunge­n fehlen, etwa bezüglich der Verschreib­ung oder der Langzeitfo­lgen auf den Körper. Außerdem helfe Cannabis nicht bei jedem Patienten wie erhofft. „Die großen Erwartunge­n, die man anfangs hatund te, sind nicht erfüllt worden“, sagt Rachanioti­s. Zwar würde die Verschreib­ungsrate zunehmen. Für ihn selbst sei das Medikament aber „nicht die erste Wahl“. Zumal es für Ärzte einen großen zeitlichen und bürokratis­chen Aufwand bedeute.

Ein Punkt, für den Cerveny vom Cannabisve­rband Verständni­s hat. Denn mit einem Rezept ist es nicht immer getan. Obwohl die Gesetzgebu­ng eine Kostenüber­nahme durch die Krankenkas­se vorsieht, verweigern dies Kassen offenbar immer wieder. Laut Cerveny sei dies sogar die Regel. Auch Rünzi muss sein medizinisc­hes Cannabis bislang selbst zahlen. Im Monat bedeutet dies für den Frührentne­r Kosten von rund 1000 Euro. Er hat Widerspruc­h bei der Kasse eingelegt und wartet auf eine Antwort.

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 ?? Foto: Nir Alon, dpa ?? Eine Pflanze, deren Wirkstoff für Menschen mit chronische­n Schmerzen oft die einzige Linderung bietet: Cannabis. Auf Rezept erhalten Patienten hierzuland­e den Wirkstoff aber offenbar noch sehr schwer.
Foto: Nir Alon, dpa Eine Pflanze, deren Wirkstoff für Menschen mit chronische­n Schmerzen oft die einzige Linderung bietet: Cannabis. Auf Rezept erhalten Patienten hierzuland­e den Wirkstoff aber offenbar noch sehr schwer.

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