Augsburger Allgemeine (Land West)
Kampf ums Rezept
Warum es so schwer ist, legal Cannabis zu bekommen
Augsburg Es war eine groß angelegte Razzia. Mitte April statteten fast 200 Polizisten Betreibern von Hanfläden einen Besuch ab. Wenzel Cerveny – Gründer einer Kette, die seit Herbst 2018 auch in Augsburg vertreten ist – führt drei solcher Läden im Großraum München. Auch er bekam es mit der Polizei zu tun. Die Ermittler haben bei ihm Waren im Wert von 300000 Euro beschlagnahmt, berichtet er, darunter Hanfcremes, -tees oder -öle. Die Staatsanwaltschaft begründet den Einsatz damit, dass die Produkte zu Rauschzwecken missbraucht werden könnten.
Die neuerlichen Razzien verdeutlichen: Beim Thema Hanf – lateinisch Cannabis – kann es sehr schnell an die Grenzen des Gesetzes gehen. Diese Nähe zur Illegalität dürfte mit ein Grund dafür sein, dass trotz entsprechendem Cannabis-Gesetz Schmerzpatienten in der Praxis offenbar nur schwer an den Wirkstoff kommen. Das Gesetz erlaubt es Kranken seit 2017, zu medizinischen Zwecken und in begründeten Einzelfällen Cannabis auf Rezept zu bekommen, um ihre Schmerzen in den Griff zu bekommen. Doch an der konkreten Umsetzung
Mediziner fürchten den Ruf als „Kifferärzte“
hapert es. Das zumindest behauptet Wenzel Cerveny, gleichzeitig Vorsitzender des CannabisVerbandes Bayern. „Patienten finden kaum einen Arzt, der ihnen ein solches Rezept verschreibt“, beklagt er. Daran sei auch der schlechte Ruf der Droge schuld. Laut Cerveny möchten die Mediziner nicht als „Kifferärzte“abgestempelt werden und so einen konservativen Teil ihres Patientenstammes verlieren. Viele würden sich deshalb davor scheuen, Rezepte auszustellen. So sei es für die meisten Patienten „fast unmöglich“, den Wirkstoff zu bekommen, sagt Cerveny.
Wie schwierig die Situation ist, weiß Martin Rünzi. Der 44-Jährige aus Gundelfingen (Kreis Dillingen) hatte mit 22 einen Arbeitsunfall und ist seitdem frühverrentet. Er leidet unter anderem am Schmerzsyndrom Morbus Sudeck. Mehrere Operationen an seinem Bein waren vergeblich, die Ärzte verkündeten, er sei „austherapiert“. Jetzt muss er mit chronischen Schmerzen leben. Herkömmliche Schmerzmittel verträgt er nicht, die Nebenwirkungen verschlimmern den Zustand eher.
Seitdem ihn ein Zimmernachbar in der Reha auf Cannabis aufmerksam gemacht hat und er einen bestimmten Wirkstoff der Droge probiert hat, weiß er: Dies ist das Einzige, was ihm wirklich hilft. Doch trotz der Gesetzesänderung 2017 hatte Rünzi Schwierigkeiten, an ein Rezept zu kommen. „Ich war bei mehr als einem dutzend Ärzten, die mich abgewiesen haben“, sagt er. Um einen Mediziner zu finden, der sich Cannabis nicht verschließt, sei ein regelrechtes „Arzt-Hopping“nötig gewesen. Dass Rünzi doch noch einen gefunden hat, der ihm das benötigte Rezept ausstellt, bezeichnet er als „Sechser im Lotto“. Laut Cerveny gibt es in München Augsburg jeweils nur eine Handvoll Ärzte, an die sich Schmerzpatienten wenden können, um Cannabis zu erhalten.
Diese Praxen seien meist überlastet. Informationen über aufgeschlossene Ärzte sind unter den Betroffenen heiß begehrt. Doch die Patienten seien angehalten, die Namen der Mediziner nicht weiterzugeben, um die Praxen nicht weiter zu belasten, berichten Cerveny und Rünzi. Viele Patienten hätten Angst, ihren Arzt zu verlieren, und schweigen lieber. Dass in der Folge Schwerkranke, denen Cannabis Linderung verschaffen könnte, nur mühsam den richtigen Arzt finden, kritisiert Cerveny als „menschenunwürdig“.
Das bayerische Gesundheitsministerium teilt mit, dass man bei der Versorgung von Schmerzpatienten mit Cannabis nicht von „generellen Problemen“sprechen könne. „Ein Grund für eine im Einzelfall als Problem wahrgenommene Situation könnte sein, dass der therapeutische Einsatz von Cannabis stets eine Einzelfallentscheidung des behandelnden Arztes ist“, heißt es.
Dr. Vassilios Rachaniotis ist Schmerztherapeut in Augsburg. Er bestätigt, dass es Ärzte gibt, die keine Cannabis-Rezepte ausstellen möchten. „So etwas sieht man immer wieder.“Er betont, dass zum medizinischen Cannabis bislang die Erfahrungen fehlen, etwa bezüglich der Verschreibung oder der Langzeitfolgen auf den Körper. Außerdem helfe Cannabis nicht bei jedem Patienten wie erhofft. „Die großen Erwartungen, die man anfangs hatund te, sind nicht erfüllt worden“, sagt Rachaniotis. Zwar würde die Verschreibungsrate zunehmen. Für ihn selbst sei das Medikament aber „nicht die erste Wahl“. Zumal es für Ärzte einen großen zeitlichen und bürokratischen Aufwand bedeute.
Ein Punkt, für den Cerveny vom Cannabisverband Verständnis hat. Denn mit einem Rezept ist es nicht immer getan. Obwohl die Gesetzgebung eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse vorsieht, verweigern dies Kassen offenbar immer wieder. Laut Cerveny sei dies sogar die Regel. Auch Rünzi muss sein medizinisches Cannabis bislang selbst zahlen. Im Monat bedeutet dies für den Frührentner Kosten von rund 1000 Euro. Er hat Widerspruch bei der Kasse eingelegt und wartet auf eine Antwort.