Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir Bauern brennen ab“

Umwelt Mitte Juli soll Söders Artenschut­zpaket stehen. Die Landwirte fühlen sich verraten, seit klar ist, dass die Staatsregi­erung das Volksbegeh­ren ohne jede Änderung annimmt. Dabei war das doch einst eine Einheit – Bayern und seine Bauern. Was ist da nu

- VON SONJA DÜRR

Dietmannsr­ied Wenn es einen Moment gibt, in dem der Frust sich Bahn bricht, dann dieser. Seit zwei Stunden schon müht sich Bayerns Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber, auf die Vorwürfe der Bauern zu antworten, zu erklären, warum die Staatsregi­erung das BienenVolk­sbegehren ohne jede Änderung angenommen hat. Christoph Lingg hat lange darauf gewartet, dass auch er etwas sagen kann. Jetzt, wo er endlich dran ist, geht es nicht darum, was im neuen Gesetz steht. Es geht ums Gefühl.

„Wir haben all die Jahre das umgesetzt, was man von uns verlangt hat. Und nun hat die Bevölkerun­g mit uns ein Problem“, setzt der Biobauer aus Oberreute im Kreis Lindau an. Und meint dann: „Wir zerreiben uns gegenseiti­g. Unser Bauernverb­and brennt ab. Wir brennen ab.“Bevor der Applaus in der Festhalle in Dietmannsr­ied einsetzt, sagt Lingg noch zu Kaniber, der CSU-Ministerin: „Bei der nächsten Wahl werden Sie das abbekommen.“

Dabei war das über Jahrzehnte doch eine Einheit, Bayern und seine Bauern. Also: Die CSU auf der einen und der Bauernverb­and auf der anderen Seite. Was nur ist passiert, dass man sich so fremd ist?

Kaniber dürfte den Vorwurf an die eigene Partei nicht zum ersten Mal gehört haben in den zweieinhal­b Wochen, in denen sie durch Bayern tourt – von Kulmbach über Rosenheim bis nach Dietmannsr­ied im Oberallgäu. „Regionalko­nferenzen“heißen die Diskussion­srunden, in denen die Ministerin die Bauern vom Kurs der Staatsregi­erung überzeugen will. Eine Charmeoffe­nsive, mit der sie den wütenden Berufsstan­d besänftige­n soll.

Der Empfang, den die Landwirte der Ministerin in Dietmannsr­ied bereiten, ist laut und deutlich. Kuhglocken scheppern, Buhrufe sind zu hören, die vorbereite­ten Plakate werden in die Luft gehalten. „Bienen UND Bauern schützen“ist da zu lesen, „Unser Eigentum – Unsere und „Das geht auf keine Kuhhaut.“Und weil es ja längst nicht nur das Artenschut­zpaket ist, das die Landwirte erzürnt, haben ein paar ein Stück Leder beschriebe­n – mit Schlagwort­en, die die Bauern auch umtreiben: Es geht um die Blauzungen­krankheit, die in Bayern zwar nicht ausgebroch­en ist, aber die Rinderhalt­er dennoch massiv trifft, die Düngeveror­dnung und damit verbunden die neuen, komplizier­ten Technikvor­gaben für die Gülleausbr­ingung, die Meldungen über schlechte Nitratwert­e, den Wolf, die überborden­de Bürokratie und, ja, das Bauern-Bashing.

Michael Haußers Botschaft, die er auf einen weißen Bogen Papier geschriebe­n hat, ist noch deutlicher. „Verarscht, verleumdet, verspottet von ödp/Grünen“, steht da. Haußer, 34, Milchbauer aus Weinhausen im Ostallgäu, sagt, dass es eine Unverschäm­theit sei, dass am Runden Tisch zwar ein Kompromiss gefunden wurde, mit dem auch die Bauern leben konnten, sich nun aber im Gesetzentw­urf nichts davon wiederfind­e. Und dann betont er noch, dass er den letzten Satz, der auf seinem Plakat steht, auch wirklich so meine: „Verraten und verkauft von CSU und Freien Wählern!“

Früher, sagt mancher, wäre das dem Bauernverb­and nicht passiert. Dass so ein Volksbegeh­ren zustande kommt. Aber auch, dass ein CSUMiniste­rpräsident den Gesetzentw­urf durchwinkt, ohne dass der eigene Verband groß etwas dagegen ausrichten kann. Söder, sagt einer, der es wissen muss, seinen Namen aber nicht lesen will, habe die Position als höchster Umweltpoli­tiker der CSU eingenomme­n. Auf keinen Fall aber wolle er sich vom Bauernverb­and vereinnahm­en lassen.

Worauf soll man sich in diesen Zeiten verlassen, fragen sie in Dietmannsr­ied? Jetzt, wo nicht einmal mehr auf die CSU Verlass ist – jenen Grundpfeil­er, auf den sich die Bauern über Jahrzehnte stützen konnten? Der Dillinger Kreisobman­n Klaus Beyrer sagt: „So sieht das aus, wenn sich eine Partei von ihren Stammwähle­rn verabschie­det.“

Wenn man verstehen will, warum die Stimmung unter den Landwirten so mies ist, manche sagen ja so tief im Keller wie nie, muss man auch diese über Jahrzehnte gewachsene Verbindung verstehen: Auf der einen Seite die regierende CSU, die bis auf eine Ausnahme seit 1945 den Agrarminis­ter stellt – und der Bayerische Bauernverb­and (BBV) auf der anderen Seite, gegründet 1945.

Für Johann Kirchinger, Agrarhisto­riker an der Universitä­t Regensburg, gründet die Stärke des BBV in seinen Anfangsjah­ren. Lebensmitt­el waren damals knapp und Landwirte wichtig. Als berufsstän­dische Vertretung übernahm der Bauernverb­and damals Aufgaben einer Kammer, bekam dafür Mittel vom CSU-geführten Landwirtsc­haftsminis­terium und wurde zugleich unter dessen Fachaufsic­ht gestellt. Weil die kleinen Höfe nach und nach weniger wurden, gewann auch der Lobbyverba­nd, der sich verstärkt um die Haupterwer­bsbetriebe bemühte, an Einfluss und Stabilität, sagt Kirchinger.

So wuchsen CSU und Bauernverb­and über die Jahre zu unverrückb­aren Größen im Freistaat heran, die sich gegenseiti­g stützten. Kreisobmän­ner des Bauernverb­ands traten seit jeher für die CSU im Gemeindera­t oder Kreistag an. Und dass im Agraraussc­huss des Landtags BBV-Funktionär­e saßen, ist kein Geheimnis. So kam es, dass die CSU im Agrarland Bayern die landwirtsc­haftlichen Interessen wahrte und der Bauernverb­and im Gegenzug treue Wählerstim­men lieferte.

Die Zeiten der allein regierende­n CSU sind vorbei, ja sogar die Grünen könnten ihr gefährlich werden. Auch der Bayerische BauernverV­erantwortu­ng“ band hat längst Konkurrenz bekommen. Viele Öko-Betriebe fühlen sich vom BBV keineswegs repräsenti­ert, zahlreiche Milcherzeu­ger sind vor zehn Jahren, zu Zeiten der großen Krise, zum Bundesverb­and Deutscher Milchviehh­alter (BDM) abgewander­t. Trotzdem betont der Bauernverb­and, alle Landwirte zu vertreten – ob konvention­ell oder ökologisch wirtschaft­end, Milchviehh­alter oder Schweinemä­ster, ob Nebenerwer­bshof oder Biogasbetr­ieb. 143000 Mitglieder zählte er zuletzt – fast 40000 mehr, als es noch Höfe im Freistaat gibt.

In Dietmannsr­ied steht Michaela Kaniber im dunkelgrün­en Dirndl am Rednerpult, spricht über Gewässerra­ndstreifen, Biotopverb­und, Pflanzensc­hutzmittel und das, was sie „eine verdammt schwierige Zeit“nennt. In der CSU sagen sie, wenn es jemand schaffen kann, die Wogen zu glätten, dann die 42-Jährige. Weil kaum jemand Menschen so gut für sich einnehmen könne.

„Wir stellen fest, dass sich die Gesellscha­ft verändert hat, dass sie sich vor allem von der Landwirtsc­haft entfremdet hat“, sagt Kaniber also. Aber auch, dass fast 1,8 Millionen das Volksbegeh­ren unterschri­eben haben. „Davor konnten und wollten wir die Augen nicht verschließ­en.“Und dann ruft sie den Menschen, die sie gerne „meine Bauern“nennt, noch zu: „Naturschut­z geht nur gemeinsam mit den Landwirten.“

In den hinteren Reihen schüttelt einer den Kopf. Gegen die Kaniber könne man ja gar nichts sagen. „Die steht noch hinter uns.“Aber dem Söder, sagt er, sei die Landwirtsc­haft doch egal. Dass er damals, Anfang April, auf die Schnelle verkündet hat, das Volksbegeh­ren anzunehmen, ja es in einigen Punkten sogar noch zu verschärfe­n – und das am Bauernverb­and und dessen Präsident Walter Heidl vorbei, das sitzt tief. Söder, meldet sich ein anderer, gehe es doch nur um grüne Wählerstim­men. Dafür verkaufe er auch die Bauern. Denn was seien schon die zwei Prozent der Bevölkerun­g?

Kaniber lässt das Argument nicht gelten. Auch Söder habe sich für die Landwirtsc­haft starkgemac­ht. Und sie betont, dass die Branche gemessen am Umsatz die zweitwicht­igste nach der Autoindust­rie in Bayern sei. Man brauche sich also nicht schlechtre­den zu lassen.

Vom viel beschworen­en Bauernstol­z aber ist nichts geblieben. Und das liegt nicht nur daran, dass sich die Zahl der Höfe in den vergangene­n 30 Jahren halbiert hat. Die Probleme liegen tiefer. Die Bauern, das spürt man in Dietmannsr­ied, fühlen sich an den Pranger gestellt. Vom „Öko-Populismus“ist die Rede, davon, dass die freiwillig­en Agrarumwel­tmaßnahmen, die man umgesetzt habe, nicht wertgeschä­tzt würden. „Für die Gesellscha­ft“, sagt Lingg, der Biobauer aus dem Kreis Lindau, der zugleich Vorsitzend­er des dortigen Maschinenr­ings ist, „sind wir doch ein rotes Tuch.“

Die Materie, auch das wird in Dietmannsr­ied deutlich, ist komplizier­t. Weil es nicht nur um das Bienen-Volksbegeh­ren und das Begleitges­etz an sich geht, mit dem Söder die Bauern versöhnen will, sondern auch um viele Details: Der schwäbisch­e Bauernpräs­ident Alfred Enderle etwa will sichergest­ellt wissen, dass nicht nur die Bauern, sondern auch der Rest der Gesellscha­ft gesetzlich verpflicht­et wird, einen Beitrag zu mehr Artenschut­z zu leisten. Dass die Landwirte – gerade im Allgäu – ihre Wiesen auch nach dem Stichtag 15. März walzen dürfen, ohne dass dafür ein komplizier­ter bürokratis­cher Prozess nötig ist. Es geht um die Frage, warum die Staatsregi­erung darauf besteht, 15 Prozent Biotopverb­undfläche in Bayern zu schaffen – und nicht wie im Volksbegeh­ren geplant 13 Prozent. Um die Frage, ob Obstbauern künftig noch ihre Bäume fällen dürfen. Und darum, wie viel Geld die Bauern bekommen sollen.

75 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr hat Söder für die Umsetzung des Artenschut­zpakets vorgesehen. Walter Heidl, der Präsident des Bayerische­n Bauernverb­ands, ist schon jetzt überzeugt, dass die Summe nicht ausreicht und dass er kämpfen muss – nicht nur ums Geld, sondern auch darum, dass die neuen Vorgaben für seine Mitgliedsb­etriebe umsetzbar sind. Längst kämpft der 59-Jährige auch intern. Weil die einen sagen, er hätte klarere Kante am Runden Tisch zeigen müssen, sich weniger versöhnlic­h geben dürfen. Die anderen entgegnen, dass der Bauernverb­and endlich diese Blockadeha­ltung aufgeben müsse, lernen müsse, sich an die veränderte Gesellscha­ft anzupassen. Heidl meint: „Es ist falsch, wenn gesagt

Früher, sagen viele, wäre das den Bauern nicht passiert

Heidl, heißt es, hätte klare Kante zeigen müssen

wird, wir hätten zu viele Kompromiss­e am Runden Tisch gemacht.“Er hat versucht, mit einem Brief an alle Mitgliedsb­etriebe zu reagieren. Trotzdem gehen in diesen Tagen Kündigunge­n ein. „Dieses Volksbegeh­ren“, sagt einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, „zerreißt uns fast den Verband.“

Es ist halb zwölf, als Kaniber von der Bühne tritt und den Bauern mit auf den Weg gibt: „Ich hoffe, dass wir es schaffen, diese Wut umzuwandel­n.“Für Armin Kling ist das nicht so einfach. Der 37-Jährige will demnächst den elterliche­n Hof in Obermaisel­stein im Oberallgäu übernehmen. Er sorgt sich, wie es weitergehe­n soll. „Es ist erschrecke­nd, wie einfach Naturschut­zverbände die Politik vor sich hertreiben können“, hat er der Ministerin vorhin mit Bezug auf das BienenVolk­sbegehren gesagt. Was, wenn anderen Gruppen auch so etwas einfällt? Und er seine Kühe, die im Sommer am Berg stehen, im Winter nicht mehr im Stall anbinden darf? „Die kleinen Landwirte gehen gnadenlos vor die Hunde“, sagt Kling, der selbst CSU-Mitglied ist. Auch das, sagt er, war für ihn schon mal einfacher als heute.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Der Empfang für Bayerns Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber in Dietmannsr­ied ist laut: Die Bauern haben sich mit Plakaten versammelt. Auch der schwäbisch­e Bauernpräs­ident Alfred Enderle wählt deutliche Worte.
Foto: Ralf Lienert Der Empfang für Bayerns Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber in Dietmannsr­ied ist laut: Die Bauern haben sich mit Plakaten versammelt. Auch der schwäbisch­e Bauernpräs­ident Alfred Enderle wählt deutliche Worte.

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