Augsburger Allgemeine (Land West)

„Eine meiner besten Entscheidu­ngen“

Interview: Paul Verhaegh erklärt, wie er 2010 zum FC Augsburg kam, warum der Nichtabsti­eg 2013 für ihn mehr zählt als die Europa-League-Saison und wie es gelang, Spieler wie Raul Bobadilla im Zaum zu halten

- Interview Robert Götz

kehren zum FC Twente Enschede in Ihre Heimat zurück. Neun Jahre Bundesliga gehen damit zu Ende. Sind Sie nicht etwas wehmütig? Verhaegh: Es waren sehr intensive neun Jahre. Ich habe viele schöne Momente erlebt. Natürlich denkt man da schon etwas nach: Ich habe schließlic­h meine schönste Fußballzei­t in Deutschlan­d verbracht, vor allem in Augsburg.

2010 startete Ihr Deutschlan­d-Abenteuer mit einem Anruf aus Augsburg. Verhaegh: So kann man es sagen. Trainer Jos Luhukay und Manager Andreas Rettig stellten den Kontakt her. Es war für mich ein Schritt, den in meiner Heimat nicht alle verstanden haben.

Warum?

Verhaegh: Ich war Erstliga-Spieler bei Vitesse Arnheim, habe gut gespielt. Viele verstanden nicht, warum ich in die 2. Liga in Deutschlan­d wechseln wollte. Aber für mich war nach den ersten Gesprächen und den ersten Eindrücken, die ich in Augsburg gemacht hatte, klar, dass hier etwas Tolles entstehen kann. Der Wechsel zum FCA war eine meiner besten Entscheidu­ngen, die ich in meinem Leben getroffen habe.

Kannten Sie Augsburg vorher? Verhaegh: Nein. Ich musste mir das alles erst im Internet heraussuch­en.

Hätten Sie gedacht, dass Sie sieben Jahre beim FCA bleiben?

Verhaegh: Nein. Im Fußball kann man nie so weit vorausplan­en. Aber es zeigt ja auch, was für eine besondere Zeit meine Familie und ich in Augsburg hatten. Ich habe mich immer wohl und wertgeschä­tzt gefühlt. Ich verfolge den Verein weiter sehr intensiv. Ich habe auch noch regelmäßig zu Mitspieler­n, die zu Freunden geworden sind, wie Daniel Baier, Tobias Werner und Halil Altintop, regelmäßig Kontakt. Wir haben aber auch einen Freundeskr­eis, der nichts mit dem Fußball zu tun hat.

Beim FCA gab es in dieser Saison viel Aufregung, Spieler wurden suspendier­t, der Trainer entlassen. Wie haben Sie das erlebt?

Verhaegh: Es war sehr ungewöhnli­ch für Augsburg und es macht es nicht leichter, sportlich erfolgreic­h zu sein. Ich bin froh, dass der FCA dann mit dem neuen Trainer noch die Kurve bekommen hat und die Klasse gehalten hat.

Während Ihrer Zeit beim FCA als Führungssp­ieler hatten Sie auch schwierige Charaktere wie Raul Bobadilla in der Mannschaft. Da wurde vieles intern geklärt. Was war anders? Verhaegh: Wir hatten einen unheimlich starken Kern mit Führungssp­ielern, die das große Ganze im Blick hatten. Die immer den Erfolg der Mannschaft und des Vereines in den Vordergrun­d gestellt hatten. Da musste jeder Einzelne mitziehen. Es ist einfach, wenn du einen Kern hast, der über Jahre zusammenge­spielt hat, der weiß, was notwendig um Erfolg zu haben. Bei uns ging es immer nur in eine Richtung: bergauf.

Was war für Sie Ihr sportlich schönstes Erlebnis in Augsburg?

Verhaegh: Es gab einige. Der Aufstieg in die erste Liga zum Beispiel. Es war etwas ganz Besonderes, ein Teil der Mannschaft gewesen zu sein, die zum ersten Mal in der Vereinsges­chichte in die Bundesliga aufgestieg­en ist. Die Feier auf dem Rathauspla­tz war legendär. Auch die Teilnahme an der Europa League mit den Spielen gegen Liverpool war sensatione­ll. Aber für mich war der Klassenerh­alt im ersten Jahr mit Markus Weinzierl, als wir mit nur neun Punkten in die Winterpaus­e gingen, der größte Erfolg.

Warum?

Verhaegh: Wir waren im Winter doch von allen abgeschrie­ben. Wir als Mannschaft haben uns gesagt, wir wollen uns nur nicht am Ende der Saison lächerlich machen. Und dann haben wir angefangen zu punkten. Dass wir das irgendwie gepackt haben, war unfassbar. Es zeigt aber auch, wenn man immer an sich glaubt, zusammenhä­lt und nie aufgibt, kann man fast alles erreichen.

In Augsburg wurden Sie zum NatioSie nalspieler. Trainer Louis van Gaal nahm Sie 2014 sogar mit zur WM nach Brasilien. Sie wurden mit Holland dort Dritter.

Verhaegh: Diese zehn Wochen, wenn man die Vorbereitu­ng hinzunimmt, waren etwas ganz Spezielles für mich. Wenn man für sein Land bei einer WM, die auch noch in Brasilien stattfinde­t, spielen darf, ist das die größte Ehre, die man als Fußballer bekommen kann. Es war für mich sehr lehrreich.

Ihr Ende beim FCA kam für Außenstehe­nde unerwartet. Sie wechselten im Sommer 2017 wenige Tage vor Ende der Transferpe­riode zum VfL Wolfsburg. Waren Sie die treibende Kraft, oder hatte Ihnen der Verein den Wechsel nahegelegt?

Verhaegh: Das war ich. Ich hatte schon in der Saison zuvor das Gefühl, dass ich unbedingt noch einmal etwas anderes machen wollte. Und dieses Gefühl wurde im Laufe der Vorbereitu­ng immer stärker. Ich war 33 – wenn noch etwas anderes möglich ist, dann jetzt. Das habe ich dem FCA auch so kommunizie­rt, dass ich nach sieben Jahren offen für etwas Neues bin.

Und dann kam das Angebot des VfL Wolfsburg…

Verhaegh: Damals hatte ich nicht geist, plant, noch einmal innerhalb Deutschlan­ds zu wechseln. Ich wollte eigentlich noch eine Auslandser­fahrung machen. Die USA oder Australien waren meine Favoriten. Aber dann kam die Anfrage von Wolfsburg und ich bin ins Grübeln gekommen. Das gesamte Paket, wirtschaft­lich wie sportlich, konnte ich einfach nicht ausschlage­n.

Was hat der FCA dazu gesagt? Sie hatten ja noch ein Jahr Vertrag. Verhaegh: Natürlich versucht jeder in den Verhandlun­gen das Beste für sich herauszuho­len, aber es lief alles sehr harmonisch ab. Am Ende hat es für alle gepasst und ich bin ja nicht umsonst gegangen.

Es lief aber in Wolfsburg nicht so, wie Sie es geplant hatten.

Verhaegh: Das erste Jahr war schwer. Uns gelang der Klassenerh­alt erst in der Relegation. Das war keine einfache Situation, wenn man mit einem Verein wie Wolfsburg gegen den Abstieg kämpft. Diese Saison war es für mich sportlich überhaupt nicht zufriedens­tellend. Man sollte immer den Anspruch haben zu spielen, aber der Trainer hat eine andere Entscheidu­ng getroffen. Mir war bewusst, dass es passieren kann, dass man in meinem Alter nicht Woche für Woche spielt. Trotzdem finde ich, dass ich zu wenig gespielt habe. Verhaegh: Ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen, aber ja, es gab einen internen Vorfall. Und dann war das die beste Lösung. Verhaegh: Es war in dieser Saison für keinen Trainer einfach. Ich habe ihn als einen sehr engagierte­n Trainer, der viel Zeit in seine Arbeit steckt, kennen gelernt, der eine Mannschaft zusammensc­hweißen kann, der aus einem 25-Mann-Kader eine Einheit formen kann. Er sucht Charaktere, Jungs, die arbeiten wollen. In Wolfsburg hat das einfach nicht gepasst. Aber ich fand die Zusammenar­beit mit ihm interessan­t und ich finde, dass der FCA mit ihm sehr gut gerüstet ist für die Zukunft.

Wie haben Sie denn die besondere Beziehung zwischen Deutschen und Holländern erlebt?

Verhaegh: Ich bin da vor neun Jahren ziemlich offen rangegange­n. Gerade im Fußball ist die Rivalität ja besonders stark. Ich habe Deutschlan­d als ein sehr offenes und freundlich­es Land kennen und lieben gelernt. Aber natürlich musste ich mir neun Jahre Wohnwagen-Witze anhören (lacht).

Sie haben da viel Selbstiron­ie gezeigt und mit dem damaligen FCA-Hauptspons­or Alko, der auch Fahrgestel­le für Wohnwagen herstellte, einen Wohnwagen-Werbespot gedreht. Verhaegh: Ja. Sie haben mich gefragt, ob ich als Holländer das machen würde. Ich habe ja gesagt. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich es besser nicht machen sollen (lacht). Das habe ich immer mal wieder zu hören bekommen. Das ist auch okay. Aber wenn ich jetzt an schönen Tagen durch Holland fahre, sehe ich immer mehr Deutsche mit Wohnwagen Richtung holländisc­he Küste fahren.

 ?? Foto: Imago Images ?? 2016: Paul Verhaegh verabschie­det sich nach dem Europa-League-Aus von den FCAAnhänge­rn an der berühmten Liverpoole­r Anfield Road.
Foto: Imago Images 2016: Paul Verhaegh verabschie­det sich nach dem Europa-League-Aus von den FCAAnhänge­rn an der berühmten Liverpoole­r Anfield Road.
 ?? Foto:: Imago Images ?? 2019. Paul Verhaegh beendet das Kapitel Wolfsburg. Ihren Unmut müssen Sie Bruno Labbadia deutlich zu verstehen gegeben haben, danach wurden Sie freigestel­lt. Sie kennen den neuen FCA-Trainer Martin Schmidt ja auch. Er war beim VfL Wolfsburg allerdings nur fünf Monate Ihr Trainer. Er löste im September 2017 Andries Jonker ab, verließ aber schon fünf Monate später auf eigenen Wunsch wieder den VfL.
Foto:: Imago Images 2019. Paul Verhaegh beendet das Kapitel Wolfsburg. Ihren Unmut müssen Sie Bruno Labbadia deutlich zu verstehen gegeben haben, danach wurden Sie freigestel­lt. Sie kennen den neuen FCA-Trainer Martin Schmidt ja auch. Er war beim VfL Wolfsburg allerdings nur fünf Monate Ihr Trainer. Er löste im September 2017 Andries Jonker ab, verließ aber schon fünf Monate später auf eigenen Wunsch wieder den VfL.
 ?? Foto: Imago Images ?? 2013: Verhaegh (Nr. 2) feiert mit Trainer Markus Weinzierl, Ja-Cheol Koo und Marcel de Jong den Klassenerh­alt nach der famosen Aufholjagd.
Foto: Imago Images 2013: Verhaegh (Nr. 2) feiert mit Trainer Markus Weinzierl, Ja-Cheol Koo und Marcel de Jong den Klassenerh­alt nach der famosen Aufholjagd.
 ?? Foto: Kolbert ?? 2017: Verhaegh und seine Kinder Mila und Fenn bei den Fans.
Foto: Kolbert 2017: Verhaegh und seine Kinder Mila und Fenn bei den Fans.

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