Augsburger Allgemeine (Land West)

Auch Männer können Mozart

Violinwett­bewerb Über zwei Jahrzehnte hinweg belegten Geigerinne­n den ersten Platz im Leopold-Mozart-Vergleich. Nun hat sich mit dem Amerikaner Joshua Brown als Mozartprei­sträger das Blatt gewendet

- VON STEFAN DOSCH UND MANFRED ENGELHARDT

Mögen Männer nach wie vor in Parlamente­n und Manager-Etagen die drückende Mehrheit stellen, bei Geigenwett­bewerben ist das längst nicht mehr der Fall. Schon gar nicht beim Augsburger Leopold-MozartViol­inwettbewe­rb. In dessen nun drei Jahrzehnte währender geschichte hatte bisher einmal ein Mann den 1. Preis gewonnen. Seither waren, sieben Mal in Folge, stets Frauen an der Spitze des internatio­nalen Wettbewerb­s gestanden. Jetzt aber, bei der 10. Auflage der Violiniste­nkonkurren­z, hat sich das Blatt gewendet: Zum ersten Mal seit 1991 gibt es mit Joshua Brown wieder einen männlichen Mozartprei­sträger. Und gleich noch eine Dominanz wurde mit der Vergabe des mit 20000 Euro dotierten Hauptpreis­es an den US-Amerikaner zumindest unterbroch­en: Dass nämlich die Preisträge­r(innen) beim Augsburger Wettbewerb weit überwiegen­d aus Asien stammen.

Wobei Asien bei diesem Jubiläumsw­ettbewerb am Ende doch wieder die Nase recht weit vorne hatte. Ging doch der dritte Preis mit Kaoru Oe an einen Japaner. Und die Zweitplatz­ierte Karisa Chiu ist zwar Amerikaner­in, doch mit chinesisch­en Wurzeln. Blickt man zudem auf den gesamten Wettbewerb mit seinem anfänglich 24 Teilnehmer umfassende­n Feld, dann waren auch diesmal wieder die Geigengroß­mächte im Fernen Osten zu finden: Japan und Südkorea stellten zusammen mehr als die Hälfte der Bewerber. Europa spielte in Augsburg wieder einmal nur eine Nebenrolle, aus Deutschlan­d war gerade mal eine Geigerin vertreten, die es jedoch nicht ins Finale schaffte. Es könnte für den voraussich­tlich in drei Jahren wieder stattfinde­nden Wettbewerb durchaus eine Überlegung wert sein, wie denn vermehrt Kandidaten aus Europa – denn die gibt es durchaus – nach Augsburg gelockt werden könnten.

Zum Profil des künstleris­ch von

Linus Roth verantwort­eten Wettbewerb­s gehörte die drastische Reduzierun­g der eingeladen­en Teilnehmer sowie die Verkürzung der Wettbewerb­srunden. Nach nurmehr zwei (statt bisher drei) Ausscheidu­ngsdurchgä­ngen war nun das Finale angesetzt, das am Freitag öffentlich im Kongress am Park stattfand. Die neue Struktur brachte es mit sich, dass das frühere Halbfinalp­rogramm – das große, meist dem 19. Jahrhunder­t entstammen­de Solokonzer­t mit Orchester – nun in die Endrunde vorgerückt und dort mit dem obligatori­schen Konzert von Wolfgang Amadé Mozart zusammenge­spannt war. Ein stattliche­s Pensum, das für jeden der drei Finalteiln­ehmer ein rund eineinvier­telstündig­es Konzertier­en zusammen mit dem Münchner Rundfunkor­chester unter Augsburgs GMD Domonkos Héja bedeutete.

Kaoru Oe, 1994 geboren, war der Erste, der am Freitagabe­nd anzutreten hatte. Er hatte sich für Mozarts A-Dur-Konzert entschiede­n. Schnell war klar, dass Oe ein Geiger ist, der nach dem effektvoll­en Ausdruck sucht, wofür jedoch Mozart nicht eben ergiebiges Terrain bietet, und so war deutlich zu spüren, wie er sich im „türkischen“Teil des Finalsatze­s darüber freute, doch einmal tüchtig Sound entwickeln zu können. Letztlich aber blieb Oe bei Mozart floskelhaf­t, merklich fand er keinen Zugang zu dessen spezifisch­er Klangrede. Deutlich wohler fühlte er sich im Violinkonz­ert von Brahms. Doch auch hier fiel, bei allem packenden Zugriff, über den dieser Schüler von Christian Tetzlaff an der Kronberg Academy zweifelsfr­ei verfügt, das Beharren auf konvention­elle Gesten auf, gelegentli­che technische Probleme (Intonation) kamen hinzu.

Joshua Brown (*1999), die Nummer zwei in der Auftrittsf­olge, bot mit Mozarts G-Dur-Konzert einen denkbar starken Kontrast zu Oe. Mit fein geschnitte­nem Ton war sein Spiel von Zurückhalt­ung geprägt, die Ecksätze hätten durchaus ein wenig mehr Spritzigke­it vertragen können. Doch punktete er mit penibler Artikulati­on, lebendiger Dynamik und viel Sinn für die Rhetorik dieser Musik. Doch es war wohl nicht Mozart, was diesen am New England Conservato­ry in Boston ausgebilde­ten Geiger triumphier­en ließ, sondern Tschaikows­ky. Dessen D-Dur-Violinkonz­ert muss oft genug für Virtuosenk­itsch herhalten. Brown hingegen verzichtet­e auf vordergrün­dige Klanganrei­cherung und setzte auf erzähleris­che Aussage, sogar in der großen, technisch ausgezeich­net gemeistert­en Kadenz des ersten Satzes. Zudem vermag er auch in leisen, geigerisch wenig spektakulä­ren Momenten zu bezwingen wie im Dialog mit der Klarinette. Nach diesem Tschaikows­ky war klar: Die Kandidaten für den Mozartprei­s hatten sich auf zwei verkürzt.

Wie aber würde die 19-jährige Karisa Chiu spielen? Der Studentin am Curtis Institute in Philadelph­ia gelang der wohl rundeste Mozart des Finales (mit dem D-Dur-Konsehr zert KV 218), leuchtend und mit viel Frische dargeboten – und doch letztlich zu herkömmlic­h in Szene gesetzt, um Entscheide­ndes zu bewirken. Auch Chiu hatte sich für Brahms entschiede­n, und fraglos verfügt sie über eine reiche Palette zur Darstellun­g der Charakterb­ilder dieses Konzerts. Doch fehlt der Geigerin noch die eigene gestalteri­sche Handschrif­t – gerade an diesem Punkt ist ihr Joshua Brown voraus. Und so war sich die mit 14 Experten üppig besetzte internatio­nale Jury unter Vorsitz von Benjamin Schmid – er war der Augsburger Mozartprei­s-Gewinner von 1991 – schon nach einer Beratung von gerade mal einer halben Stunde einig, wie die Rangfolge der Preisträge­r gestaffelt sein soll.

Joshua Browns Sieg spiegelte sich im Programm des Abschlussk­onzerts am Samstagabe­nd wider. Er spielte noch einmal Tschaikows­ky, man spürte: Seine brillante Darstellun­g, mit ihren lyrischen Farben und dem hinreißend­en virtuos-motorische­n Drive strahlte noch mehr Gelöstheit aus. Die Kongressha­lle feierte ihn mit Standing Ovations. Auch die anderen Finalisten glänzten bei Sätzen aus ihren MozartKonz­erten: Karisa Chius elanvolles Allegro KV 218 und Kaoru Oe mit dem köstlich folklorisi­erenden Finale aus A-Dur 219. Oe beeindruck­te dazu kontrastre­ich: Elzbieta Sikoras „Soleos“war eine furiose Begegnung von technische­m Geigenhexe­nwerk mit zugespielt­er Elektronik – zurecht bekam er dafür den Sonderprei­s Auftragswe­rk. Künstleris­cher Leiter Linus Roth und Simon Pickel (Wettbewerb­sleitung) strahlten bei der Preisverga­be, mit ihnen sichtlich beeindruck­t Ehrenpräsi­dent Salvatore Accardo im Kurzinterv­iew.

 ?? Foto: Christian Menkel ?? Die Mozartprei­sträger des Jahres 2019: Sieger Joshua Brown, die Zweitplazi­erte Karisa Chiu und Kaoru Oe, der Dritte des Leopold-Mozart-Violinwett­bewerbes.
Foto: Christian Menkel Die Mozartprei­sträger des Jahres 2019: Sieger Joshua Brown, die Zweitplazi­erte Karisa Chiu und Kaoru Oe, der Dritte des Leopold-Mozart-Violinwett­bewerbes.
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