Augsburger Allgemeine (Land West)
Auch Männer können Mozart
Violinwettbewerb Über zwei Jahrzehnte hinweg belegten Geigerinnen den ersten Platz im Leopold-Mozart-Vergleich. Nun hat sich mit dem Amerikaner Joshua Brown als Mozartpreisträger das Blatt gewendet
Mögen Männer nach wie vor in Parlamenten und Manager-Etagen die drückende Mehrheit stellen, bei Geigenwettbewerben ist das längst nicht mehr der Fall. Schon gar nicht beim Augsburger Leopold-MozartViolinwettbewerb. In dessen nun drei Jahrzehnte währender geschichte hatte bisher einmal ein Mann den 1. Preis gewonnen. Seither waren, sieben Mal in Folge, stets Frauen an der Spitze des internationalen Wettbewerbs gestanden. Jetzt aber, bei der 10. Auflage der Violinistenkonkurrenz, hat sich das Blatt gewendet: Zum ersten Mal seit 1991 gibt es mit Joshua Brown wieder einen männlichen Mozartpreisträger. Und gleich noch eine Dominanz wurde mit der Vergabe des mit 20000 Euro dotierten Hauptpreises an den US-Amerikaner zumindest unterbrochen: Dass nämlich die Preisträger(innen) beim Augsburger Wettbewerb weit überwiegend aus Asien stammen.
Wobei Asien bei diesem Jubiläumswettbewerb am Ende doch wieder die Nase recht weit vorne hatte. Ging doch der dritte Preis mit Kaoru Oe an einen Japaner. Und die Zweitplatzierte Karisa Chiu ist zwar Amerikanerin, doch mit chinesischen Wurzeln. Blickt man zudem auf den gesamten Wettbewerb mit seinem anfänglich 24 Teilnehmer umfassenden Feld, dann waren auch diesmal wieder die Geigengroßmächte im Fernen Osten zu finden: Japan und Südkorea stellten zusammen mehr als die Hälfte der Bewerber. Europa spielte in Augsburg wieder einmal nur eine Nebenrolle, aus Deutschland war gerade mal eine Geigerin vertreten, die es jedoch nicht ins Finale schaffte. Es könnte für den voraussichtlich in drei Jahren wieder stattfindenden Wettbewerb durchaus eine Überlegung wert sein, wie denn vermehrt Kandidaten aus Europa – denn die gibt es durchaus – nach Augsburg gelockt werden könnten.
Zum Profil des künstlerisch von
Linus Roth verantworteten Wettbewerbs gehörte die drastische Reduzierung der eingeladenen Teilnehmer sowie die Verkürzung der Wettbewerbsrunden. Nach nurmehr zwei (statt bisher drei) Ausscheidungsdurchgängen war nun das Finale angesetzt, das am Freitag öffentlich im Kongress am Park stattfand. Die neue Struktur brachte es mit sich, dass das frühere Halbfinalprogramm – das große, meist dem 19. Jahrhundert entstammende Solokonzert mit Orchester – nun in die Endrunde vorgerückt und dort mit dem obligatorischen Konzert von Wolfgang Amadé Mozart zusammengespannt war. Ein stattliches Pensum, das für jeden der drei Finalteilnehmer ein rund eineinviertelstündiges Konzertieren zusammen mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Augsburgs GMD Domonkos Héja bedeutete.
Kaoru Oe, 1994 geboren, war der Erste, der am Freitagabend anzutreten hatte. Er hatte sich für Mozarts A-Dur-Konzert entschieden. Schnell war klar, dass Oe ein Geiger ist, der nach dem effektvollen Ausdruck sucht, wofür jedoch Mozart nicht eben ergiebiges Terrain bietet, und so war deutlich zu spüren, wie er sich im „türkischen“Teil des Finalsatzes darüber freute, doch einmal tüchtig Sound entwickeln zu können. Letztlich aber blieb Oe bei Mozart floskelhaft, merklich fand er keinen Zugang zu dessen spezifischer Klangrede. Deutlich wohler fühlte er sich im Violinkonzert von Brahms. Doch auch hier fiel, bei allem packenden Zugriff, über den dieser Schüler von Christian Tetzlaff an der Kronberg Academy zweifelsfrei verfügt, das Beharren auf konventionelle Gesten auf, gelegentliche technische Probleme (Intonation) kamen hinzu.
Joshua Brown (*1999), die Nummer zwei in der Auftrittsfolge, bot mit Mozarts G-Dur-Konzert einen denkbar starken Kontrast zu Oe. Mit fein geschnittenem Ton war sein Spiel von Zurückhaltung geprägt, die Ecksätze hätten durchaus ein wenig mehr Spritzigkeit vertragen können. Doch punktete er mit penibler Artikulation, lebendiger Dynamik und viel Sinn für die Rhetorik dieser Musik. Doch es war wohl nicht Mozart, was diesen am New England Conservatory in Boston ausgebildeten Geiger triumphieren ließ, sondern Tschaikowsky. Dessen D-Dur-Violinkonzert muss oft genug für Virtuosenkitsch herhalten. Brown hingegen verzichtete auf vordergründige Klanganreicherung und setzte auf erzählerische Aussage, sogar in der großen, technisch ausgezeichnet gemeisterten Kadenz des ersten Satzes. Zudem vermag er auch in leisen, geigerisch wenig spektakulären Momenten zu bezwingen wie im Dialog mit der Klarinette. Nach diesem Tschaikowsky war klar: Die Kandidaten für den Mozartpreis hatten sich auf zwei verkürzt.
Wie aber würde die 19-jährige Karisa Chiu spielen? Der Studentin am Curtis Institute in Philadelphia gelang der wohl rundeste Mozart des Finales (mit dem D-Dur-Konsehr zert KV 218), leuchtend und mit viel Frische dargeboten – und doch letztlich zu herkömmlich in Szene gesetzt, um Entscheidendes zu bewirken. Auch Chiu hatte sich für Brahms entschieden, und fraglos verfügt sie über eine reiche Palette zur Darstellung der Charakterbilder dieses Konzerts. Doch fehlt der Geigerin noch die eigene gestalterische Handschrift – gerade an diesem Punkt ist ihr Joshua Brown voraus. Und so war sich die mit 14 Experten üppig besetzte internationale Jury unter Vorsitz von Benjamin Schmid – er war der Augsburger Mozartpreis-Gewinner von 1991 – schon nach einer Beratung von gerade mal einer halben Stunde einig, wie die Rangfolge der Preisträger gestaffelt sein soll.
Joshua Browns Sieg spiegelte sich im Programm des Abschlusskonzerts am Samstagabend wider. Er spielte noch einmal Tschaikowsky, man spürte: Seine brillante Darstellung, mit ihren lyrischen Farben und dem hinreißenden virtuos-motorischen Drive strahlte noch mehr Gelöstheit aus. Die Kongresshalle feierte ihn mit Standing Ovations. Auch die anderen Finalisten glänzten bei Sätzen aus ihren MozartKonzerten: Karisa Chius elanvolles Allegro KV 218 und Kaoru Oe mit dem köstlich folklorisierenden Finale aus A-Dur 219. Oe beeindruckte dazu kontrastreich: Elzbieta Sikoras „Soleos“war eine furiose Begegnung von technischem Geigenhexenwerk mit zugespielter Elektronik – zurecht bekam er dafür den Sonderpreis Auftragswerk. Künstlerischer Leiter Linus Roth und Simon Pickel (Wettbewerbsleitung) strahlten bei der Preisvergabe, mit ihnen sichtlich beeindruckt Ehrenpräsident Salvatore Accardo im Kurzinterview.