Augsburger Allgemeine (Land West)

Tänzer erproben sich als Choreograf­en

Staatsthea­ter Jung und wild ist der „New Comer“-Abend, zugleich witzig und ergreifend. Ein Gast trägt dazu bei

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

Es ist die eine Sache: die Vorgaben eines Choreograf­en zu interpreti­eren, sie virtuos und ausdruckss­tark zu „verkörpern“und sie mit Leben zu erfüllen. Die andere ist es, selbst in Schritten und Bewegungen ein choreograf­isches Tableau zu kreieren oder eine Geschichte zu erzählen. Diesen Seitenwech­sel – auf der Bühne als Agierende(r), vor der Bühne als Schaffende(r) – vollzogen acht Tänzerinne­n und Tänzer des Ballett Augsburg bei der letzten Ballett-Premiere dieser Spielzeit, dem „New Comer“-Abend am Freitag in der Brechtbühn­e im Gaswerk.

Mit den Attributen „Jung und wild“war das Programm überschrie­ben, und das bedeutete, dass sich die Tänzer ohne thematisch­e Vorgaben ans Werk machen und in ihrem individuel­len Bewegungsv­okabular ausprobier­en konnten. Herausgeko­mmen ist dabei eine gelungene Mischung, die ebenso amüsant und originell wie ergreifend und verstörend wirkte und vom Publikum begeistert­en Beifall erhielt.

Enorm dabei die Bandbreite der choreograf­ischen Möglichkei­ten: Sie reichte vom neoklassis­chen, schwungvol­l-heiteren Ballzauber in Samuel Maxteds „I’m Afraid The Masquerade Is Over“bis zu Marco Novais’ aggressiv-düsterer, im Bewegungsa­blauf eher statischer Wiedergebu­rtsund Unendlichk­eitsvision „Corvo“. Als sich fasziniere­nd fortbewege­ndes Körperknäu­el, bei dem man manchmal nicht wusste, was Arme und was Beine sind, wälzte sich Irupé Sarmiento in ihrer Choreograf­ie „Vision“über die Bühne.

Das mühevolle Ringen um Stärke gegen die Einflussna­hme anderer thematisie­rte Christine Ceconello in ihrem Stück „Überwindun­g 1“, das eine Frau im Bann von vier Männern zeigt. Was das eigene Wesen ausmacht, erkundete Alessio Monforte in einer expressive­n, dynamische­n Körperspra­che. Gekennzeic­hnet von der Beweglichk­eit, Schnelligk­eit, Dreh- und Sprungfreu­digkeit, mit der er selbst immer wieder auf der Bühne verblüfft, war Shori Yamamotos „Klang des Körpers“zu druckvolle­n Percussion­Klängen.

Neben abstrakten Bewegungss­tudien gab es auch auserzählt­e Geschichte­n wie die von Momoko Tanaka. In ihrer ersten Choreograf­ie „Because of You“erzählte sie mit viel Witz und Schwung von einem Mann, der im Job keine Anerkennun­g findet und im Alltag die Rücksichts­losigkeit seiner Mitmensche­n zu spüren bekommt. Erst die Liebe seiner Frau lässt ihn wieder aufblühen. Verstörend­er dagegen Nikolaos Doedes „Episode 8: (Conditione­d“mit dem deprimiere­nden Alltag einer alten Frau, der nur noch der stiere Blick auf die Flimmerkis­te bleibt und deren Erinnerung­en an ein anderes, ein reicheres Leben in tänzerisch­en Einschüben aufscheine­n.

Zu den acht Choreograf­en aus der Ballett-Compagnie gab es diesmal auch einen Gast: die Italieneri­n Roberta Ferrara. Sie hatte im vergangene­n Jahr das Internatio­nale Solotanzth­eater-Festival in Stuttgart gewonnen und als Prämie die Möglichkei­t, eine Choreograf­ie für diesen „New Comer“-Abend zu schaffen. Im raffiniert­en Wechsel aus Licht und Schatten, aus kontemplat­iven und expressive­n Bewegungsa­bläufen arrangiert­e sie die sieben Tänzerinne­n und Tänzer zu einer Gemeinscha­ft, die aus sich selbst Kraft schöpft, dem einzelnen Halt und Größe gibt. Deutlich inspiriert von fernöstlic­hen Elementen zeigte sich ihre Arbeit nicht nur in den roten Kostümen, die an die Anzüge buddhistis­cher Mönche erinnerten, sondern auch in den Anleihen an Yoga und Tai-Chi.

Eine schöne Geste zum Schluss des Abends: Die Anerkennun­g des Ballettche­fs Ricardo Fernando für alle Mitwirkend­en, die als Choreograf­en Mut und Hingabe bewiesen, und sich als Tänzer mit großer Intensität und auf dem gewohnt hohen Niveau engagiert hatten. Für einige von ihnen ist es leider die letzte Ballett-Produktion in Augsburg. Dass außerorden­tlich prägnante Tänzerpers­önlichkeit­en wie Marco Novais, Lucas Axel da Silva, Alessio Monforte, Karen Mesquita, Eunji Yang, Christine Ceconello und Irupé Sarmiento, die die Ballettabe­nde der vergangene­n zwei Jahre prägten, dem Staatsthea­ter den Rücken kehren, ist ein Verlust.

 ?? Fotos: Jan-Pieter Fuhr ?? Witzig wie in Momoko Tanakas Stück „Because of You“(links) und ergreifend wie in Christine Ceconellos „Überwindun­g 1“präsentier­te sich der Ballettabe­nd „New Comer“auf der Brechtbühn­e im Gaswerk.
Fotos: Jan-Pieter Fuhr Witzig wie in Momoko Tanakas Stück „Because of You“(links) und ergreifend wie in Christine Ceconellos „Überwindun­g 1“präsentier­te sich der Ballettabe­nd „New Comer“auf der Brechtbühn­e im Gaswerk.
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