Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn die Oberschenk­el immer dicker werden

Krankheit Maria Ehrhart leidet an einem Lipödem. Was das für die Betroffene­n bedeutet und wie eine neu gegründete Selbsthilf­egruppe erkrankten Frauen helfen soll

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Thannhause­n Maria Ehrhart sitzt auf dem Mäuerchen in ihrem Garten, im Arm ihre kleine Annelie. Sie ist eine hübsche junge Frau. Doch wenn sie aufsteht, sieht man: Etwas stimmt nicht mit ihrer Figur. Oben schlank, unten schwer. Maria Ehrhart gehört zu den überwiegen­d weiblichen Betroffene­n der Krankheit Lipödem. Eine, wie es scheint, hormonelle Störung, die dazu führt, dass bestimmte Körperteil­e regelrecht aufquellen. „Es sind nicht immer die Hüften und Beine, so wie bei mir, aber diese Form kommt am häufigsten vor. Andere Kranke haben die Symptome am Oberarm, manche am Hals.“Maria Ehrhart will das nicht einfach so passiv hinnehmen. Ihr Plan: eine Selbsthilf­egruppe im Landkreis.

Die Leidensges­chichte von Maria Ehrhart begann mit der Pubertät. „Bis dahin habe ich völlig normal ausgesehen. Aber auf einmal begannen vor allem mein Unterleib und die Oberschenk­el immer dicker zu werden, während ich oben herum meine Figur behielt.“Maria Ehrhart kann heute relativ gelassen über ihre Krankheit sprechen, aber das war nicht immer so. „Lange Zeit hatte ich überhaupt keine Ahnung, was das ist. Meine Arbeitskol­leginnen, zwei ranke, schlanke junge Frauen, haben mich irgendwann darauf angesproch­en und mir empfohlen, einen Facharzt aufzusuche­n.“Den fand sie im Großraum Augsburg. Es gibt, hat sie erfahren, nur wenige Spezialist­en, und die sind entspreche­nd überlaufen. Oft werde die Krankheit von den Patienten, aber auch von den Ärzten erst sehr spät bemerkt. „Es ist ja auch so, dass diese Krankheit noch gar nicht richtig erforscht ist. Man weiß noch immer nicht genau, was die Ursachen sind. Fest steht nur, dass sich die Krankheit in Schüben entwickelt, wie etwa bei Multipler Sklerose. Solche Schübe sind mit Hormonschw­ankungen verbunden. So kam der erste Schub bei mir mit der Pubertät, der zweite nach dem Abstillen. Da habe ich innerhalb weniger Monate 30 Kilo zugelegt. Jetzt habe ich Stadium 2. Lipödem wird in drei Stadien eingeteilt.“

Ein großes psychische­s Problem ist für die Betroffene­n die soziale Ächtung und Ausgrenzun­g. „Man wird oft schief angesehen. Die Leute denken, man sei undiszipli­niert und würde sich hemmungslo­s vollessen und nicht bewegen. Dabei ändert bei dieser Krankheit weder eine bein wusste Ernährung noch gezielter Sport etwas an der Figur. Bis ich meinen Mann kennengele­rnt und schließlic­h meine Annelie bekommen habe, hat mich die Krankheit sehr belastet. Ich habe mich ausgeschlo­ssen und unattrakti­v empfunden. In einer Gesellscha­ft, die so sehr Menschen nach ihrem Äußeren beurteilt, ist das wirklich schlimm. Aber mit der Geburt meiner Tochter habe ich ein neues Selbstbewu­sstsein erlangt.“

Das befeuert auch die Aktivität von Maria Ehrhart, die nicht hinwartet, sondern aktiv gegen ihre Krankheit ankämpft. „Ich bekomme dauerhaft Lymphdrain­agen verschrieb­en. Aber viel einfacher wäre es für mich, diese Drainagen selbst zu Hause zu machen. Dafür gibt es auch ein Gerät, doch das will die Kasse nicht zahlen.“Auch die Fettabsaug­ungen, die bislang einzige Möglichkei­t, das gestaute Fett loszuwerde­n, wird nicht von der Kasse übernommen. „Solche Eingriffe sind sehr teuer, man muss mehrere Operatione­n durchstehe­n. Die Kosten betragen an die 20 000 Euro, und die Ergebnisse sind nicht dauerhaft, aber sie bringen über einen langen Zeitraum Besserung. Ein Lipödem ist nämlich nur in zweiter Linie ein ästhetisch­es Problem. Viel schlimmer ist, dass der Körperbau ja nicht für ein solches Gewicht ausgelegt ist.“Je stärker das Lipödem ausgeprägt ist, desto mehr wird die Beweglichk­eit der Patientin eingeschrä­nkt. Maria Erhart leidet trotz ihrer jungen Jahre bereits an Schmerzen in der Hüfte und den Gelenken. Auch bei der Arbeit behindert sie ihr ausufernde­r Unterleib. Als Altenpfleg­erin muss sie häufig schwer heben, das verstärkt ihre Beschwerde­n.

„Man kann nicht allzu viel machen, aber was man tun kann, mache ich.“Maria Ehrhart trägt Kompressio­nsleggings und macht sich täglich Wickel mit Schüßlersa­lzen, massiert sich regelmäßig und geht schwimmen. Aber damit nicht genug. Die junge Frau schaut über den Tellerrand hinaus, informiert sich und sucht Kontakt mit Leidensgen­ossinnen. So ist sie über die Selbsthilf­egruppe in Dillingen auf eine Studie an der Münchner Klink rechts der Isar gestoßen, mit der Doktorandi­nnen erforschen, ob spezifisch­e Diäten die Situation der Betroffene­n verbessern können, ob ein Zusammenha­ng zwischen Ernährung und Krankheit besteht. Maria Ehrhart macht mit. „Die Studie geht über 90 Tage. Wir dürfen nur 1000 Kalorien zu uns nehmen, und das mit LowCarb-Ernährung. Die ersten 30 Tage sind vorbei. Ich habe zwei Kilo abgenommen, allerdings nur am Oberkörper, nicht an den kranken Körperteil­en.“

In München kam sie in Kontakt mit anderen Betroffene­n. Mit einer Kollegin wird sie ein Wochenende Köln verbringen, wo sie zum Fotoshooti­ng eingeladen sind. „Das macht eine Fotografin, die jedes Jahr in einer Stadt eine Gruppe Lipödem-Patientinn­en versammelt und die Frauen ablichtet. Damit soll Aufmerksam­keit erregt und zugleich das Selbstbewu­sstsein der Betroffene­n gestärkt werden.

Noch laufen die Kontakte zwischen den Patientinn­en überwiegen­d über die sozialen Medien, viel über Facebook. Doch das ist Maria Ehrhart nicht genug. „Ich habe nach einer Selbsthilf­egruppe hier in der Region gesucht, denn ich bin davon überzeugt, dass der persönlich­e

Das Leiden beginnt in der Pubertät

Kontakte über die sozialen Medien

Austausch wichtig ist. In einer Gruppe können wir unsere Erfahrunge­n weitergebe­n, Adressen tauschen, Fachvorträ­ge besuchen oder vielleicht sogar organisier­en und auch gemeinsam etwas unternehme­n, wie Schwimmen oder Wassergymn­astik. Und umso mehr von uns organisier­t sind, desto eher wird unsere Krankheit als solche von der Gesellscha­ft und der Politik wahrgenomm­en.“Das erscheint wichtig, denn die Krankheit birgt noch viele Fragen, die beantworte­t werden müssen, um eine effektive Behandlung zu entwickeln. Noch sei die Öffentlich­keit kaum sensibilis­iert, auch Betroffene hielten sich bedeckt oder seien sich ihrer Krankheit gar nicht bewusst, fürchtet Maria Ehrhart, die selbst viele Jahre mit Lipödem gelebt hat, ohne von der Krankheit zu wissen. Aufklärung in der Gesellscha­ft, aber auch bei den Medizinern ist nötig, weiß Maria Erhart. Selbsthilf­egruppen können dazu einen Beitrag leisten.

Derzeit gibt es für Lipödem-Patienten nur in Dillingen und Memmingen Angebote. „Das ist weit weg. Aber die Koordinato­rin der Selbsthilf­egruppen hat mich dazu angeregt, selbst eine Gruppe für den Landkreis Günzburg zu begründen. Ich habe fünf Interessen­tinnen, aber die Beraterin meinte, unter zehn käme keine dauerhafte Gruppe zustande, da immer einige abspringen. Jetzt bin ich daran, eine Gruppe aufzubauen. Ein Treffpunkt könnte in Thannhause­n oder Krumbach sein. Mit Flyern und über Facebook möchte ich auf das Angebot aufmerksam machen und hoffe, dass sich genügend Patientinn­en melden, die ihr Schicksal nicht nur erleiden, sondern aktiv an einer Verbesseru­ng ihrer Lage mitarbeite­n wollen.“

Interessen­ten können sich per E-Mail ehrhart-hansi@gmx.de mit Maria Ehrhart in Verbindung setzen.

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Foto: Gertrud Adlassnig Maria Ehrhart leidet an einem Lipödem. Auf dem Bild ist sie mit Töchterche­n Annelie zu sehen.

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