Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn der Chef krank ist, dann ist Party
Fehlt der Chef, eröffnen sich den Untergebenen ungeahnte Möglichkeiten. Strenge weicht Laissez Faire und Dolce Vita. Als die deutschen Nationalspieler und der Trainerstab von der verletzungsbedingten Absage ihres Chefjogis erfuhren, kramte Kapitän Manuel Neuer flugs Plan B der EM-Qualifikationsreise aus der Schublade. Den hatte der einstige Vergnügungswart Thomas Müller in seinem Spind liegen gelassen. Neuer buchte zunächst um, statt sich in die Sportschule Malente einzukasernieren, verlegte er den Treffpunkt der Mannschaft ins niederländische Venlo. Der Umweg über Amsterdam hatte sich ebenfalls gelohnt, komplett entspannt und durchgelüftet kamen die Kicker im Quartier an. Außerdem fanden sich noch ein paar Reserve-Stimmungsaufheller im Gepäck, sollte der Trip ins Weißrussische in Ödnis enden. Weit gefehlt. Am Abend vor dem Spiel in Bate Borisov - intern sprach die Mannschaft nur noch von „Wodka Gorbatschow“- hatte Jérôme kurzfristig zu einer Party eingeladen.
Auf dieser präsentierte der zum Influencer umgeschulte Ex-Profi nach „Boa“sein zweites Lifestylemagazin „Teng“. Ohne Mannschaftsbesprechung, dafür mit reichlich Plauderei über den anekdotenreichen Abend, betrat die Mannschaft gegen Weißrussland den Rasen. Neuer war gar nicht erst schlafen gegangen und ziemlich aufgedreht, Mitspieler mussten ihn nach einem gewagten Dribbling an sein Torwartdasein erinnern. Nach dem locker herausgespielten Erfolg hatten es die Spieler eilig. Mats vermisste seine DFB-Kumpels, spontan hatte er in eine Finca auf Malle eingeladen.
Aus alter Verbundenheit sagten Neuer und Reus zu, obwohl Teamfrischlinge wie Gnabry, Havertz oder Kehrer nach Ibiza drängten. Nach kurzem Abstecher bezog die Nationalmannschaft ihr Teamhotel in Mainz. Natürlich kein Zufall, Prinz Poldi aus Köln pflegte zur Partner-Karnevalshochburg weiterhin gute Kontakte und hatte manchen Freizeittipp parat. Dem Spiel gegen Estland schenkten Aushilfsjogi Sorg und die Kicker angesichts der rundum gelungenen Vergnügungsreise kaum noch Beachtung. Alle sprachen nur noch von der tollen Stimmung. Gnabry etwa bekannte: „Wir verstehen uns sehr gut, da macht so eine Entwicklung Spaß.“Und Sorg erklärte, die Spieler hätten jetzt Urlaub verdient.
Erholung hatten sie wirklich nötig: nach dieser anstrengenden Woche. Es wird Zeit, dass der Chef wieder kommt.