Augsburger Allgemeine (Land West)
Entfernte Freunde
Bilanz Für deutsche Unternehmen sind die Vereinigten Staaten traditionell der wichtigste Partner. Doch durch den Handelskrieg der USA mit China steht auch für die hiesige Wirtschaft viel auf dem Spiel
Berlin Der Handelskrieg zwischen China und den USA hat bislang vor allem diffuse Ängste ausgelöst. Neue Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft, kurz IW, zeigen nun ganz handfest auf, welche Gefahren vom Protektionismus der US-Administration und ihres Präsidenten Donald Trump ausgehen: Nach IW-Berechnungen lag der Welthandel des ersten Quartals 2019 um 0,8 Prozent unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Es ist der stärkste Rückgang seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2009. Präsentiert wurden die alarmierenden Zahlen auf der Deutsch-Amerikanischen Konferenz der Atlantik-Brücke und des American Council am Mittwoch in Berlin. Der Chef der Atlantik-Brücke, Friedrich Merz, warnte: „Politische Unsicherheit ist ein ökonomisches Risiko.“
Für Professorin Galina Kolev sind Unsicherheiten in der Politik, zu der zweifelsohne die Tweet-Politik von Donald Trump zu zählen ist, ebenfalls ein wesentlicher Negativfaktor in der wirtschaftspolitischen Gemengelage zwischen den USA und China, aber auch zwischen den USA, der EU und Deutschland. Die Handelsexpertin des IW Köln beobachtet eine stark verunsicherte deutsche Wirtschaft. „Diplomatisches Handeln fällt momentan schwer, über Investitionen hängt wie eine düstere Wolke die wirtschaftspolitische Unsicherheit“, referierte Kolev.
Den IW-Zahlen zufolge steht für die deutsche Wirtschaft viel auf dem Spiel. Die USA sind mit 8,6 Prozent der deutschen Warenexporte der größte Exportmarkt. Maschinen, Autos und pharmazeutische Produkte machen 71 Prozent der deutschen Ausfuhren in die Vereinigten Staaten aus. Die USA sind demnach das Land, in dem deutsche Unternehmen am meisten in Produktionsstätten oder Unternehmensanteile investieren. Rund 5400 deutsche Firmen haben sogenannte Direktinvestitionen mit einem Gesamtvolumen von 335 Milliarden Euro getätigt – vier Mal mehr als in China. Rund 830 000 Menschen in den USA haben einen Arbeitgeber aus Deutschland.
Diesem Markt fehlen allerdings zunehmend die Leitplanken, die das Geschehen in den letzten Jahrzehnten zumindest einigermaßen in geordnete Bahnen gelenkt haben. Kolev regte bei der Deutsch-Amerikanischen Konferenz deshalb an, eine Welthandelsorganisation der zwei Geschwindigkeiten zu konstruieren. „Bestimmte Vorteile des Freihandels und des Marktzugangs sollten auf Länder beschränkt werden, die nach den von diesen Ländern festgelegten und akzeptierten Regeln spielen“, erklärte die Expertin.
Sowohl die Europäische Union als auch die Vereinigten Staaten seien an verlässlichen Regeln im internationalen Handel interessiert. Allerdings müssen sich alle Länder auch tatsächlich an diese Regeln halten, „anstatt sie zu missbrauchen“, mahnte Kolev, die als Beispiel die „nationalen Sicherheitsinteressen“nannte, die Trump als Begründung für die Verhängung von Strafzöllen vorschiebt.
Friedrich Merz erinnerte in diesem Zusammenhang an den Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Washington im Juli vergangenen Jahres. Juncker habe im Weißen Haus Gegenreaktionen der EU angekündigt, falls es die USA übertreiben sollten. „Die Sprache wird in Washington verstanden“, betonte Merz. Deutschland müsse zusammen mit den anderen EU-Staaten höflich und anständig im Ton bleiben, „aber auch klar in der Sache, und dies möglichst europäisch“.