Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn die Küche ins Wohnzimmer rückt
Zuhause Der Trend zur offenen Küche ist ungebrochen: Jetzt setzen die Designer immer mehr darauf, die Funktionen einerseite besonders in Szene zu setzen und doch zugleich mit den Wohnmöbeln unscheinbar zu verschmelzen
Wer heutzutage die Neuheiten in den Küchenstudios und Küchenabteilungen der Möbelhäuser anschaut, wundert sich an mancher Stelle: Da ist gar keine Küche. Scheinbar nur Tische, Sideboards und vor allem Schrankwände sieht man. Aber wer diese öffnet, die Platten und Türen verschiebt, findet dann alles, was man braucht zum Zubereiten, Kochen und Spülen. Dabei will die Küche durchaus noch das sein, was sie ist: ein Versorgungszentrum und Treffpunkt der Familie. Aber sie soll mehr als ein Werkraum sein, der hinter geschlossener Tür steckt. Das führt aktuell zu zwei Entwicklungen bei den Küchenmöbeln: Zum einen wird die Küche zum Wohnzimmer und zum Zentrum des Hauses.
Die Designer entwickeln verstärkt Küchenmöbel, die wie Wohnzimmermöbel aussehen. So finden sich auch in der Küche nun Schrankwände mit Glasvitrinen und offenen Regalen. Gläser, Geschirr, Gewürze und sogar Messersammlungen lassen sich darin in Szene setzen – wie die Dekoration im Wohnzimmer. Zugleich aber wird in dieser neuen Wohn-Küche alles versteckt, was eben nicht dekorativ wirkt und an Arbeit erinnert. Das geht so weit, dass die Firma Porcelanosa die Kochfelder ganz verschwinden lässt, indem sie eine steinerne Arbeitsfläche über ein Induktionsfeld legt.
Auch sonst sind Kochfelder kaum noch bemerkbar: Es gibt einen Trend zu komplett schwarzen Küchen – ein schwarzer, flächenbündig eingebauter Kochbereich verschmilzt optisch mit der Arbeitsplatte. Dunstabzugshauben sind vermehrt direkt im Kochfeld eingebaut oder verkleiden sich als stylishe Leuchten über der Kücheninsel. Spülbecken werden mit Platten abgedeckt, wenn man sie nicht nutzt die Armaturen lassen sich wegklappen und einstecken. Man sieht auch viele Ausfahrmechanismen: So verbirgt sich beispielsweise beim Hersteller Oster Küchen in einem Tisch eine ausfahrbare kleine Bar beziehungsweise ein Regalsystem für unsichtbaren Stauraum.
Auffällig ist bei vielen Neuheiten der Branche vor allem eines: Viele Geräte sowie ganze Arbeitsbereiche und Regale werden hinter Türen und Laden versteckt. Und sogar diese können verschwinden: „Verstärkt im Angebot sind sogenannte Taschentüren, also Türen, die in geöffneter Position vollständig in die Seiten des Schrankes geschoben und nicht im Wege stehen“, erklärt Volker Irle von der Arbeitsgemeinschaft „Die Moderne Küche“. Optisch hat das seinen Reiz: Der Kochbereich wirkt dann so, als gebe es dort gar kein Möbel. Stattdessen könnte vermeintlich die Wand mit Paneelen verkleidet sein. Oder da steht ein Kunstwerk aus Stein - Cornelius Paxmann, Chef der gleichnamigen Küchenfirma, bezeichnet seine Küche daher als Raumskulptur.
Viele Firmen nutzen diese Entwicklung und bestücken nun Räume, die sie bislang nicht einrichten. Zum Beispiel bietet Sachsenküchen nun ein ganzheitliches Wohnkonzept für Küche und Wohnbereich an, kündigt Geschäftsführer Elko Beeg an. Es geht aber auch umgekehrt: Zum Beispiel hat sich der Regalhersteller String bereits weg vom Bücherregal hin zum Küchenregal gewagt.
Die Küche rückt im offenen Grundriss verstärkt in den Fokus. Wo Wände fehlen, braucht der Mensch dennoch noch einen zentralen Sammelpunkt. Das ist oftmals die Küche und ihr Tresen oder Schreibtisch. Statt die Küchenmöbel daher zu verstecken, setzt der Designer Alfredo Häberli sie in das Zentrum seines Hauses. Er hat für die Möbelbranche eine virtuelle „Future Kitchen“erdacht hat. „Die Küche ist für mich weiterhin die Seele des Hauses, die Feuerstelle, an der sich alle versammeln», sagte Häberli. Das Esszimmer benennt er um in „die soziale Küche“, da beide Bewerden reiche quasi untrennbar sind. Auch in Häberlis ebenso minimalistischen wie auf umweltfreundliche Nachhaltigkeit getrimmten Entwurf sind keine Geräte und keine Arbeitsbereiche klar auszumachen. Das liegt aber am Ansatz des Projektes, es soll die nähere Zukunft zeigen. Also Geräte, die erst in fünf bis zehn Jahren beim Verbraucher ankommen.
Geht es nach dem Designer, wird der Kühlschrank einen kompletten optischen Wandel durchmachen – für eine verbesserte Nutzung von Lebensmitteln. Er wird durchsichtig sein und auf Augenhöhe horizontal auf einem Regal liegen. So soll man die darin gelagerten Lebensmittel häufiger zufällig sehen, und dadurch mehr daran erinnert werden, sie vor Ablauf zu verzehren. Häberli präsentiert seine Zukunftsvisionen deshalb als virtuelle Projektionen. Er kennt noch Arbeitsflächen und sichtbare Geräte, aber er spielt ebenfalls mit dem Zusammenwachsen der Wohnräume als Einheit. Zum Beispiel kann sich Häberli vorstellen, dass die Herdplatte künftig tragbar ist wie ein Tablet. Bei Bedarf kann sie am Tisch genutzt werden, erklärt der Schweizer Designer. Oder man setzt sie mitten auf den Tresen, wo die Herdplatte Zentrum jeder gemeinsamen Kochsession der Familie oder des Freundeskreises wird.
So weit in die Zukunft gedacht ist das aber gar nicht: Seine private Küche biete die Kochstelle schon am Tresen, erzählt der Züricher Designer. „Wenn meine Familie zu Feiern zusammenkommt, werkeln hier alle gemeinsam. Oder meine Frau kocht mit Freundinnen, und dann stehen hier alle, kochen und reden und reden.“
Ein anderer Trend ist, dass sich Küchen auch nach dem Trend zu mehr vegetarischer Ernährung richten: „Es gibt einige Elemente und Komponenten, die Vegetariern oder
Armaturen lassen sich wegklappen und einstecken
Veganern die Arbeit erleichtern. Die sind aber auch für Leute nützlich, die gesund und frisch kochen und dabei nicht auf Fleisch verzichten“, sagt Volker Irle von „Die Moderne Küche“.
Die wichtigste Komponente liegt auf der Hand: Man schnippelt viel Gemüse und muss dafür ausreichend Platz haben. Sobald man sich in der vegetarischen oder veganen Welt bewegt, wird die Küche schnell international. In sehr vielen Völkern dominiert die pflanzliche Ernährung und es werden die unterschiedlichsten Gewürze genutzt. Die Küche sollte also genügend Platz und Gefäße dafür bieten – möglichst kühl und dunkel, aber gut erreichbar.
Vielleicht lohnt sich sogar ein Gewächsschrank, die zunehmend im Trend liegen, in dem man mithilfe von LED-Licht selbst Salat, Gemüse und Kräuter ziehen kann. Erste Geräte gibt es schon für den Einbau in Privatküchen. Auch kleinere Gewächshäuser für einzelne Pflanzen sind erhältlich.
Dabei es gibt auch den gegenteiligen Trend: Für überzeugte Fleischgenießer bieten Hersteller jetzt auch schick beleuchtete Dry-Age-Kühlschränke zum Reifen von Fleisch in der Privatküche.