Augsburger Allgemeine (Land West)
Nannerl, die verhinderte Musikerin
Die verhinderte Musikerin
Zwischen Webstühlen und Stoffen.
Nannerl, die Schwester des Virtuosen Wolfgang Amadeus Mozart, legt Wäsche zusammen. „Wie ich es liebe, zu reisen“, sagt sie mit einer Stimme so jugendlich wie naiv. Fast vier Jahre war das Mädchen in Europa unterwegs, um mit ihrem jüngeren Bruder Konzerte zu spielen. Deutschland und Frankreich. Dann England. Und nun? Nun soll es nach Italien gehen. So beginnt die erste Szene von „Bagage“, dem aktuellen Stück der Bluespots Productions. Am Freitag feiert das freie Theaterensemble damit Premiere im Staatlichen Textil- und Industriemuseum (tim) in Augsburg.
Die Geschichte der Mozart-Dynastie glaubt jeder zu kennen. Besonders in Zeiten, in denen MozartVater Leopold 300 Jahre alt geworden wäre. Würden Stücke über die Familie inszeniert, sagt Regisseur René Rothe, so gelinge der Zugang direkt über ihn. Oder, wie in den meisten Fällen, über dessen Sohn und Wunderkind Wolfgang Amadé. Für das Augsburger Theaterkollektiv schien das zu einfach, zu offensichtlich zu sein: Also betrachtete Bluespots Productions die Biografie der Tochter, um die Familie aus weiblicher Perspektive zu begreifen – Maria Anna Mozart steht als „’sNannerl“im Zentrum der Erzählung von „Bagage“.
Die Planungen für das Stück begannen bereits vor einem Jahr, seit Monaten laufen die Intensivarbeiten an Recherche und Text. Wie Lisa Bühler erzählt, habe sich das Team vor allem für die Persönlichkeiten der Mozart-Familie interessiert, „für Dinge, die nicht in Büchern stehen“. War Leopold zum Beispiel stolz auf seine Kinder? Wie hat sich ’sNannerl in dieser Situation gefühlt? Was wollte die Mozart-Tochter insgesamt für ihr Leben? Gleichzeitig zitiert das Kollektiv aus Briefen und Tagebüchern, um sich der Gefühlswelt der Anna Maria Mozart authentisch nähern zu können.
Wie bei allen Inszenierungen, so haben Bluespots Productions auch diesmal eine ungewöhnliche Spielstätte gewählt. „Bagage“spielt im Augsburger Textilmuseum. Ein glücklicher Zufall sei es gewesen, erzählt Kristina Beck, dass dort die Ausstellung „Mozarts Modewelten“eröffnet hatte. Schnell sei man zusammengekommen. „Wir hatten Bock drauf, sie hatten Bock drauf.“Und so kam’s.
Klar gewesen sei dem Ensemble auch, dass der Museumscharakter des tim Teil der Darstellung werden sollte. Auf dieser Basis kreierte die Gruppe ein Wanderstück, das dem Publikum Nannerls Geschichte in Etappen erzählt. Lisa Bühler: „Wir brauchten weitläufige Räume, die hintereinander funktionieren, wenn man sich hindurchbewegt.“Als Zuschauer würde man durch Foyer, Dauerausstellung, Sonderausstellung, Werkstatt, Multivisionsraum geführt, ebenso wie man durch die Lebenswirklichkeiten der Familie und die Zeit geführt werde. „Wir wollen, dass man das Thema erforschen kann.“
Aufgabe des Regisseurs war es, die Geschichte in einen Parcours umzusetzen. „Man muss einen spielerischen Aspekt finden, sonst macht man Dokumentationstheater“, sagt René Rothe, der nach „Shitty City“zum zweiten Mal die Regie für Bluespots Productions übernimmt. Durch sein Studium und die langjährige Arbeit am Dresdner Staatstheater kam Rothe mehr als oft in Berührung mit der Mozart-Familie. Dennoch, sagt er, sich die Frage danach zu stellen, wie sich die Erzählung aus weiblicher Perspektive schildert, sei auch für ihn spannend gewesen.
Fragen zu stellen – davon lässt sich Bluespots Productions überhaupt leiten. Und zwar bereits seit sieben Jahren. Nachdem Gründerin und Leiterin Leonie Pichler das Ensemble zum Jahreswechsel verlassen hatte, musste sich die Gruppe allerdings umorganisieren. Seit Ende 2018 – aber auch schon vorher, bekräftigt das Team – arbeite man verstärkt mit einer kollektiven Idee. So könne jeder Einzelne Kompetenzen und Ideen in die Produktionen miteinfließen lassen.
ⓘ
Termin Die Premiere am Freitag, 14. Juni, ist ausverkauft. Weitere Termine vom 16. 6. bis 5. 7.; Karten vorab unter www.bluespotsproductions.de/tickets