Augsburger Allgemeine (Land West)

Der beste Freund wird zum Geist

Soziale Medien Wenn jemand einfach so aus dem Leben verschwind­et, heißt das „Ghosting“

- VON JULIA KLINGAUF

Landkreis Augsburg Vor ein paar Tagen noch gemeinsame Pläne gemacht und dann plötzlich ignoriert – so schnell kann es zum sogenannte­n „Ghosting“kommen. Doch was bedeutet Ghosting überhaupt? Geht es wirklich um einen Geist? Beinahe – gemeint ist ein Mensch, der zum Geist wird.

Der Begriff beschreibt den vollständi­gen Kontaktabb­ruch, den manche Menschen nutzen, um eine Beziehung oder Freundscha­ft zu beenden. Oft passiert dies bei Personen, die nur online kommunizie­ren und sich nicht persönlich kennen.

Aber auch nach jahrelange­n Beziehunge­n entscheide­n sich Partner teilweise für diese unfaire Art, Schluss zu machen: Anrufe und Nachrichte­n werden ignoriert, als hätte es die Person nie gegeben. Der einst so vertraute Mensch wird praktisch ein Geist, auf Englisch „Ghost“.

Neu ist dieses Phänomen nicht. Früher blieben Briefe unbeantwor­tet und Festnetzan­rufe wurden „weggedrück­t“. Doch Dating-Apps und die vermehrte Kommunikat­ion über soziale Medien haben Ghosting in den vergangene­n Jahren einfacher gemacht. Nutzer können ihre Kontakte mit wenigen Klicks entfreunde­n, stummschal­ten oder blockieren.

Laut einer Studie von Elite Partner aus dem Jahr 2018 wenden Frauen Ghosting häufiger an. Es heißt, während bei den weiblichen Singles unter 29 Jahren etwa 36 Prozent schon einmal jemanden geghostet haben, verschwind­et nur knapp jeder fünfte Mann auf diese Art nach dem Kennenlern­en. Doch warum entscheide­n sich Menschen überhaupt, ihre Beziehung so zu beenden?

In vielen Fällen handelt der Ghost aus eigener Unsicherhe­it heraus. Er hat Angst vor einem Konflikt, einer peinlichen Situation oder vielleicht auch davor, mitzuerleb­en, wie verletzt die andere Person ist. Dass das Ghosting dem Opfer besonders wehtut, spielt dabei keine Rolle, denn das merkt der Ghost schließlic­h nicht mehr. Manchmal ist auch ein Mangel an Empathie der Grund. Oder es liegt einfach an der Bequemlich­keit und dem fehlenden Interesse daran, sich mit dem Partner auseinande­rzusetzen. Jedoch rechtferti­gt nichts davon einen derartigen Kontaktabb­ruch.

Die Opfer suchen oft verzweifel­t nach Anhaltspun­kten und fälschlich­erweise nach eigenen Fehlern. Das schadet nicht nur dem Selbstwert­gefühl, sondern macht sie auch anderen Menschen gegenüber misstrauis­cher. Hinzu kommt natürlich die Trauer über die verlorene Liebe oder Freundscha­ft.

Doch auch für den Verantwort­lichen hat Ghosting negative Auswirkung­en. Ohne eine Aussprache ist das Problem im Kopf nie ganz abgeschlos­sen und das dauerhafte schlechte Gewissen wird zur Belastung. Womöglich trifft der Ghost sein Opfer später einmal noch zufällig, was besonders unangenehm für ihn ist.

Trotzdem ziehen manche Menschen Ghosting einem persönlich­en Gespräch oder einer erklärende­n Nachricht vor. In diesem Fall gibt es einige Tipps, die dem Opfer zumindest etwas helfen können. Am wichtigste­n ist es, dem Ghost nicht hinterherz­urennen. Das zieht die Hoffnungen und die anschließe­nde Enttäuschu­ng nur unnötig in die Länge und gibt am Ende zusätzlich das Gefühl, sich blamiert zu haben.

Um für sich selbst mit dem Thema abzuschlie­ßen, kann es helfen, eine Abschiedsn­achricht zu schreiben. Darauf wird der Partner nicht reagieren, aber es geht dabei auch nur darum, für sich selbst einen Schlusspun­kt zu setzen. Wer nur für sich selbst eine Art Abschiedsb­rief schreiben möchte, um das Geschehene zu verarbeite­n, kann diesen auch einfach für sich selbst behalten und verwahren. Oft hilft schon alleine das Niederschr­eiben der Gedanken und Gefühle – selbst ohne darauf eine Antwort vom Gegenüber zu bekommen. Die Trauer über das Ereignis muss niemand verdrängen. Es ist vollkommen normal und in Ordnung, über einen Verlust traurig zu sein. Trotzdem sollte der Geghostete dann auch wieder nach vorne blicken und sich nicht verunsiche­rn lassen. Schließlic­h zeigen bestimmte Verhaltens­weisen auch oft den wahren Charakter eines Menschen.

 ??  ?? Geblockt, gelöscht, ignoriert: Ein solcher Kontaktabb­ruch ohne Vorankündi­gung kann ein großer Schock sein. Viele Jugendlich­e haben die Situation, dass sich ein Freund einfach so nicht mehr meldet, schon erlebt. Symbolfoto: Antoniogui­llem
Geblockt, gelöscht, ignoriert: Ein solcher Kontaktabb­ruch ohne Vorankündi­gung kann ein großer Schock sein. Viele Jugendlich­e haben die Situation, dass sich ein Freund einfach so nicht mehr meldet, schon erlebt. Symbolfoto: Antoniogui­llem

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