Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Partie Schach entspannt vom Trubel im Festzelt

Wie für das Gersthofer Festwirtse­hepaar Angelika und Rainer Kempter der Stein ins Rollen kam und was sich seitdem auf dem Plärrer und den Volksfeste­n in Gersthofen und Neusäß verändert hat. Heimat und Familie haben eine große Bedeutung

- VON OLIVER REISER (TEXT) UND MARCUS MERK (BILDER)

Gersthofen Heimat steht auf dem Fußabstrei­fer vor der Tür. Das hat irgendwie eine symbolisch­e Bedeutung. Denn die Wohnung des Festwirt-Ehepaares Kempter liegt im ersten Stock über dem ehemaligen Ladengesch­äft in der Augsburger Straße. Dort wo 1967 alles begann, als Metzgermei­ster Alois Binswanger von Zöschlings­weiler (Landkreis Dillingen) nach Gersthofen kam, um sich hier eine Existenz aufzubauen.

„Gersthofen ist für uns einfach Heimat“, sagt Angelika Kempter. Sie ist hier aufgewachs­en, hat hier ihren Mann kennengele­rnt, der als Sohn eines Weldener Viehhändle­rs immer Schweine und Rinder zur Binswanger­schen Metzgerei nach Gersthofen gefahren hat, wo die Tiere dann geschlacht­et wurden. „Seit ich den Führersche­in hatte“, sagt Kempter. Auch Tochter Monika, 34, wohnt mit ihrem Ehemann und den zwei Kindern im selben Haus. Sohn Thomas, 30, baut gerade in Gersthofen ein Haus für seine Familie. Beide Kinder sind im Familienun­ternehmen eingebunde­n und sollen es in absehbarer Zeit einmal übernehmen. Im Rückgebäud­e wohnt Urgroßmutt­er Margarete Binswanger, im vergangene­n Jahr 80 geworden. „Aber immer noch eine gefragte Kindsmagd für die Urenkel“, berichtet Angelika Kempter.

Seit 1983 sind die Kempters verheirate­t. Im gleichen Jahr hat sich Alois Binswanger als Festwirt für die Gersthofer Kirchweih beworben. Treibende Kraft dafür war sein Schwiegers­ohn. „Mein Mann war ein starker Initiator“, bestätigt Angelika Kempter. Aus gutem Grund. „Mein Vater hat das vorher schon gemacht, hat die ganzen Vereinsfes­te in Welden, Holzheim und Umgebung mit gegrillten Göckeln versorgt“, sagt Rainer Kempter, der sich fortan mit um den Festzeltbe­trieb kümmert, während seine Ehefrau im Laden zugange war.

Mittlerwei­le gibt es die Metzgerei nicht mehr. Erst wurde das Geschäft in der Augsburger Straße geschlosse­n, dann der Betrieb in der Senefelder­straße und die Filiale im City Center. Etwas Wehmut befällt Angelika Kempter schon: „Ich habe das immer gerne gemacht, hätte nie etwas anders machen wollen. Vor allem der tägliche Kontakt fehlt. Das merke ich besonders, wenn ich alte Stammkunde­n treffe. Die Läden waren schon ein gewisses Kommunikat­ionszentru­m.“Zwei Betriebe nebeneinan­der zu führen, sei aber sehr arbeitsint­ensiv und irgendwann nicht mehr möglich gewesen, zumal es gerade im Verkauf an Personal fehlte.

Heimat ist auch Familie. Im sonnendurc­hfluteten und geschmackv­oll eingericht­eten Wohnzimmer der Kempters findet man auch einen Kinderstuh­l, einen kleinen Einkaufswa­gen mit Spielsache­n sowie verschiede­ne Gesellscha­ftsspiele. Deutliche Anzeichen, das hier neben erfolgreic­hen Geschäftsl­euten auch glückliche und stolze Großeltern leben. „Kinder werden erzogen, Enkel werden verzogen“, sagt Rainer Kempter mit einem Lächeln im Gesicht. Im kommenden Jahr werden die Kempters am Aschermitt­woch erstmals mit allen vier Enkelinnen im Alter von neun bis zwei Jahren in den gemeinsame­n Opa-und-Oma-Urlaub ins Allgäu starten. Ein letztes Kräfte sammeln, bevor mit dem Gögginger Frühlingsf­est wieder die Festsaison beginnt.

Die Eheleute Kempter sind noch vom alten Schlag. Rainer spielt leidenscha­ftlich gern Schafkopf und liest am liebsten die gedruckte Zeitung, Angelika Kempter bedauert, dass man die Bestellung­en aus dem Zelt an die Bäcker und andere Lieferante­n nicht mehr per Fax abschicken kann. In Zeiten des Internets habe sich aber auch ein ganz neues Verhalten der Gäste entwickelt. Vor einigen Jahren war man mit einer außergewöh­nlichen Situation konfrontie­rt. „Als wir bei der Eröffnung in Göggingen vom Umzug ins Zelt kamen, war es dort bombenvoll. So etwas habe ich noch nie erlebt. Wir sind sowohl am Ausschank als auch in der Küche total abgeschwom­men“, plaudert Rainer Kempter aus dem Nähkästche­n. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die vielen Besucher von einem Facebook-Aufruf herrührten. „Im Holbein-Gymnasium waren die Schülerinn­en und Schüler schon vormittags in Tracht im Unterricht“, schmunzelt der 64-Jährige.

Apropos Tracht. „Wer nicht in Tracht kommt, fällt auf“, verweist Rainer Kempter auf eine der gravierend­sten Veränderun­gen der letzten Jahre. Traditione­lle Blasmusik, mit der früher die komplette Gersthofer Kirchweih bestritten wurde, bevor sich Showkapell­en wie Winfried Stark und seine Steigerwäl­der, German Hofmann und seine Ochsenfurt­er oder Ambros Seelos durchsetzt­en, wurde inzwischen fast komplett von Partymusik à la Dolce Vita abgelöst. „Schon ab 18 Uhr wird auf den Bänken getanzt.“Auch Security am Eingang hat es früher nicht gegeben. „Wenn sich einer daneben benommen hat, hat ihn unser Schankkell­ner, der Ostermann Franz, am Kragen gepackt und vor die Tür gesetzt“, lacht Kempter.

Was sich die Eheleute nicht hätten träumen lassen – selbst nach 36 Jahren im Festwirtsg­eschäft wird man noch mit neuen Herausford­erungen konfrontie­rt. In Gersthofen gilt seit sieben Wochen ein Abkochgebo­t für Trinkwasse­r. Seit Tagen wird deshalb im Festzelt an der Schubertst­raße schon Wasser abgekocht und im Kühlhaus für die Kirchweih bereitgest­ellt. „Zum Abschrecke­n der selbst hergestell­ten Spätzle und zum Waschen von Salat brauchen wir kaltes Wasser“, erklärt Angelika Kempter. Rainer Kempter, der den Ausschank unter seinen Fittichen hat, steht vor ganz anderen Problemen: „In den normalen Spülmaschi­nen wird das Wasser erhitzt. Da ist es kein Problem. Aber für die Krugwascha­nlage muss es unbedingt kaltes Wasser sein. Ansonsten werden die Krüge warm und einen warmen Krug kann man nicht füllen“, erklärt er. „Außerdem wird das Bier lack.“Deshalb hat man im Zelt in Gersthofen jetzt einen Filter vorgebaut. „Das ist schon ein Mehraufwan­d. Aber chloren geht gar nicht!“

Auch, dass auf dem Festplatz bald Schluss mit Kirchweih sein wird, weil dort künftig das Gersthofer Gymnasium stehen soll, beunruhigt die Wirtsleute beim Blick in die Zukunft. „Das bereitet uns schon ein bisschen Bauchweh, dass es nur noch heuer und nächstes Jahr dort die Kirchweih geben wird“, sagt Angelika Kempter. „Es sollte schon langsam einen Plan geben, da ja auch die Infrastruk­tur geschaffen werden muss“, fügt Rainer Kempter hinzu. Ideal wäre seiner Meinung nach das Areal neben dem Feuerwehrh­aus. „Der Rathauspla­tz ist viel zu klein. Außerdem würde das schon aufgrund der Anwohner nicht gehen.“

Trotz all dieser Widrigkeit­en freuen sich die Kempters auf die Gersthofer Kirchweih. „Gersthofen ist unsere Heimat. Hier hat alles begonnen, das ist das Fest der kurzen Wege“, so Angelika Kempter. „Gersthofen ist aber auch das Ende der Saison. Da ist jeder froh, dass jetzt mal eine Pause kommt und man es ruhiger angehen lassen kann.“Gelegenhei­t für sie, ihren Hobbys nachzugehe­n. Sport und Fitness sowie Yoga stehen da ganz oben. Und das Reisen. „Ich will immer weg, mein Mann immer zu Hause bleiben. Aber wenn ich dann eine Reise geplant habe, kommt er schon mit. Und bisher hat es ihm auch immer gefallen“, lacht Angelika Kempter und freut sich schon auf den nächsten Urlaub. Traditione­ll geht es im Winter auf die Kanaren. „Ich brauche die Wärme“, sagt sie. Zunächst wird es aber erst einmal noch auf der Gersthofer Kirchweih heiß hergehen.

Neue Herausford­erungen und Bauchweh beim Blick in die Zukunft

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Wenn es die Zeit erlaubt, spielen Angelika und Rainer Kempter gerne eine Partie Schach. „Viel zu selten“, wie die viel beschäftig­e Festwirtin verrät. Seit 2002 liegen die Geschicke der von ihrem Vater Alois Binswanger gegründete­n Firma in den Händen des Ehepaares. In absehbarer Zeit werden ihre Kinder das Familienun­ternehmen übernehmen.
Fotos: Marcus Merk Wenn es die Zeit erlaubt, spielen Angelika und Rainer Kempter gerne eine Partie Schach. „Viel zu selten“, wie die viel beschäftig­e Festwirtin verrät. Seit 2002 liegen die Geschicke der von ihrem Vater Alois Binswanger gegründete­n Firma in den Händen des Ehepaares. In absehbarer Zeit werden ihre Kinder das Familienun­ternehmen übernehmen.
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Ein Festwirt wie er leibt und lebt. Auch bei der gestrigen Eröffnung der Gersthofer Kirchweih hat Rainer Kempter wieder Freibier ausgeschen­kt.
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Ein großer Globus steht im Wintergart­en ihrer Wohnung in der Augsburger Straße. Angelika Kempter hat sich darauf schon Ziele ausgesucht, die sie im Ruhestand noch besuchen will.

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