Augsburger Allgemeine (Land West)

Etwas Besonderes in Lechhausen

Immer weniger Menschen sind bereit, sich in einer Freiwillig­en Feuerwehr zu engagieren. Doch im Augsburger Osten geschieht das Gegenteil: Es entsteht eine neue Wehr mit über 40 Aktiven. Wie kommt es dazu?

- VON JÖRG HEINZLE

Es ist eine große Aufgabe, die sich mehr als 40 Frauen und Männer in Lechhausen aufgebürde­t haben. In nur drei Jahren soll in dem Augsburger Stadtteil eine neue Freiwillig­e Feuerwehr einsatzber­eit sein. Sie soll dann ausrücken, wenn es östlich des Lechs brennt, auch die Autobahn könnte zu einem wichtigen Einsatzort werden. Franz Ranzinger ist erst seit vier Wochen Kommandant. Er sagt: „Es wird anstrengen­d, aber alle sind hoch motiviert.“Ranzingers Amt ist ein ganz besonderes. Denn Lechhausen stemmt sich gegen einen Trend. Während deutschlan­dweit immer mehr Feuerwehre­n aufgelöst werden, gibt es nur noch sehr selten Neugründun­gen.

Wie kommt es dazu, dass ausgerechn­et in einer Großstadt eine Feuerwehr neu gegründet wird? Wird das Leben in den Städten nicht immer anonymer – mit sinkender Bereitscha­ft, sich für die Gesellscha­ft zu engagieren? Zumindest in Lechhausen scheint das so nicht zu stimmen. Der Trägervere­in für die Freiwillig­e Feuerwehr hat fünf Jahre nach der Gründung immerhin 167 Mitglieder. Und 44 Mitglieder sind bereit, aktiv im Feuerwehrd­ienst tätig zu werden.

Die Idee, in Lechhausen eine Feuerwehr zu gründen, hat Thomas Straub im Jahr 2013. Schnell findet er Verbündete. Viele kennen sich vorher nicht. Was die meisten aber eint, ist ein „Helfer-Gen“, das ihnen irgendwann eingepflan­zt worden ist. Viele, die jetzt in der Lechhauser Wehr mitmachen, hatten auch zuvor schon Kontakt zur Feuerwehro­der Blaulichts­zene. Und viele kommen ursprüngli­ch auch gar nicht aus Augsburg.

So wie der neue Kommandant Franz Ranzinger. Er stammt aus dem Bayerische­n Wald, war dort bei einer Feuerwehr schon Gruppenfüh­rer und mit Atemschutz­gerät im Einsatz. Als er Anfang der 2000erJahr­e nach Lechhausen zog, da vermisste er das Ehrenamt als Feuerwehrm­ann. „Es ist einfach ein gutes Gefühl, wenn man anderen Menschen helfen kann“, sagt er. Gefehlt hat ihm auch die Kameradsch­aft, die er bei der Feuerwehr erlebte. Doch es gab eben keine Wehr, in der er sich engagieren konnte. Sich in einem anderen Stadtteil einzubring­en, ergibt nicht viel Sinn. Die Feuerwehrl­eute sollten nicht allzu weit entfernt vom Standort der Wache wohnen – sonst dauert es zu lange, bis sie im Ernstfall beim Einsatz sind. Deshalb war Franz Ranzinger auch schnell Feuer und Flamme, als er von den Feuerwehr-Plänen erfuhr. Ähnlich ist es bei Marcus Hofmann, dem stellvertr­etenden Kommandant­en. Er stammt aus Niedersach­sen und war dort schon bei der Feuerwehr. Die Vorsitzend­e des Trägervere­ins, Janina Hägele, hat einen aktiven Feuerwehrl­er als Ehemann. Er ist Mitglied bei einer Wehr in seiner württember­gischen Heimat. Mehrere Lechhauser Feuerwehrl­er sind auch schon länger bei Hilfsorgan­isationen wie dem Roten Kreuz ehrenamtli­ch tätig.

Bei der Stadt war man zunächst nicht besonders euphorisch, als vor einigen Jahren die Feuerwehr-Pläne in Lechhausen bekannt wurden. Auch Augsburgs Feuerwehr-Chef Frank Habermeier äußerte sich damals eher skeptisch. Beeindruck­t vom Engagement war auch er. Doch eine Feuerwehr verschling­t eine Menge Geld. Jeder Aktive muss ausgerüste­t werden. Dazu kommen weitere Technik, Fahrzeuge, eine Wache. Für die Stadt ist das eine Millionen-Investitio­n. Wird so viel Geld ausgegeben, dann muss es auch gut begründet werden. Die Frage war deshalb: Braucht man in Lechhausen überhaupt eine Feuerwehr?

Diese Frage ist inzwischen beantworte­t. Der Stadtrat hat im Juli grünes Licht gegeben für die Feuerwehr. Weil ein Teil der Berufsfeue­rwehr von der Hauptwache an der Berliner Alle in den Westen der Stadt verlegt werden soll, tut sich im Osten eine Lücke auf. Und diese Lücke soll nun von der Freiwillig­en Feuerwehr in Lechhausen geschlosse­n werden. Die Ausbildung der ersten Feuerwehrl­eute soll im März beginnen. 2023 soll die Feuerwehr dann mit mehr als 30 Männern und Frauen einsatzber­eit sein. Dann muss es auch eine Wache geben, zumindest eine provisoris­che.

Dass es plötzlich so schnell geht, hätte Franz Ranzinger nicht erwartet. Er hat damit gerechnet, noch deutlich länger warten zu müssen. Den Mut verloren er und viele Mitstreite­r aber nicht. Zwar hörten zwischendu­rch

Zum Gründungsf­est kommen Gäste mit weiter Anreise

Vorstände des Vereins auf. Doch es fand sich eine neue Vorstandsr­iege – und die Vereinsarb­eit lief weiter. Auf dem Gelände einer Autovermie­tung arbeiten die Feuerwehrl­eute schon jetzt an ihrer Ausbildung. Im vergangene­n Jahr haben sie bei Martinsumz­ügen die Absperrung übernommen. Und es gibt auch schon eine Jugendfeue­rwehr mit 22 Mitglieder­n im Alter zwischen 8 und 14 Jahren.

Generell ist Augsburg, was die Feuerwehre­n angeht, noch immer gut aufgestell­t. In den sieben bestehende­n Freiwillig­en Wehren gibt es rund 440 aktive Feuerwehrl­eute. Die Zahl ist – entgegen des bundesweit­en Trends – seit Jahren relativ stabil. Die Augsburger Wehren werden alle dabei sein, wenn die Lechhauser Feuerwehrl­eute am 26. Oktober die Gründung feiern und ihre neue Fahne weihen. Es gibt einen Umzug zum Festzelt der Lechhauser Kirchweih. Am Umzug nehmen auch Gäste mit einer weiten Anreise teil, unter anderem aus Niedersach­sen und dem Bayerische­n Wald. Denn mehrere Heimat-Wehren der Lechhauser Aktiven wollen beim Fest dabei sein. Es ist dieser Zusammenha­lt, den die Wehrleute in Lechhausen längst nicht mehr vermissen wollen.

Augsburg wächst. Auf den Arealen der ehemaligen US-Kasernen kann man das eindrucksv­oll nachvollzi­ehen. Viele Neubaugebi­ete sind entstanden. Die Uniklinik wächst auch. Und ausgerechn­et dort, im Westen der Stadt, ist die Feuerwehr derzeit nicht übertriebe­n gut aufgestell­t. Das ist seit Jahren bekannt. Und man hätte das Thema auch schon etwas früher anpacken können. Denn jetzt drängt die Zeit. Wenn nicht bald etwas passiert, kündigte Feuerwehrc­hef Andreas Graber an, dann müsse künftig darauf geachtet werden, dass jedes Gebäude zwei Treppenhäu­ser hat. Weil die Feuerwehr mittelfris­tig nicht mehr garantiere­n könne, schnell genug an jedem Einsatzort zu sein. Aussicht auf Besserung besteht nicht. Denn der Verkehr nimmt zu – und bremst auch die Feuerwehr teilweise aus. Vor allem wenn sie, wie momentan im Westen, weite Anfahrtswe­ge hat.

Der Plan sieht jetzt vor, eine dritte Feuerwache der Berufsfeue­rwehr zu installier­en. Bisher gibt es die Hauptwache an der Berliner Allee und die Südwache im Hochfeld. Die dritte Wache soll in Kriegshabe­r entstehen. Dort, wo bisher auch schon die Freiwillig­e Feuerwehr des Stadtteils ihr Haus hat. Geplant ist, dass ein Teil der Berufsfeue­rwehr aus der Hauptwache abgezogen und in den Westen verlagert wird. Damit im Osten der Stadt keine neue Lücke entsteht, soll künftig die Lechhauser Wehr hier in Bereitscha­ft sein. Der Plan – mit ausgearbei­tet vom neuen FeuGesells­chaft erwehr-Chef Andreas Graber – ist doppelt gut. Er spart der Stadt Geld, weil sie die Berufsfeue­rwehr nicht weiter ausbauen muss. Und er ermöglicht es den Lechhauser Feuerwehrb­egeisterte­n, ihren Traum von einer eigenen Feuerwehr in ihrem Stadtteil zu erfüllen. Man muss schließlic­h froh sein, wenn sich Menschen zusammenfi­nden, weil sie anderen Menschen helfen wollen. Menschen, die bereit sind, einen großen Teil ihrer Freizeit für den Dienst an der Allgemeinh­eit zu opfern. Das ist nie selbstvers­tändlich. Und in Zeiten, in denen viel darüber gesprochen wird, dass die zersplitte­rt und die Bereitscha­ft zum Engagement sinkt, kann man eine solche Initiative nicht guten Gewissens abschmette­rn. Selbst wenn es Geld kostet, eine neue Wehr auszurüste­n und auszubilde­n. Froh kann man auch darüber sein, dass die Engagierte­n in Lechhausen nicht so schnell den Mut verloren haben. Fast fünf Jahre lang haben sie die Unsicherhe­it ausgehalte­n, ob es wirklich etwas wird mit ihrer Feuerwehr. Sie haben sich mit bescheiden­en Mitteln ausgebilde­t und geübt. Sie haben sich am Leben in ihrem Stadtteil beteiligt und sogar schon eine Kinderund Jugendgrup­pe ins Leben gerufen. Dabei waren die ersten Signale, die die Lechhauser erhielten, nicht gerade positiv. Es wurde vor allem erklärt, wie teuer eine neue Feuerwehr wäre. Auch im Stadtrat dominierte zunächst die Geldfrage. Ordnungsre­ferent Dirk Wurm (SPD) hielt zwar den Kontakt. Die Mitglieder des Vereins mussten aber trotzdem fast schon den Eindruck haben, vor allem als Kostenfakt­or wahrgenomm­en zu werden. Dabei ist es genau andersheru­m. In Wirklichke­it machen sie mit ihrem Einsatz und ihrem Engagement der Stadt ein Geschenk, das in Geld nicht zu messen ist.

Es ist ein tolles Signal: Vielerorts herrscht bei den Freiwillig­en Feuerwehre­n Nachwuchsm­angel, andere müssen gar aufgelöst werden. Und in Augsburg entsteht eine neue Wehr. Generell scheint die Feuerwehrb­egeisterun­g am Lech hoch zu sein. Mehr als 400 ehrenamtli­che Feuerwehrm­änner gibt es, die Zahlen sind stabil. Die Politik unterstütz­t das. In den vergangene­n Jahren wurden viele Feuerwehrh­äuser saniert oder neu gebaut. Weitere Projekte stehen an – jetzt zum Glück auch in Lechhausen.

Man kann froh sein, dass sie nicht den Mut verloren haben

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 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Ausbildung in der Hauptwache der Feuerwehr an der Berliner Allee. Hier werden ab dem kommenden Jahr auch die Lechhauser Feuerwehrl­eute für den Ernstfall trainieren.
Foto: Silvio Wyszengrad Ausbildung in der Hauptwache der Feuerwehr an der Berliner Allee. Hier werden ab dem kommenden Jahr auch die Lechhauser Feuerwehrl­eute für den Ernstfall trainieren.
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Foto: Michael Hochgemuth Sie bilden die Führung der neuen Lechhauser Feuerwehr (von links): Kommandant Franz Ranzinger, Vorsitzend­e Janina Hägele, die stellvertr­etende Vorsitzend­e Sandra Hartmann-Franke und Vize-Kommandant Marcus Hofmann.
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