Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Scherben-Gericht

Analyse Kanzlerin Merkel zofft sich offenbar mit dem französisc­hen Präsidente­n Macron. Eiszeit herrscht zwischen Deutschlan­d und Frankreich noch nicht. Aber das Verhältnis ist abgekühlt, die Abgeordnet­en übernehmen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Hat sie nun oder hat sie nicht? Wenn es nach der renommiert­en amerikanis­chen Zeitung New York Times geht, dann hat Kanzlerin Angela Merkel den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron ordentlich ins Gebet genommen. Sie sei es leid, immer wieder die Scherben zusammenzu­kehren, die er hinterlass­en habe, sagte die CDU-Politikeri­n demnach. Geht es nach Regierungs­sprecher Steffen Seibert, dann fielen bei dem Treffen keine bösen Worte. Also vom Grundsatz her. Völlig ausgeschlo­ssen ist es nicht und es würde angesichts der derzeitige­n Gemengelag­e zwischen Paris und Berlin durchaus Sinn machen.

Es war am Tag nach den Feierlichk­eiten zum Mauerfall-Jubiläum in Berlin. Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier hatte zum Abendessen geladen, und am Tisch fielen der New York Times zufolge harsche Worte. „Ich verstehe Ihr

Bedürfnis nach disruptive­r Politik“, sagte Merkel demnach zu Macron. „Aber ich bin es leid, die Scherben aufzukehre­n. Immer wieder muss ich die Tassen zusammenkl­eben, die Sie zerbrochen haben, nur damit wir wieder zusammensi­tzen und eine Tasse Tee trinken können“, zitiert das Blatt. Merkel soll sich demnach auf Macrons Kritik an der Nato bezogen haben, die der Franzose kürzlich als „hirntot“bezeichnet­e, sowie auf den Widerstand des Élysée-Palastes gegen die Aufnahme von EUBeitritt­sverhandlu­ngen mit Nordmazedo­nien und Albanien.

Steffen Seibert hielt sich zum Inhalt des Gesprächs bedeckt. „Das war natürlich vertraulic­h, und wie Sie wissen, berichten wir grundsätzl­ich nicht aus solchen vertraulic­hen Gesprächen“, erklärte er. Wobei man auf die Wortwahl aufpassen muss, denn „grundsätzl­ich“bedeutet, dass die Regierung meistens nicht aus solchen Gesprächen berichtet – aber manchmal eben doch. Nämlich dann, wenn es den Regierungs­interessen dient. Und Seibert legte nach. „Ich kann Ihnen aber so viel sagen: In der Erinnerung der Bundeskanz­lerin an diesen Abend gab es weder Klage noch Wut noch Streit.“Allerdings gibt es gerade einige Differenze­n zwischen den Regierunge­n in Deutschlan­d und Frankreich. Die Nato und der Westbalkan sind nur zwei davon. Die Liste setzt sich fort mit unterschie­dlichen Ansichten über Rüstungsex­porte, mit Streit über den

Einsatz autonomer Waffensyst­eme und hört mit der EU-Haushaltsp­olitik längst noch nicht auf.

Mit Nicolas Sarkozy konnte Merkel in den Jahren 2007 bis 2012 prima zusammenar­beiten. In der Finanzkris­e rückten beide so eng zusammen, dass zwischen sie kein Euroschein mehr passte, der Name „Merkozy“wurde kreiert. Mit Sarkozys Nachfolger, dem als „Flanby“, als Karamellpu­dding, verschmäht­en François Hollande, lief es schon nicht mehr so gut. Der Franzose blieb in seiner Politik vage, mit ihm konnte die deutsche Regierungs­chefin nicht viel anfangen. Und mit Macron?

Es gebe eben unterschie­dliche Herangehen­sweisen an europäisch­e Herausford­erungen, sagt der Regierungs­sprecher: „Aber es gibt immer den Versuch – und der ist fast immer erfolgreic­h – einen gemeinsame­n Weg, eine gemeinsame Lösung zu finden.“Das ist das diplomatis­ch verpackte Eingeständ­nis, dass der deutsch-französisc­he Motor, der immer noch Hauptantri­eb der Europäisch­en Union ist, derzeit nicht rund läuft. Nach der Stichwahl in Frankreich und dem Sieg Macrons hatte Merkel ihre Freude über den „großartige­n Wahlerfolg“zum Ausdruck gebracht. Macron trage die Hoffnung von Millionen von Franzosen, aber auch von vielen Menschen in Deutschlan­d und ganz Europa.

Ob sich die Hoffnungen erfüllt haben? Die Abgeordnet­en auf beiden Seiten zündeten jedenfalls eine eigene Stufe der Zusammenar­beit. Sie gründeten im März dieses Jahres die deutsch-französisc­he parlamenta­rische Versammlun­g auch in dem Wunsch, das Heft nicht nur den Regierunge­n zu überlassen. Jeweils 50 Abgeordnet­e des Bundestage­s und der französisc­hen Nationalve­rsammlung wollen Übereinsti­mmung in zentralen politische­n Fragen anbahnen und eine parallele Umsetzung von politische­n Vorhaben ermögliche­n.

Vorsitzend­er auf deutscher Seite ist Unions-Fraktionsv­ize Andreas Jung, und der betonte im Gespräch mit unserer Redaktion, die deutschfra­nzösische Zusammenar­beit sei „mehr als ein Regierungs­abkommen“. Bei der politische­n Großwetter­lage zwischen Washington, Peking und Moskau müsse Europa mit einer Stimme sprechen. „Sonst werden wir den Wettbewerb um Werte und Wirtschaft nicht bestehen“, sagte der Konstanzer CDU-Abgeordnet­e. Gelingen könne das aber nur, „wenn Deutschlan­d und Frankreich sich einig sind. Nur dann können wir mit unseren Partnern Europa voranbring­en“.

Die gemeinsame Versammlun­g ist in Jungs Augen jetzt schon ein Erfolg. Sie habe „eine ambitionie­rte Umsetzung des Aachener Vertrags gefordert und eine gemeinsame Strategie für Künstliche Intelligen­z angemahnt“. Im kommenden Jahr stünden Themen an wie Verteidigu­ng und Sicherheit, Kultur und Wirtschaft. „Wir brauchen gemeinsame Initiative­n, müssen zusammen Visionen entwickeln und diese mit unseren Partnern umsetzen“, sagte Jung. Eine davon sei eine gemeinsame Armee der Europäer.

Bei Tisch sollen harsche Worte gefallen sein

 ?? Archivfoto: Michael Kappeler, dpa ?? Wirklich begeistert blickt Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Rande des G7-Gipfel in Biarritz im Sommer dieses Jahres nicht auf den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron.
Archivfoto: Michael Kappeler, dpa Wirklich begeistert blickt Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Rande des G7-Gipfel in Biarritz im Sommer dieses Jahres nicht auf den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron.

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