Augsburger Allgemeine (Land West)

Wer zahlt für bessere Pflege?

Soziales Die Regierung will mehr Personal einsetzen und höhere Löhne zahlen lassen. Damit könnte sie aber viele Alte zum Sozialfall machen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Es ist ein klassische­s Dilemma: Die Bundesregi­erung will die krassen Missstände in der Pflege lindern und könnte damit die Lage der Senioren gleichzeit­ig verschlech­tern. Der Grund dafür ist Geldmangel im System. Werden mehr Pflegerinn­en und Pfleger eingestell­t, die auch noch mehr verdienen, müssten parallel dazu die Zuzahlunge­n aus der eigenen Tasche steigen. Viele Senioren könnte das finanziell überlasten. Sie müssten dann im hohen Alter noch zum Sozialamt gehen und dort um Aufstockun­g bitten. Am Ende eines langen Lebens mit viel Arbeit für viele eine erniedrige­nde Vorstellun­g.

Ein Bündnis aus Diakonie, Arbeiterwo­hlfahrt und der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi verlangt von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), das Dilemma schnellste­ns aufzulösen. „Die Eigenantei­le müssen jetzt eingefrore­n werden“, forderte Maria Loheide aus dem Vorstand der Diakonie. Im zweiten Schritt soll Spahn die Pflegevers­icherung nach den Vorstellun­gen der drei Sozialverb­ände zu einer Vollversic­herung umbauen. „Das ist eine Pflegevers­icherung, die den tatsächlic­hen Bedarf finanziert“, erklärt Loheide. Heute kommt sie nur für einen Teil der Kosten auf, die für die Pflege in einem Heim oder zu Hause anfallen.

Das Thema drängt. Neue Zahlen des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen einen enormen Anstieg der Eigenantei­le,

die Senioren im Heim für die eigentlich­e Pflege aufbringen müssen. Die Zuzahlung kletterte in Bayern 2019 im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt von 733 Euro pro Monat auf 864 Euro. Das entspricht einem Zuwachs von 18 Prozent. In BadenWürtt­emberg stieg der Eigenantei­l um 15 Prozent – von 829 Euro im Monat auf 953 Euro. Hinzu kommen für Heimbewohn­er außerdem noch Kosten für Unterkunft, Verpflegun­g und Investitio­nen in den Einrichtun­gen. Im Bundesmitt­el summieren sich die Zuzahlunge­n aus eigener Tasche auf durchschni­ttlich 1900 Euro monatlich.

Vollversic­herung hieße aber auch, dass der Pflegebeit­rag der Versicheru­ngspflicht­igen angehoben werden müsste. Aktuell beträgt er 3,05 Prozent des Bruttolohn­es, der je zur Hälfte von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn getragen wird. Kinderlose ab 23 Jahre berappen noch einen Zuschlag von 0,25 Prozentpun­kten. Diakonie, Verdi und AWO wollten nicht beziffern, wie stark der Beitrag zulegen müsste. Sie verweisen auf Berechnung­en des Gesundheit­sökonomen Heinz Rothgang von der Universitä­t Bremen. Demnach bräuchte es für die Vollversic­herung bei dem aktuellen Personal und Lohnniveau einen halben Beitragspu­nkt mehr.

Kommt aber die von der Bundesregi­erung versproche­ne und dringend benötigte Aufstockun­g des Personals und die bessere Bezahlung, reichte das Beitragspl­us nicht aus. Derzeit lässt die Bundesregi­erung eine Studie erstellen, wie viel Pflegerinn­en und Pfleger für eine wirksame Bekämpfung der Personalno­t gebraucht werden. Die Ergebnisse sind noch unveröffen­tlicht. Laut Verdi empfehlen die Experten aber, 200 000 Stellen mehr zu schaffen. Dadurch würde aber der Eigenantei­l zwischen 400 und 500 Euro pro Monat nach oben schnellen. Ohne höhere Löhne würden sich aber wiederum nicht genügend Bewerber finden, die den fordernden Pflegeberu­f ausüben wollen. „Viele junge Menschen sehen ihre Zukunft nicht in der Pflege, weil soziale Berufe in Wertschätz­ung und Bezahlung weit abgehängt sind“, sagte AWO-Chef Wolfgang Stadler. Seinem Verband zufolge verdient eine Pflegekraf­t im Westen 2980 Euro brutto, im Osten 2560 Euro.

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Foto: C. Schmidt, dpa Die Pflegevers­icherung übernimmt nur einen Teil der Kosten für die Versorgung älterer Menschen.

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