Augsburger Allgemeine (Land West)
Sechs Monate mehr Elternzeit bei vollem Gehalt
Fachkräftemangel Weil gut qualifizierte Arbeitnehmer knapp sind, müssen Firmen neue Wege gehen. Der Konzern HPE macht jungen Eltern in der Belegschaft nun ein großzügiges Angebot – und ist überzeugt, dass sich das für ihn lohnt
Böblingen Home Office, Arbeitszeitkonten zum Ansparen langer Zusatzurlaube oder eine kostenlose Kinderbetreuung: Angesichts des Fachkräftemangels und vieler junger Arbeitnehmer ohne ausgeprägtes Karrieredenken wächst der Druck auf die Firmen, gute Mitarbeiter im Betrieb zu halten. Das hat auch das IT-Unternehmen Hewlett Packard Enterprise (HPE) erkannt – und offeriert seinen Angestellten ab sofort eine sechsmonatige Elternzeit bei voller Weiterbezahlung.
Das Angebot könnten Mütter und Väter bei Geburt oder Adoption eines Kindes rückwirkend ab Mai in Anspruch nehmen und gelte auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, teilte nun der in Böblingen ansässige deutsche Ableger des USKonzerns mit, der weltweit rund 60000 und hierzulande rund 2100 Mitarbeiter beschäftigt. Man wolle die Mitarbeiter für die Arbeit im Unternehmen motivieren, „indem wir ihnen helfen, ihre Karriere mit ihrem Familienleben in Einklang zu bringen“, sagt Deutschland-Personal-Geschäftsführer Ernst Reichart. Da hilft zweifelsohne auch Bares.
Das gesetzliche Elterngeld in Deutschland beträgt maximal 1800 Euro netto pro Monat. „Bei den Verdiensten, die wir in der IT-Industrie haben, bietet eine Weiterbezahlung
des ganzen Gehalts einen enormen Vorteil“, sagt Reichart. Nehmen Mitarbeiter das Angebot in Anspruch, erhalten sie in den ersten sechs Elternzeitmonaten ausschließlich Geld von HPE. Staatliche Leistungen entfallen für diesen Zeitraum, können aber im Fall einer längeren Elternzeit anschließend bezogen werden. Der Schritt des badenwürttembergischen Unternehmens zeigt, wie Firmen mit Zusatzleistungen versuchen, sich im Ringen um die besten Kräfte zu behaupten.
Junge Arbeitnehmer zeichneten sich dadurch aus, dass sie ein großes Maß an Flexibilität und Selbstbestimmtheit von ihren Arbeitgebern verlangten, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das erhöhe den Druck auf Arbeitgeber. „Fachkräfte sind heute viel knapper als im letzten Jahrzehnt. Es dauert inzwischen viel länger, offene Stellen zu besetzen.“Dabei spiele das Gehalt neben der Arbeitsplatzsicherheit, einer betrieblichen Altersversorgung und flexiblen Arbeitszeiten weiter eine Hauptrolle, sagt Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen. Man könne „motivierte junge Leute eine Zeit lang mit schlechten Löhnen in einer schicken und trendy Arbeitsumgebung ausbeuten und gleichzeitig bei Laune halten“, urteilt der Wissenschaftler unter Verweis etwa auf Start-ups, Medienunternehmen und
Architekturbüros. Aber: „Spätestens, wenn sich die Kinderfrage stellt, ist Schluss damit.“Zugleich gilt: Wer Talent hat und mit seinen Qualifikationen auf dem Markt einigermaßen gefragt ist, wird sich kaum allzu lange mit einem geringen Gehalt ohne nennenswerte Zusatzleistungen abspeisen lassen.
Laut einer neuen Umfrage steht die berufliche Karriere nur für zwei Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer an erster Stelle. Für 65 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer ist die Familie indes das Wichtigste im Leben, wie die Erhebung des Meinungsforschers YouGov im Auftrag von HPE außerdem ergab. Nur drei Prozent der 18- bis 24-Jährigen verneinten die Frage, ob sie später einmal Elternzeit nehmen würden oder bereits Elternzeit genommen hätten. Bei den Menschen zwischen 25 und 34 Jahren beträgt der Anteil zehn Prozent. Und so müssen die Firmen liefern, um gute Leute zu halten.
Beim Softwarekonzern SAP dürfen die rund 21000 Mitarbeiter in Deutschland fast gänzlich frei entscheiden, wann sie von wo arbeiten. Ins Büro kommen sollen sie nach Möglichkeit aber zumindest einmal pro Woche – um den sozialen Kontakt im Team aufrechtzuerhalten. Außerdem bietet das Unternehmen Krippen- und Kindergartenplätze, Eltern-Kind-Büros und Sonderzahlungen nach der Geburt eines Kindes. Bei Microsoft erhalten Mütter hierzulande eine Prämie für die Geburt eines Kindes, Väter dürfen sechs Wochen bezahlten Sonderurlaub nehmen. Arbeitsmarktforscher Bosch sagt, solche Offerten könnten sich vor allem Unternehmen leisten, die ihre Preise durch innovative Produkte oder eine starke Marktposition beeinflussen könnten. HPE etwa setzt allein in Deutschland jährlich rund drei Milliarden Euro um. In anderen Branchen – etwa im Sozialen, in der Pflege oder bei Hotels und Gaststätten – ist die Lage lange nicht so luxuriös – trotz Fachkräftemangel.