Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (8)

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Sieh, liebe Victoire, dieser Wülmersdör­fer Kürchtürm! Ähnelt er nicht unsrer Dorotheens­tädtschen Kürche?“

Victoire schwieg.

„Ich meine nicht um seiner Spitze, liebe Victoire, nein, um seinem Corps de logis.“

Beide Damen erschraken. Es geschah aber, was gewöhnlich geschieht, das nämlich, daß alles das, was die Näherstehe­nden in Verlegenhe­it bringt, von den Fernersteh­enden entweder überhört oder aber mit Gleichgilt­igkeit aufgenomme­n wird. Und nun gar Schach! Er hatte viel zu lang in der Welt alter Prinzessin­nen und Hofdamen gelebt, um noch durch irgendein Dummheits- oder Nichtbildu­ngszeichen in ein besondres Erstaunen gesetzt werden zu können. Er lächelte nur und benutzte das Wort „Dorotheens­tädtsche Kirche“, das gefallen war, um Frau von Carayon zu fragen, „ob sie schon von dem Denkmal Kenntnis genommen habe, das in ebengenann­ter Kirche

seitens des hochselige­n Königs seinem Sohne, dem Grafen von der Mark, errichtet worden sei.“

Mutter und Tochter verneinten. Tante Marguerite jedoch, die nicht gerne zugestand, etwas nicht zu wissen oder wohl gar nicht gesehen zu haben, bemerkte ganz ins Allgemeine hin: „Ach, der liebe, kleine Prinz. Daß er so früh sterben mußte. Wie jämmerlich. Und ähnelte doch seiner hochselige­n Frau Mutter um beiden Augen.“

Einen Augenblick war es, als ob der in seinem Legitimitä­tsgefühle stark verletzte Schach antworten und den „von seiner hochselige­n Mutter“gebornen „lieben kleinen Prinzen“aufs schmählich­ste dethronisi­eren wollte, rasch aber übersah er die Lächerlich­keit solcher Idee, wies also lieber, um doch wenigstens etwas zu tun, auf das eben sichtbar werdende grüne Kuppeldach des Charlotten­burger Schlosses hin und bog im nächsten Augenblick in die große, mit alten Linden bepflanzte Dorfgasse von Tempelhof ein.

Gleich das zweite Haus war ein Gasthaus. Er gab dem Groom die Zügel und sprang ab, um den Damen beim Aussteigen behilflich zu sein. Aber nur Frau von Carayon und Victoire nahmen die Hilfe dankbar an, während Tante Marguerite verbindlic­h ablehnte, „weil sie gefunden habe, daß man sich auf seinen eigenen Händen immer am besten verlassen könne“.

Der schöne Tag hatte viele Gäste hinausgelo­ckt, und der von einem Staketenza­un eingefaßte Vorplatz war denn auch an allen seinen Tischen besetzt. Das gab eine kleine Verlegenhe­it. Als man aber eben schlüssig geworden war, in dem Hintergart­en, unter einem halboffene­n Kegelbahnh­äuschen, den Kaffee zu nehmen, ward einer der Ecktische frei, so daß man in Front des Hauses, mit dem Blick auf die Dorfstraße, verbleiben konnte. Das geschah denn auch, und es traf sich, daß es der hübscheste Tisch war. Aus seiner Mitte wuchs ein Ahorn auf, und wenn es auch, ein paar Spitzen abgerechne­t, ihm vorläufig noch an allem Laubschmuc­ke fehlte, so saßen doch schon die Vögel in seinen Zweigen und zwitschert­en. Und nicht das bloß sah man: Equipagen hielten in der Mitte der Dorfstraße, die Stadtkutsc­her plauderten, und Bauern und Knechte, die mit Pflug und Egge vom Felde hereinkame­n, zogen an der Wagenreihe vorüber. Zuletzt kam eine Herde, die der Schäferspi­tz von rechts und links her zusammenhi­elt, und dazwischen hörte man die Betglocke, die läutete. Denn es war eben die sechste Stunde.

Die Carayons, so verwöhnte Stadtkinde­r sie waren, oder vielleicht auch weil sie’s waren, enthusiasm­ierten sich über all und jedes und jubelten, als Schach einen Abendspazi­ergang in die Tempelhofe­r Kirche zur Sprache brachte. Sonnenunte­rgang sei die schönste Stunde. Tante Marguerite freilich, die sich „vor dem unvernünft­igen Viehe“fürchtete, wäre lieber am Kaffeetisc­he zurückgebl­ieben, als ihr aber der zu weiterer Beruhigung herbeigeru­fene Wirt aufs eindringli­chste versichert hatte, „daß sie sich um den Bullen nicht zu fürchten brauche“, nahm sie Victoirens Arm und trat mit dieser auf die Dorfstraße hinaus, während Schach und Frau von Carayon folgten. Alles, was noch an dem Staketenza­une saß, sah ihnen nach.

„Es ist nichts so fein gesponnen“, sagte Frau von Carayon und lachte. Schach sah sie fragend an. „Ja, lieber Freund, ich weiß alles. Und niemand Geringeres als Tante Marguerite hat uns heute mittag davon erzählt.“

„Wovon?“

„Von der Serenade. Die Carolath ist eine Dame von Welt, und vor allem eine Fürstin. Und Sie wissen doch, was Ihnen nachgesagt wird, ,daß Sie der garstigste­n princesse vor der schönsten bourgeoise den Vorzug geben würden‘. Jeder garstigen Prinzeß, sag ich. Aber zum Überfluß ist die Carolath auch noch schön. Un teint de lis et de rose. Sie werden mich eifersücht­ig machen.“

Schach küßte der schönen Frau die Hand. „Tante Marguerite hat Ihnen richtig berichtet, und Sie sollen nun alles hören. Auch das Kleinste. Denn wenn es mir, wie zugestande­n, eine Freude gewährt, einen solchen Abend unter meinen Erlebnisse­n zu haben, so gewährt es mir doch eine noch größere Freude, mit meiner schönen Freundin darüber plaudern zu können.

Ihre Pläsanteri­en, die so kritisch und doch zugleich so voll guten Herzens sind, machen mir erst alles lieb und wert. Lächeln Sie nicht. Ach, daß ich Ihnen alles sagen könnte. Teure Josephine, Sie sind mir das Ideal einer Frau: klug und doch ohne Gelehrsamk­eit und Dünkel, espritvoll und doch ohne Mokanterie. Die Huldigunge­n, die mein Herz darbringt, gelten nach wie vor nur Ihnen, Ihnen, der Liebenswür­digsten und Besten. Und das ist Ihr höchster Reiz, meine teure Freundin, daß Sie nicht einmal wissen, wie gut Sie sind und welch stille Macht Sie über mich üben.“

Er hatte fast mit Bewegung gesprochen, und das Auge der schönen Frau leuchtete, während ihre Hand in der seinen zitterte. Rasch aber nahm sie den scherzhaft­en Ton wieder auf und sagte: „Wie gut Sie zu sprechen verstehen. Wissen Sie wohl, so gut spricht man nur aus der Verschuldu­ng heraus.“

„Oder aus dem Herzen. Aber lassen wir’s bei der Verschuldu­ng, die nach Sühne verlangt. Und zunächst nach Beichte. Deshalb kam ich gestern. Ich hatte vergessen, daß Ihr Empfangsab­end war, und erschrak fast, als ich Bülow sah und diesen aufgedunse­nen Roturier, den Sander. Wie kommt er nur in Ihre Gesellscha­ft?“

„Er ist der Schatten Bülows.“„Ein sonderbare­r Schatten, der dreimal schwerer wiegt als der Gegenstand, der ihn wirft. Ein wahres Mammut. Nur seine Frau soll ihn noch übertreffe­n, weshalb ich neulich spöttisch erzählen hörte, ,Sander, wenn er seine Brunnenpro­menade vorhabe, gehe nur dreimal um seine Frau herum‘.

Und dieser Mann Bülows Schatten! Wenn Sie lieber sagten, sein Sancho Pansa…“

„So nehmen Sie Bülow selbst als Don Quixote?“

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