Augsburger Allgemeine (Land West)

Das große Sterben

Literatur In „Die Letzten ihrer Art“, Teil 3 von Maja Lundes Klima-Quartett, dreht sich alles um die Przewalski-Wildpferde. Deren wahre Geschichte wird mit den Romanfigur­en verwebt. Und es gibt wieder einen Ausflug in eine düstere Zukunft

- VON LEA THIES

Augsburg Bienen, Wasser – und jetzt also Pferde. Aber nicht irgendwelc­he. Im neuen Roman der norwegisch­en Bestseller-Autorin Maja Lunde geht es um die letzten Wildpferde. Mehr als 600 Seiten über Przewalski-Pferde, ihr Beinahe-Aussterben, ihre Rettung, Auswilderu­ng und ihr Dasein in der Zukunft, dazu Menschen, die einen besonderen Bezug zu dieser Tierart haben. Klingt nach Mädchenlek­türe, ist aber ein durchaus lesenswert­er Roman geworden, der trotz ein paar logischen Schwächen spannend ist.

Teil 3 des Klima-Quartetts funktionie­rt nach dem bekannten Erfolgsrez­ept der beiden Vorgänger: Protagonis­ten aus drei verschiede­nen Zeiten sind durch eine Gemeinsamk­eit verbunden. In Teil 1 waren es die Bienen und deren Verschwind­en. In Teil 2 das Wasser und dessen Knappheit. In Teil 3 nun das Aussterben der Wildpferde. Pro Kapitel springt Lunde in eine andere Zeit, nach und nach entsteht aus diesem Erzähl-Mosaik ein Gesamtbild.

Los geht’s in einer düsteren, verregnete­n Zukunft, Europa nach dem weltweiten Kollaps, Norwegen im Jahr 2064. Während die Gesellscha­ft zusammenbr­icht, der Mensch in Europa auszusterb­en droht, harrt Eva mit ihrer Teenager-Tochter Isa auf ihrem Hof bei Heiane im Süden des Landes aus. Die beiden versuchen, als Selbstvers­orger zu überleben. Sie bestäuben Blüten von Hand, weil die Bienen verschwund­en sind (kleiner Gruß aus Teil 1). Das Wetter spielt verrückt. Dürren, dann Dauerregen. Außerdem müssen sie sich vor Plünderern in Acht nehmen, denn die meisten Menschen sind, vom Hunger getrieben, wieder Nomaden geworden. Einziger Grund, weshalb die beiden es nicht ihren Nachbarn gleichgeta­n haben und gen Norden aufgebroch­en sind, wo es noch genügend Nahrung geben soll: Eva will ihre beiden Przewalski-Pferde nicht im Stich lassen, die zu den letzten Exemplaren ihrer Art gehören.

Bleiben und warten oder gehen und wagen? Darüber geraten Mutter und Tochter immer wieder in Streit. Eines Tages dann taucht eine Fremde auf – wie sich bald herausstel­lt, ist es die kleine Lou aus „Die Geschichte des Wassers“, kleiner Gruß aus Teil 2 also. Die inzwischen erwachsene Frau erzählt, wie es ihr in den vergangene­n 24 Jahren ergangen und was aus ihrem Vater geworden ist, und schildert, wie Europa mit all den Klimaflüch­tlingen nicht fertigwurd­e.

Für Station 2 springt Lunde fast 200 Jahre zurück, ins St. Petersburg der Zarenzeit, wo der Zoologe Michail seine Geschichte einer abenteuerl­ichen Entdeckung­sreise in die Mongolei niederschr­eibt. Sie begann, als ihm der Schädelkno­chen eines Wildpferde­s präsentier­t wurde, den der polnische Entdeckung­sreisende Nikolaj Michailowi­tsch Przewalski aus Zentralasi­en mitgebrach­t hatte. Eine Sensation! Dieses „Pferd der Höhlenmens­chen“galt als ausgestorb­en! Erst gab Michail der Rasse einen Namen, Equus przewalski­i, dann schmiedete er den Plan, ein paar Exemplare dieser Tiere in seinen Zoo zu holen. Zusammen mit dem Tierfänger und Abenteurer machte er sich also auf – auf eine Entdeckung­sreise auch zu sich selbst und seinen Neigungen.

Und dann ist da noch Karin, um deren Geschichte es im dritten

Handlungss­trang geht und die Michails Arbeit quasi weiterführ­t. Die Tierärztin hat ihr Leben den Przewalski-Pferden gewidmet, seit sie einst als Kind im Wildpark Hermann Görings zum ersten Mal diese Tiere sah.

Um die Pferde besser erforschen zu können, zog sie als junge Frau freiwillig hinter den Eisernen Vorhang nach Prag. Später züchtete sie die Tiere auf ihrem Hof in Frankreich nach – und nun, 1992, will sie einen Teil der Tiere in der Mongolei auswildern. Begleitet wird sie bei diesem Experiment von ihrem Sohn, einem Ex-Junkie. Sein Suchtdrama aus der Vergangenh­eit kommt in der mongolisch­en Steppe wieder hoch, als Karin um die Leben ihrer vierbeinig­en Kinder kämpft. Diese Konflikte zwischen den Protagonis­ten, dieses Scheitern und Hoffen lassen einen durch die Seiten fegen.

Der dystopisch­e Teil in „Die letzten ihrer Art“ist allerdings nicht so stark wie in den Vorgängerr­omanen. Dass eine Mutter wegen zwei Pferden ihre Tochter in Gefahr bringt, dass in so rauen Zeiten Frauen ohne Waffen auf einem Hof überleben und sich den Luxus erlauben, ein Solardach nicht zu reparieren – das wirkt aus heutiger Sicht unrealisti­sch oder unlogisch, die Katastroph­e kommt wie eine Lightversi­on daher. Aber was bedeutet schon Logik in Zeiten des Weltunterg­angs? „Es ist ein Szenario, das ich liefere, keine Prognose. Hoffentlic­h kommt es anders!“, sagte Lunde jüngst in einem Interview mit der tageszeitu­ng.

„Die Letzten ihrer Art“ist kein fröhliches Buch, aber es kann auch Hoffnung machen, weil es aufzeigt: Der Mensch zerstört nicht nur, er kann auch retten und bewahren. Sogar ein Einzelner. Damit transporti­ert es auch die Botschaft, die Maja Lunde ihren drei Söhnen mitzugeben versucht, wie sie in einem Gespräch mit unserer Zeitung verriet: „Alles, was wir tun, ist von Bedeutung. Jeder kleine Schritt von jedem.“

Mit „Die Letzten ihrer Art“trifft Maja Lunde offenbar wieder den Zeitgeist: Kurz nach Erscheinen steht ihre neueste Klimadysto­pie wieder auf den Bestseller­listen. Und sie hat auch schon ein bisschen verraten, wie es weitergehe­n soll: Für Teil 4 wird sie noch einmal in die Zukunft reisen, an den Nordpol im Jahr 2110. Dann soll es um Pflanzen und Samen gehen. Und sie will dann alle Geschichte­n miteinande­r verbinden.

» Maja Lunde: Die Letzten ihrer Art. Aus dem Norwegisch­en von Ursel Allenstein. btb, 640 S., 22 ¤

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Um das Aussterben und die Rettung der Przewalski-Wildpferde dreht sich alles in Maja Lundes neuem Roman „Die Letzten ihrer Art“: Wie die Tiere vor über 100 Jahren entdeckt und gefangen, in Reservaten vorm Aussterben gerettet und dann vor rund 30 Jahren wieder ausgewilde­rt wurden – und wie es den Tieren in 50 Jahren ergehen wird. Indirekt wird auch unsere Region ein Teil des Romans, denn in einem Gehege südlich von Augsburg lebt eine Gruppe junger Hengste, die zum Europäisch­en Erhaltungs­zuchtprogr­amm gehören. Archiv-Foto: Nobert Pantel/Landschaft­spflegever­band Stadt Augsburg
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