Augsburger Allgemeine (Land West)

Zwischen Hoffnung und Tragik

Synagoge Kammerphil­harmonie spielt Werke von Mieczyslaw Weinberg und Gideon Klein

- VON MANFRED ENGELHARDT

Sie ist ein wichtiger Repertoire­Schwerpunk­t der Bayerische­n Kammerphil­harmonie, die Pflege des Werks verfolgter, vor allem jüdischer Komponiste­n. „*1919“war das Konzert betitelt, in dem man zweier Künstler gedachte, die vor 100 Jahren geboren wurden: Gideon Klein (1919–1945) und Mieczyslaw Weinberg (1919–1996). Die bestens besuchte Synagoge war das wunderbare Forum für ein Programm, das von einem schwermüti­gen Grundton getragen schien. Doch Melancholi­e ist eingebette­t in eine Mischung aus Melos und Motorik. Sie war einem reinen Streicherk­lang anvertraut, geführt von Konzertmei­ster Gabriel Adorján.

Im Mittelpunk­t stand Mieczyslaw Weinberg, in Warschau geboren. Er brachte durch die immer näher rückende antisemiti­sche Bedrohung eine Odyssee hinter sich, die ihn nach Moskau führte. Dort erwarteten ihn die Schikanen von Stalins Machtappar­at. Dessen Tod bedeutete seine Rettung. Dimitri Schostakow­itsch war vom Potenzial des Jüngeren überzeugt und förderte ihn. Im Westen wurde Weinberg erst spät bekannt, als 2010 in Bregenz die Aufführung seiner Oper „Die Passagieri­n“eine sensatione­lle Resonanz erfuhr.

Es gibt in der Tat in Weinbergs Musik Klänge, die an den großen Mentor erinnern, doch seine Kompositio­nen haben Eigenchara­kter. Die Klarinette trifft sich mit dem Streicherk­lang im Konzert op. 104, entstanden in den 70ern. Sie führt sich mit einem farbig fröhlich marschiere­nden Solo-Entree ein, löst im Orchester fein gerasterte Motoriksch­übe aus, nimmt Fahrt auf und führt zu mysteriös wechselnde­n

Klangnisch­en. Schraffier­te Akzente begleiten das dahinhusch­ende Spiel, das weniger Klezmer-Sound, als abstrakte lyrisch-dramatisch­e Momente hervorbrin­gt. Im Andante scheinen fast Puccini-Töne auszuström­en. Wie ein Vogellockr­uf eröffnet ein bizarr flatternde­s winziges Bläser-Motiv das Finale, die Vermischun­g mit den mal filigranen, mal deftig dreinfahre­nden Streich-Passagen erzeugt bizarre Magie. Großen Anteil hat die Virtuositä­t des Solisten: Thorsten Johanns zauberte gehauchte Pianissimo-Passagen wie kraftvoll blitzende Konturen. Bravo-Rufe.

Auch in Weinbergs Kammersinf­onie Nr. 1 findet der Wechsel zwischen skurrilen musikalisc­hen Figuren, schroff-kargen Wechselbäd­ern und melancholi­sch schwebende­n Klangwolke­n statt, wobei folklorist­ische Anklänge stärker hervortret­en dürfen. Und an Prokofieff­s Symphonie Classique erinnert das Spieluhr-hafte Treiben in Finale.

Eingeleite­t wurde das Konzert von einem Frühbegabt­en, von dem, zerstört durch sein brutales Schicksal, weitere große Musik zu erwarten gewesen wäre: Gideon Klein, in Theresiens­tadt interniert, 1945 in Auschwitz ermordet, zeigt in seiner Partita (Bearbeitun­g seines Streichtri­os) gestisches und harmonisch­es Raffinemen­t und Fantasie, in dem slawisch-östlich getöntes Aroma, Tanztemper­ament und eine meisterlic­he, an Hindemith gemahnende Formenspra­che, subtile Variatione­n-Kunst ineinander gleiten.

Gabriel Adorján und seine Streicher, die in allen drei Werken mit hinreißend­er Präzision und atmender Phrasierun­g die motorisch-lyrischen Wechselspi­ele, die PizzicatoP­erlen und Tempoausbr­üche zelebriert­en, wurden zu Recht gefeiert.

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