Augsburger Allgemeine (Land West)

Fidelio, der Wohltäter

Oper konzertant Künstleris­ch darf Wilhelm Walz’ Beethoven-Projekt als gelungen gelten, auch der Umgang mit den Dialogpass­agen überzeugte. Leider fand der Benefiz-Gedanke der Aufführung nicht den erhofften Anklang

- VON STEFAN DOSCH

Zehn Jahre ist es her, dass in Augsburg zuletzt der „Fidelio“gegeben wurde, Beethovens einzige Oper. Das war eine Produktion des damals noch rein städtische­n Theaters, und der Mann am 1. Konzertmei­sterPult des philharmon­ischen Orchesters hieß Wilhelm Walz. Demselben hatte Augsburg nun am Vorabend des Beethoven-Jubiläumsj­ahrs eine Wiederbege­gnung mit „Fidelio“zu verdanken. Inzwischen verabschie­det vom Orchesterd­ienst, hat Walz in neuer Funktion als Impresario eine konzertant­e Opernauffü­hrung im Kongress am Park arrangiert, die obendrein noch als Benefizakt­ion seinem alten Arbeitgebe­r, dem jetzigen und in Sanierung befindlich­en Staatsthea­ter, zugute kommt.

„Fidelio“– das ist die über alle Tyrannei triumphier­ende Gattenlieb­e, die Geschichte der Leonore, die ihren vom finsteren Don Pizarro unschuldig in den Kerker geworfenen Florestan zu befreien beabsichti­gt und sich deshalb in Männerklei­dern und unter dem Namen Fidelio dem Gefängnisw­ärter Rocco als Gehilfe andient. Im Nebenstran­g der Handlung verliert Roccos Tochter Marzelline ihr Herz an Fidelio, was wiederum Jaquino, der ein Auge auf

Marzelline hat, nicht gefällt. Das für Beethoven verfasste Libretto von Sonnleithn­er und Treitschke macht seit jeher den Bühnen Kopfzerbre­chen, sind die Musiknumme­rn doch durch gesprochen­e Dialoge verknüpft, die heutigen Ohren ebenso antiquiert vorkommen wie sie Sänger mit Deklamierf­ähigkeiten erfordert.

Eine Problemati­k, der sich der auch als Dirigent fungierend­e Wilhelm

Walz mit einem Federstric­h entledigte. In seiner „speziellen Fassung“(Augsburgs Intendant André Bücker im Grußwort) wurden sämtliche Dialoge gestrichen und stattdesse­n die musikalisc­hen Teile durch einen Erzähltext verknüpft. Eine prima Idee, praktikabe­l gerade wegen des nichtszeni­schen Aufführung­smodus, und ebenso informativ wie mit Zurückhalt­ung realisiert vom Erzähler Jacques Malan, mit dem Walz eine schon länger dauernde Zusammenar­beit bei den Augsburger Fronhof-Konzerten verbindet.

Von dorther kennt man auch die Suk Symphony, gewisserma­ßen das

Residenz-Orchester des kleinen Sommerfest­ivals. Dass die Prager Musiker und Wilhelm Walz inzwischen eine eingeschwo­rene Gemeinscha­ft bilden, war gleich in der Ouvertüre zu bemerken, die bereits von flammendem Freiheitse­thos bewegt war mit ihrem markant in die Höhe drängenden Kopfmotiv und ihrem vorandräng­enden Allegro. Dieses dem „Fidelio“innewohnen­de Moment eines sich unmissvers­tändlich artikulier­enden Freiheitsw­illens hielt Walz die ganze Aufführung hindurch präsent, es bestimmte maßgeblich Tempowahl und Artikulati­on. Und wenn Besinnlich­eres seinen Platz beanspruch­t, wie etwa das herrliche – und herrlich vom Orchester begleitete – Quartett im ersten Aufzug, dann erhöhte Walz, unermüdlic­h animierend mit ausgreifen­dem Bewegungsr­epertoire, im Anschluss die dramatisch­e Temperatur rasch wieder um etliche Grade.

Beethovens Oper ist respektgeb­ietend, was die Partien ihrer Protagonis­ten Leonore und Florestan betrifft – mancher Sänger, manche Sängerin ist da schon an die Grenzen gestoßen. Der Florestan brachte ein Wiederhöre­n mit Gerhard Siegel – nun schon zum zweiten Mal in diesem Jahr konzertant auf Augsburger

Bühne, war er im Frühjahr doch in Wagners „Walküre“zu erleben gewesen, auch das eine (seinerzeit von Siegel initiierte) Benefizver­anstaltung fürs Staatsthea­ter. Nun also der Augsburger Tenor als im Verlies Schmachten­der. Den berühmten Ausruf „Gott“in seinem ersten Auftritt formuliert­e er als machtvoll anschwelle­nden Schrei – um gleich darauf eindrucksv­olle Pianokultu­r zu entfalten, die erst das Kerkergrau­en abbildete, dann aber „In jenen Frühlingst­agen“alle Farben der Hoffnung aufblühen ließ.

Musikalisc­hes Herzstück bei Fidelio-Leonore ist ihr Rezitativ „Abscheulic­her, wo eilst du hin“, gefolgt von dem ariosen Bekenntnis „Ich folg dem innern Triebe“. Katerˇina Hebelková differenzi­erte zu Beginn dieser großen Szene gekonnt die affektiven Wechselbäd­er aus Empörung und Ohnmacht und zeigte in der Arie eindrucksv­oll, dass ihr Mezzo über hinreichen­d Fülle und Festigkeit verfügt, um sich in den großen Intervalls­prüngen, kräftezehr­enden Legati und siegesgewi­ssen Spitzentön­en zu behaupten.

Auch für die übrigen Partien hatte Walz ein überwiegen­d gutes Besetzungs­händchen. Marie Heeschen und Sven Hjörtleifs­son setzten als Marzelline und Jaquino den spielerisc­h-kecken Kontrapunk­t zur Dramatik des Geschehens, Andreas Macco und Henryk Böhm besaßen als Rocco und Don Fernando die nötige väterliche beziehungs­weise ministerie­lle Autorität. Lediglich Young Kwon fiel ein wenig ab, zu übertriebe­n geriet ihm der Nachdruck, mit dem er die Bösartigke­it seines Don Pizarro unterstrei­chen zu müssen meinte. „Freiheitsl­uft“und am Ende Frauenlob durften die von Reinhard Kammler einstudier­ten Augsburger Domsingkna­ben besingen.

Eine gelungene Aufführung, nicht nur am Ende, sondern auch mittendrin bereits reichlich applaudier­t – von einem Publikum, das leider nicht in hoher Zahl zu diesem „Fidelio“gekommen war. Um des Hörvergnüg­ens, aber auch um der guten Staatsthea­ter-Sache willen wäre trotzdem zu wünschen, dass das mit „Walküre“und jetzt mit „Fidelio“so erstaunlic­h aufgeblüht­e Pflänzchen der konzertant-wohltätige­n Opernauffü­hrung in Augsburg nicht gleich wieder den Kopf hängen lässt.

Man kennt einander von den Fronhof-Konzerten

Ein wenig zu stark gedrückt auf die Tube des Bösen

 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Gratulatio­n: Wilhelm Walz (Mitte) mit den Sängern Andreas Macco, Gerhard Siegel, Katerˇina Hebelková, Henryk Böhm, Marie Heeschen und Sven Hjörleifss­on (von links).
Foto: Mercan Fröhlich Gratulatio­n: Wilhelm Walz (Mitte) mit den Sängern Andreas Macco, Gerhard Siegel, Katerˇina Hebelková, Henryk Böhm, Marie Heeschen und Sven Hjörleifss­on (von links).

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