Augsburger Allgemeine (Land West)
Reform der Organspende?
Gesundheit Jeden Tag bangen Patienten im Landkreis um ihr Leben. Einige warten vergeblich auf ein Spenderorgan. Ein neues Gesetz soll helfen. Was Betroffene, Ärzte und die beiden Bundestagsabgeordneten dazu sagen
Heute entscheidet der Bundestag über eine mögliche Reform der Organspende. Was Betroffene aus dem Augsburger Land dazu sagen, lesen Sie heute auf
Landkreis Augsburg Sie saß beim Friseur, als der Anruf kam: Eine geeignete Spenderniere liegt bereit, die Transplantation kann beginnen. Es war der Anruf, auf den Heidi Krist aus Stadtbergen zehn Jahre gewartet hatte. „Ich habe geweint und war völlig durcheinander“, sagt sie. Die Tasche für den Krankenhausaufenthalt stand schon bereit. Eine Woche vor ihrem 60. Geburtstag bekam Krist eine neue Niere.
Heute, drei Jahre später, ist sie glücklich über diesen Tag. Die Transplantation am Augsburger Klinikum verlief ohne Komplikationen. Krist muss nicht mehr dreimal in der Woche zur Dialyse. „Ich darf fast wieder alles essen“, sagt die 63-Jährige, die die Krankheit Zystennieren von ihrer Mutter geerbt hat. Zwar muss sie regelmäßig zur Untersuchung ins Klinikum und Medikamente nehmen, damit ihr Körper die Niere nicht abstößt. Doch das Warten hatte ein Ende.
Noch bangen zahlreiche Patienten täglich um ihr Leben. Allein am Augsburger Uniklinikum warten 130 Betroffene auf eine neue Niere, erklärte Florian Sommer, der auch Krist operierte, kürzlich in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Deutschlandweit hoffen etwa 10 000 Menschen auf ein Spenderorgan. Viele vergeblich. Denn nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gab es 2018 nur knapp 1000 Spender.
Um das zu ändern, stimmt der Bundestag heute über ein neues Gesetz ab. Die sogenannte Widerspruchslösung sieht vor, dass jeder Erwachsene zum Organspender wird, der keinen Widerspruch erklärt hat. Gegner dieses Vorschlags setzen stattdessen auf verstärkte Beratung und Information.
Einer von ihnen ist der AfD-Bundestagsabgeordnete Rainer Kraft aus Langweid. Es könne nicht garantiert werden, dass der Wille eines Betroffenen, der sich gegen eine Organspende entschieden hat, tatsächlich gewahrt wird, sagt Kraft auf Nachfrage. Zudem sei nicht geregelt, wie mit Zugehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften verfahren wird, die eine Organspende grundsätzlich ablehnen. Unklar sei auch, ob die Widerspruchslösung überhaupt verfassungskonform ist.
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hansjörg Durz aus Neusäß sagt, es gebe bei der Entscheidung kein Richtig oder Falsch. Die persönliche Entscheidung jedes Einzelnen sei die Grundlage für den erhofften Anstieg der Spendenbereitschaft. Diese könne und dürfe die Politik nicht übernehmen. Nach langer und schwieriger Überlegung werde er seine Stimme für die erweiterte Zustimmungslösung abgeben.
Betroffene wie Heidi Krist blicken der Abstimmung mit Spannung entgegen. Die 63-Jährige hofft, dass die Widerspruchslösung kommt. So müsste sich jeder mit dem Thema Organspende auseinandersetzen. „Wenn man nicht betroffen ist, denkt man nicht darüber nach“, sagt sie. Wer nicht spenden möchte, könne widersprechen. Auch Roland Berckhemer aus Gersthofen hält diesen Ansatz für richtig. Der Rechtsanwalt aus Gersthofen lebt seit elf Jahren mit einer Spenderleber. Nach einem halben Jahr auf der Warteliste wurde er operiert. „Der Anruf kam völlig überraschend. Ich hatte erst in vier oder fünf Jahren damit gerechnet“, sagt Berckhemer. Denn zum Zeitpunkt der Operation fühlte er sich fit, machte Sport, ging in die Arbeit. „Mein Gesundheitszustand war vermutlich deutlich schlechter, als ich dachte“, sagt Berckhemer. Er könne verstehen, wenn Menschen aus ethischen oder religiösen Gründen eine Organspende ablehnen.
Aber jeder sollte bewusst darüber entscheiden. Die Angst, dass man als Spender beispielsweise nach einem Unfall nicht gerettet wird, hält er für unbegründet. Erst wenn der Hirntod feststeht, komme eine Organspende überhaupt infrage. Die Diagnose sei in Deutschland absolut sicher.
Auch Sommer vom Augsburger Uniklinikum betont: „Wir sind Ärzte und kämpfen um das Leben jedes Patienten.“Das Hirntod-Konzept gelte als die sicherste Methode, den Tod des Patienten festzustellen. Berckhemer ist inzwischen selbst Organspender. Denn er weiß: „Wenn ich kein Organ bekommen hätte, wäre ich längst tot.“
Matthias Anthuber, Direktor der Augsburger Transplantationschirurgie hofft ebenfalls, dass die von
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angestoßene Widerspruchslösung eine Mehrheit erhält. „Wir hatten schon so viele Informationskampagnen – nichts davon hat die Zahl der Organspender deutlich gesteigert“, sagte Anthuber jüngst im Gespräch mit unserer Zeitung.
Der zweijährige Daniel aus Schwabmünchen wartet noch auf einen Spender – seit mehr als 400 Tagen. Der kleine Junge leidet an einem seltenen Herzfehler. Medikamente bringen keine Besserung, nur eine Transplantation kann ihm helfen. Für seine Eltern war die Nachricht ein Schock. Jeden Tag hoffen sie darauf, dass sich bald ein geeignetes Spenderherz findet. Es könnte jederzeit so weit sein. Vielleicht morgen oder erst in 20 Monaten. Niemand weiß es.
Bei dieser Entscheidung gibt es kein Richtig oder Falsch