Augsburger Allgemeine (Land West)
Oscar ist weiß und männlich
Wenn die Oscar-Nominierungen verkündet sind, wird seit jeher diskutiert und gestritten. Bis vor ein paar Jahren ging es dabei um die Geschichten und Filme selbst, um vermeintlich übersehene und um zweifellos überbewertete, um Genies und Langweiler, Kinoerneuerer und Mainstreamgestalten, Kultfilmer und Newcomer, großes Geld contra Independent… Kinogeher gerieten sich leidenschaftlich in die Haare über die Frage, welche Hauptdarstellerin vergessen und welche ungerechtfertigterweise in den Favoritenkreis gehoben worden ist. Spezialisten siebten die nominierten Kameraleute und Spezialeffektverantwortlichen so lange durch, bis ein Ranking stand.
Seit einiger Zeit aber wird die Nominierungsliste der Academy unter sehr speziellen, gesellschaftlich relevanten Gesichtspunkten geprüft. Es geht um Diversität und alte weiße Männer, um die Benachteiligung von Schwarzen und Frauen, um Netflix contra klassische Kinoproduktion. Sind Indigene benachteiligt? Wie unerträglich ist die Verschwörung gegen die Frauen diesmal? 63 Frauen-Nominierungen 2020 – aber in welchen Trostkategorien! Warum sind 68 Prozent der 6000 Leute in der Academy Männer und 84 Prozent weiß? Haben immer die Männer den Joker?
Hinter dem Abarbeiten all dieser Checklisten tritt, zumindest was die öffentliche Diskussion angeht, die Qualität eines Films und die Leistung seiner Darstellerinnen und Darsteller in den Hintergrund. Auch wenn bis heute vermutlich kaum eine Kinogängerin und kein Kinogänger Filme danach auswählt und beurteilt, ob eine Frau Regie geführt hat oder ob darin mehr schwarze als weiße Männer mitspielen, ist gegen eine kritische Betrachtung der Academy nichts zu sagen, auch wenn die Aufgeregtheiten und Abzählreime (MannFrau-weiß-schwarz) in einer Ritualisierung zu erstarren drohen.