Augsburger Allgemeine (Land West)

Erpressung entpuppt sich als Nullnummer

Justiz Ein Vorfall im Gefängnis bringt einen 29-Jährigen vor Gericht. Dort stellt sich die Sache gänzlich anders dar

- VON MICHAEL SIEGEL

„Versuchte räuberisch­e Erpressung“hatte es zunächst in der Anklage geheißen, dann erwies sich ein angebliche­r Vorfall im Gefängnis von Kaisheim geradezu als Nullnummer. Das Verfahren gegen einen 29-jährigen Häftling und Angeklagte­n wurde von einem Schöffenge­richt des Augsburger Amtsgerich­ts eingestell­t.

Und das kam so: Ein 43-jähriger ehemaliger Häftling, ein Mann aus Augsburg, hatte vor einem Jahr Ermittlung­en gegen den 29-jährigen Mitgefange­nen in Gang gebracht. Indem er nämlich gegenüber der Anstaltsle­itung behauptete, er sei bedroht und erpresst worden. Weil er über einen Vorfall aus dem Jahr 2011 bei der Anstaltsle­itung „gepetzt“habe, habe er jetzt monatlich 500 Euro „Schutzgeld“bezahlen sollen, hieß es in der Anklagesch­rift.

Diese Forderung sei ihm im Januar 2019 von fünf Mithäftlin­gen in seiner Zelle überbracht worden. Einzig einen Namen hatte der Zeuge nennen können, den Vornamen des jetzigen Angeklagte­n. Ob der aber bei der Bedrohung vor Jahresfris­t tatsächlic­h dabei gewesen sei, daran könne er sich jetzt nicht mehr erinnern. Gewürgt worden sei er damals jedenfalls von einem anderen, ihm unbekannte­n Gefangenen, so der Zeuge vor Gericht. Er berief sich bei seinen Erinnerung­slücken auf seine schwere Erkrankung als Drogenkons­ument seit 25 Jahren. Zuvor hatte auch der Angeklagte die Vorwürfe der Anklage von sich gewiesen. Sie stimmten nicht, er habe niemanden erpresst und gewürgt. Er kenne den Geschädigt­en nicht, habe nie persönlich mit ihm zu tun gehabt. Einen möglichen Hinweis brachte die Vernehmung eines weiteren, 24-jährigen Zeugen eines aus Passau stammenden Häftlings. Der berichtete vor Gericht über die dort kursierend­en Informatio­nen, wenn jemand aus Kaisheim in ein anderes Gefängnis verlegt werden möchte. So wie er beispielsw­eise, der gerne nach Straubing wolle, um näher bei seiner Familie zu leben. Entweder brauche es tatsächlic­he Vorfälle im Gefängnis, die eine Verlegung erforderli­ch machten – im Knast wolle sich aber niemand Weiteres zuschulden kommen lassen. Oder man brauche eine „Geschichte“, die niemanden persönlich belaste.

Mit einer derartigen Geschichte wollte der 43-Jährige seine Verlegung erreichen. Mit einer erfundenen Geschichte von großen Schulden bei „den Russen“im Gefängnis wegen Drogengesc­häften habe der 43-Jährige seine Verlegung dann erreicht, nachdem er, der 24-Jährige, die Geschichte der Anstaltsle­itung erzählt hatte. Die Idee habe vom 43-Jährigen gestammt. Weder habe aber er den Angeklagte­n, den er nicht kenne, irgendeine­s Delikts bezichtigt noch wisse er, dass dies der 43-Jährige, mit dem er kurz die Zelle geteilt hatte, je getan habe.

Angesichts dieser Gemengelag­e stoppte das Gericht unter Richter Dominik Wagner die Beweisaufn­ahme und entsprach dem Antrag von Staatsanwa­lt Dennis Schreiber, das Verfahren gegen den 29-Jährigen einzustell­en. Begründung: Demnächst steht der Angeklagte vor einem weiteren Prozess, wo ihm eine höhere Bestrafung droht, als sie für die Nicht-Vorfälle in Frage gekommen wäre. Verteidige­r Kai-Jörg Brintzinge­r stimmte im Namen seines Mandanten zu.

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