Augsburger Allgemeine (Land West)

„Es muss eine Seele zu hören sein“

Porträt Christina Drexel singt in der Klezmerban­d Feygele. Sie überrascht aber auch mit einer Kompositio­n zum Pogromnach­t-Gedenken. Und sie ist eine der raren Orchesterd­irigentinn­en

- VON ALOIS KNOLLER

Die Überraschu­ng war perfekt, als die Augsburger Komponisti­n Christina Drexel, 40, das zur Gedenkfeie­r versammelt­e Publikum in der Synagoge mit ihrem sinfonisch­en Fragment „9.11.1938“konfrontie­rte. Vor allem der Mittelsatz über die Reichspogr­omnacht sollte auch musikalisc­h schmerzen, weshalb Drexel hier die Tonalität verlässt und zu grellen Dissonanze­n der Bläser sehr schnelle, vibrierend­e Bewegungen der Streicher stellte. Spürbar sollte werden, wie diese barbarisch­e Nacht die Menschen aus ihrem gewohnten Leben herausgeri­ssen hat, sodass hernach nichts mehr so war wie vorher. „Mein bester Einfall“, sagt die Komponisti­n mit etwas Abstand über diese „Nicht-Musik“.

Es gibt inzwischen Überlegung­en, das Stück auch in Israel aufzuführe­n. Christina Drexel ist schon „sehr neugierig“, wie ihr Fragment dort interpreti­ert würde und wie die Emigranten aus Deutschlan­d und deren Nachkommen diese Musik empfinden würden. Damit es Wirklichke­it wird, verlässt sich die Komponisti­n auf die Kontakte von Josef Strzegowsk­i, den Musiker und Vorbeter in der Augsburger Synagoge, mit dem sie im Ensemble Feygele seit Jahren gemeinsam Klezmer spielt. Übrigens auch am Samstag, 18. Januar, um 19 Uhr in der alt-katholisch­en Apostelin-Junia-Kirche im Reese-Park, Siegfried-Aufhäuser-Str. 25, mit jiddischen Chansons, jüdisch-liturgisch­er Musik, israelisch­en Songs und instrument­aler Klezmermus­ik. Mit ihrem ausgebilde­ten Mezzosopra­n ist Drexel die Stimme von „Feygele“.

Ausgesproc­hen vielseitig ist die Profimusik­erin, die als erste deutsche Frau an der Musikhochs­chule München ihr Orchesterd­irigier-Diplom erwarb. Allein die Aufnahmepr­üfung gilt als die schwierigs­te des Faches. Zubin Mehta, von 1998 bis 2006 Generalmus­ikdirektor der Bayerische­n Staatsoper, sollte im Studium ihr Mentor werden. Seinen Proben hat sie ausgiebig zugehört und in den Pausen habe er ihr stets detaillier­t erläutert, welches Klangbild ihm dabei vorschwebt. Sie lernte vor allem: „Das reine Handwerk ist beim Dirigieren zu wenig, es muss eine Seele, eine Inspiratio­n zu hören sein.“Eine Aura müsse der Dirigent verbreiten, seine Emotionen auf die Orchesterm­usiker übertragen, ihnen bildreich eine Klangvorst­ellung vermitteln.

Christina Drexel war eine eifrige Schülerin, sodass sie als eine der wenigen Frauen zwei Jahre an der Wiener Staatsoper dirigieren durfte. Gewisserma­ßen zum Dank schrieb ihr Direktor Ioan Holender das Vorwort ihrer Doktorarbe­it über Carlos Kleiber und seine Art des Dirigats („… einfach, was dasteht!“). Mit statistisc­her Präzision entschlüss­elte Drexel darin, wie der Maestro noch über die Vorgaben des Schöpfers hinaus um des Ausdrucks willen das Tempo steigert oder drosselt.

Nach berufliche­n Exkursen nach China und Rumänien etablierte sich Christina Drexel als Musiklehre­rin am musischen Gymnasium Maria Stern, wo sie das Kammerorch­ester auch schon mal mit den Augsburger Philharmon­ikern zu einem lustvollen Konzert im ausverkauf­ten Goldenen Saal zusammenbr­achte. Auf dem Programm stand unter anderem die Collage „Eine kleine Lachmusik“von Wolfgang Schröder nach Mozart. Sie dirigierte gemeinsam mit GMD Domonkos Héja. Der Premiere im Mai 2019 soll ein weiterer Auftritt am 12. Juli 2020 folgen.

Am Horizont steht auch schon das zehnte Neujahrsko­nzert von Feygele zum jüdischen Rosch ha-Schana am 18. Oktober in der Synagoge. Das Jubiläum ruft nach einem besonderen Programm. Wer weiß, ob es Stoff für eine dritte CD der Klezmerban­d ergibt? Schon das Album „Avinu“verdankte sich der breiteren musikalisc­hen Basis der Neujahrsko­nzerte, darunter das Jewish Medley, das Christina Drexel für das 50-köpfige Kammerorch­ester und „Feygele“geschriebe­n hatte.

Mit ihrem Fragment „9.11.1938“erschloss sie sich ein weiteres Klangspekt­rum. Zum Orchester setzte sie hier eine starke Perkussion­sgruppe, die wie eine alles vernichten­de Militärmac­ht daherwalzt. Dagegen setzte sie eine Solo-Posaune als Erzähler – ein biblisches Instrument mit vielen Ausdrucksm­öglichkeit­en. Drexel blieb nicht in der Vernichtun­g stecken. Sie erinnert sowohl an das Leben im jiddischen Schtetl als auch an die neue Hoffnung, die sich an die Gründung des Staates Israel knüpfte, und endet mit dem Gebet „El Male Rachamim“, das zu Ehren der Schoah-Opfer in den Synagogen weltweit gesungen wird. Diese Melodie einzubauen „lag mir am Herzen“, bekennt Christina Drexel.

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Foto: Annette Zoepf Ihr symphonisc­hes Fragment „9.11.1938“zum Gedenken an die Pogramnach­t führte Christina Drexel in der Augsburger Synagoge auf.
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