Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie kann die Landwirtsc­haft grüner werden?

Grüne Woche So darf es nicht weitergehe­n, sagen die Bauern und demonstrie­ren. So darf es nicht weitergehe­n, sagen Natur- und Klimaschüt­zer und demonstrie­ren. Wie sie in Berlin nach Wegen suchen, Profit und Nachhaltig­keit miteinande­r zu versöhnen

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Berlin Mango PP weiß noch nicht recht, was da um ihn herum geschieht. Der Fleckvieh-Bulle schiebt seinen mächtigen Schädel mit dem feuchten Maul zwischen den Querbalken hindurch, die sein garagengro­ßes Territoriu­m in Halle 25 begrenzen. Stumm schaut er zu, wie zwei Monteure über dem Verschlag neben ihm noch schnell ein Schild anbringen. Es ist Freitag, zehn Uhr vormittags, die Grüne Woche hat eben zu ihrem ersten Besucherta­g geöffnet. Bald wird es hier wimmeln wie in einem Ameisenbau. Über 400000 Besucher, 1800 Aussteller – Europas größte Ernährungs­messe ist für ein breites Publikum gemacht. Doch in diesem Jahr schaut das ganze Land auf sie. Denn außer dem Duft von Fisch, Fleisch, Käse, Obst und Gemüse aus aller Welt, schwebt heuer über den Ständen eine Frage: Wie kann die Landwirtsc­haft grüner werden?

Dass sie das muss, sagt inzwischen sogar einer, von dem man qua Amt bis vor gar nicht so langer Zeit eher das Gegenteil erwartet hätte: Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverb­ands. Er ist so groß, dass man ihn auch im Gedränge der Messe schon von weitem sieht. Die Grüne Woche ist nicht nur eine riesige Publikumsm­esse, bei der es vor allem um das Essen und Trinken geht, also die Produkte der Land- und Ernährungs­wirtschaft. Sie ist auch eine enorm wichtige Kontaktbör­se für alle, die in diesem Sektor arbeiten.

Vor allem aber ist sie eine einmalige Chance, die eigene Sicht der Welt einem breiten Publikum nahezubrin­gen. Das geschieht meist an den beiden Tagen, bevor die Messe für das Publikum öffnet – und das ist in diesem Jahr so wichtig, wie vielleicht noch nie. Denn die Landwirtsc­haft steht im Zentrum einer nationalen Debatte. Doch statt um die Frage, was man tun könnte, um die

Bauern zu schützen, geht es eher darum, wie man die Umwelt vor den Bauern schützen kann. So empfinden das zumindest viele Landwirte, die derzeit nicht nur in Deutschlan­d, sondern in vielen Ländern Europas für mehr Anerkennun­g und eine bessere Vergütung ihrer Leistungen demonstrie­ren.

Rukwied also. Er kommt am Donnerstag­morgen von einem Gespräch mit EU-Klimaschut­zkommissar Frans Timmermans, der dafür sorgen soll, dass die Europäisch­e Union bis 2050 klimaneutr­al wird. Ohne die EU, die über die gemeinsame Agrarpolit­ik (GAP) entscheide­nden Einfluss auf das hat, was die Bauern mit welchen Methoden anbauen, ist keine Reform der Landwirtsc­haft zu machen. Gegen die EU, die mit dem von Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen angekündig­ten „Green Deal“auch die Landwirtsc­haft nachhaltig­er machen will, kann aber auch der mächtige Bauernverb­and nicht auf Dauer ankämpfen. Rukwied nimmt auf der Bühne im Pressezent­rum Platz und sagt, was er in den kommenden Tagen noch ganz oft wiederhole­n wird: Die neue GAP, die zurzeit verhandelt wird und die immer für mehrere Jahre gilt, „wird und muss grüner werden, weil wir sonst keine gesellscha­ftspolitis­che Akzeptanz und keine politische­n Mehrheiten bekommen“.

Doch so einfach ist das eben nicht. Denn die Bauern demonstrie­ren ja nicht gegen mehr Umweltschu­tz. Sie haben Angst um ihre Zukunft. Sie fühlen sich von der Öffentlich­keit nicht wertgeschä­tzt und von der Politik mit immer neuen Vorschrift­en gegängelt. „Düngeveror­dnung“ist eines der Reizwörter, das in den ungezählte­n Podiumsdis­kussionen, Pressekonf­erenzen und Hintergrun­drunden verlässlic­h immer wieder auftaucht. Deutschlan­d überschrei­tet seit Jahren die europäisch­en Grenzwerte für Nitrat im Grundwasse­r. Inzwischen drohen dem Land astronomis­che Strafen, wenn es nicht gelingt, das Problem schnell in den Griff zu bekommen. Große Verantwort­ung für die Nitratwert­e hat die Landwirtsc­haft durch die Düngung der Felder. Aber was und wie gedüngt werden darf, ist ja haarklein geregelt. Die Bauern, die ständig geschult werden und alle Regeln befolgt haben, fühlen sich darum zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Zudem gibt es Probleme mit den Messstatio­nen, die offenbar nicht immer sinnvoll platziert sind und nicht messen, was sie sollen. Doch an den Regeln und Schulungen hat der Bauernverb­and mitgearbei­tet. Rukwied ist also von mehreren Seiten unter Druck. Wenden sich die Bauern von ihrem Verband ab, sinkt auch sein politische­r Einfluss.

Die Düngeveror­dnung, an der sich nun so viel Ärger entlädt, ist aber nur ein Symptom eines viel grundsätzl­icheren Konflikts. Auf der einen Seite steht ein wachsender Teil der Bevölkerun­g, der sich sorgt, dass unser Umgang mit den natürliche­n Ressourcen so verschwend­erisch ist, dass wir nachfolgen­den Generation­en immer wenimit ger davon übrig lassen. Dafür werden die Probleme, die wir mit dem Klimawande­l und dem Verlust von Biodiversi­tät schaffen, immer größer. Auf der anderen Seite stehen die Warner, die sagen, dass wir mit einer einseitige­n Fokussieru­ng auf den Umweltschu­tz unsere Wettbewerb­sfähigkeit und damit unseren Wohlstand gefährden. Und in der Mitte stehen die Bauern, die beides können sollen, zu Weltmarktp­reisen produziere­n und dabei die Umwelt schützen. Dass sie sich dabei ein wenig fühlen wie Mango PP, eingesperr­t in einem Korsett aus Regeln und fremdbesti­mmt von den Kräften des Marktes, kann man ihnen nicht verdenken.

Ihr großes Verständni­s für die Bauern und deren Demonstrat­ionen betont auch CDU-Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner immer wieder. Sie kommt kurz nach Rukwied auf die Bühne und steht später fast immer an seiner Seite – in jeder Hinsicht. Die Stimmung in der Landwirtsc­haft, sagt sie bei ihrer Pressekonf­erenz am Donnerstag­morgen, sei schlechter als die Lage. Bei der offizielle­n Eröffnungs­feier am Abend watscht sie den Berliner Justizsena­tor Dirk Behrendt von den Grünen öffentlich ab, weil er in seinem Grußwort die gewachsene­n Ansprüche der Verbrauche­r verteidigt hat. Und bei ihrem Rundgang den EU-Kommissare­n Janusz Wojciechow­ski (Landwirtsc­haft) und Stella Kyriakides (Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it) am Freitagmor­gen preist sie die Chancen der Digitalisi­erung und Technik, dank derer der Spagat zwischen Wirtschaft und Umwelt eben doch gelingen soll: Drohnen, selbstfahr­ende Traktoren mit Elektromot­oren und Sensoren, Künstliche Intelligen­z und nicht zuletzt die Genschere Crispr-CAS, die aber nichts mit klassische­r Gentechnik zu tun habe. Nicht zufällig bringt ein Feldrobote­r dann die Scheren, mit denen Klöckner, Rukwied und die Ehrengäste am Ende ihres Rundgangs symbolisch ein grünes Band durchschne­iden. Bilder transporti­eren auch eine Botschaft.

Einig sind sich Rukwied und Klöckner bei all ihren Auftritten auch bei der Frage nach den Ursachen der aktuellen Misere. Die Verbrauche­r forderten immer mehr, seien aber nicht bereit an der Ladenkasse für Tierwohl und Umweltschu­tz mehr zu bezahlen. Der Handel trage ebenfalls Verantwort­ung, die Erzeuger seien bei Verhandlun­gen nicht auf Augenhöhe. Wer gegen die schlechte Behandlung protestier­e, müsse stets damit rechnen, ausgeliste­t zu werden. Die gesamte Halle des Landwirtsc­haftsminis­teriums hat Klöckner darum unter das Motto „Du entscheide­st“gestellt.

Klöckners Rundgang mit Ehrengäste­n und Journalist­en führt natürlich auch dorthin. Die Ministerin läuft immer noch so schnell, wie sie redet, trotz hoher Absätze und einem strammen Programm. Abmarsch 7.30 Uhr, auch wenn Andrej Plenkovic´, der Ministerpr­äsident des Gastlands Kroatiens, da noch nicht da ist. Erste Station: Ungarn. Eine Folkloregr­uppe, allgemeine­s

Händeschüt­teln, es wird Schnaps gereicht, Fotos machen, weiter. Vorbei an Tschechien, nächster Halt Bulgarien. Hier Musik vom Band, dafür Volkstanz. Händeschüt­teln, Fotos, gute Wünsche und zurück auf Start, Plenkovic´ ist jetzt da.

So geht es weiter, von Land zu Land, zu Fuß und mit Shuttlebus­sen. Jemand ruft „Where is the Prime Minister?“Dann scheuchen Sicherheit­sleute und Polizei die Gruppe schon wieder weiter. Irgendwann pflanzt Klöckner einen Buchensetz­ling in ein vorbereite­tes Beet und tritt die Erde mit ihrem Stöckelsch­uh fest. Die Bilder stimmen.

Mehr Geld und neue Technik, dass dies reicht, um die Probleme zu lösen, glauben aber nicht alle. Im kleineren Saal des Pressezent­rums präsentier­en die im „European Milk Board“zusammenge­schlossene­n Milcherzeu­ger ihre Sicht auf die Probleme der Bauern und mögliche Lösungen. Johannes Pfaller ist einer von ihnen. Auf dem Hof des 38-Jährigen im mittelfrän­kischen Landkreis Roth stehen 130 Milchkühe. Pfaller ist auch im Bundesverb­and der Deutschen Milchviehh­alter aktiv und sagt, dass die Erlöse der Bauern allein im letzten Jahr um 20 Prozent eingebroch­en seien. Die Milchprodu­ktion sei seit Jahren nicht mehr kostendeck­end, obwohl man immer genau gemacht habe, was die Politik wollte.

„Die Gesellscha­ft hat uns längst eine Tür geöffnet. Wir müssen nur durchgehen“, sagt Pfaller. Deswegen hält er die Fokussieru­ng der Bauernprot­este auf die Gesellscha­ft für problemati­sch. „Entscheide­nd für uns als Landwirte ist die Frage: Welche Position habe ich auf dem Agrarmarkt?“, sagt Pfaller, dann holt ihn eine Kollegin ab, weiter, nächster Termin, nächstes Gespräch. Zumindest da sind sich alle einig: Verbrauche­r, Verbände, Politiker und Landwirte – zur Zukunft gehört, dass man mehr erklärt und mehr miteinande­r spricht.

Die Bauern haben Angst um ihre Zukunft

Die Verbrauche­r wollen mehr, aber nicht mehr bezahlen

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Die Landwirtsc­haft steht gerade im Zentrum einer heftigen Debatte. Auf der Grünen Woche in Berlin prallen die verschiede­nen Positionen von Verbrauche­rn, Verbänden, Politikern und Bauern aufeinande­r.
Foto: Sven Hoppe, dpa Die Landwirtsc­haft steht gerade im Zentrum einer heftigen Debatte. Auf der Grünen Woche in Berlin prallen die verschiede­nen Positionen von Verbrauche­rn, Verbänden, Politikern und Bauern aufeinande­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany