Augsburger Allgemeine (Land West)

Groß, größer, aus Glas

Ob Apple-Zentrale oder Elbphilhar­monie – das Unternehme­n Sedak aus Gersthofen stellt Scheiben für die markantest­en Bauwerke der Welt her

- VON MICHAEL KERLER

Gersthofen Hart und spröde, so kennen wir Glas aus dem Alltag. Das ändert sich, je größer die Scheiben werden. Dann biegt sich die Glasfläche plötzlich. Wie ein Blatt Tonpapier auf einer Fingerspit­ze. Die Scheibe, die gerade in der Halle des Unternehme­ns Sedak in Gersthofen auf dem Bearbeitun­gstisch liegt, ist 17 Meter lang. Langsam senken sich Saugnäpfe, groß wie Untertasse­n, auf die Scheibe herab. Ein Pfeifen, ein Piepsen, das Sirren von Elektromot­oren, an Haken wird die Scheibe daraufhin wie in Zeitlupe nach oben gezogen. Auf einmal wölbt sie sich wie dünner Karton. Die umstehende­n Arbeiter tragen Helme und Handschuhe, sie sind hoch konzentrie­rt. Denn nichts soll schiefgehe­n auf dem Weg zum nächsten Bearbeitun­gsschritt.

Das Unternehme­n Sedak in Gersthofen produziert Isolierglä­ser und Sicherheit­sgläser für Fassaden in übergroßen Formaten. Scheiben aus Gersthofen haben ihren Weg zu spektakulä­ren Architektu­rprojekten gefunden. Sedak lieferte Glas für die kreisrunde Apple-Zentrale in Kalifornie­n, für das Lakhta-Center in St. Petersburg, aber auch für das Haus der Bayerische­n Geschichte in Regensburg. Auch die Scheiben für den Umbau des Messeturms in Frankfurt am Main stammen von Sedak. Das Hochhaus mit einer Fassade aus rotem Granit von Spitzenarc­hitekt Helmut Jahn aus dem Jahr 1991 wird umgebaut. Es soll innen leichter und heller wirken.

Sedak beschäftig­t rund 180 Mitarbeite­r, die Zentrale liegt in Gersthofen, in New Jersey in den USA gibt es eine Geschäftss­telle. Das Unternehme­n versteht sich als Spezialist, der Glas für außergewöh­nliche Bauvorhabe­n herstellt. Für Architekte­n ist Glas derzeit eine riesige Spielwiese, erfährt man bei Sedak. Sie träumen von immer größeren Glasfläche­n, um Häuser transparen­t zu machen. „Früher war es eine Herausford­erung, über sechs Meter Länge zu gehen“, sagt Geschäftsf­ührer Bernhard Veh. „Heute haben wir 20 Meter Länge erreicht.“Darauf, seit kurzem Scheiben in dieser Länge produziere­n zu können, ist man bei Sedak besonders stolz. „Das kann sonst kein anderes Unternehme­n auf der Welt“, sagt Veh. „Dafür braucht man jede Menge Pioniergei­st.“Noch ist es ein Geheimnis, wo die Riesensche­iben zuerst eingebaut werden.

Zwanzig Meter sind derzeit praktisch das Maximum in der Glasfertig­ung. Auch wenn es Sedak gelungen ist, große Scheiben herzustell­en, stellen die Ausmaße die Firma vor neue Herausford­erungen. „Wir haben ein eigenes Fahrzeug bauen müssen, um das Glas hierher zu transporti­eren“, sagt Veh.

Sedak produziert die Glasscheib­en dabei nicht selbst. Das Rohglas wird zugeliefer­t und dann in Gersthofen „veredelt“, wie es die Fachleute formuliere­n. Aus dem einfachen Glas entsteht zum Beispiel Isoliergla­s oder Sicherheit­sglas. Dazu werden mehrere Glasplatte­n zu einer Scheibe laminiert. Die Scheiben können in Gersthofen auch bedruckt, gebogen, geschliffe­n werden. Dann sind sie bereit für den Weg zu den Baustellen.

„Unser wichtigste­r Markt sind die USA“, berichtet Veh. Scheiben aus Gersthofen finden ihren Weg aber auch nach Asien, Arabien und in andere Regionen. „Ob Russland oder Hongkong, wir gehen dorthin, wo die Kunden uns brauchen“, sagt er. Besonders dicke, stabile Gläser werden in Kreuzfahrt­schiffe eingebaut. Das jüngste Highlight: Das Haus der Europäisch­en Geschichte in Brüssel erhielt im Dezember den German Design Award 2020. Die

Elemente dafür stammten aus Gersthofen.

Bernhard Veh, 56, startete vor über dreißig Jahren als Einkäufer bei der Seele-Firmengrup­pe. Seit 2013 führt der gelernte Kaufmann den Glasveredl­er Sedak. Er ist überzeugt, dass die Mitarbeite­r hier etwas Besonderes verbindet: „Der Mut, etwas Außergewöh­nliches zu machen“, meint er. „Auf der ganzen Welt gibt es markante Gebäude. Wer ist dann nicht stolz darauf, wenn er weiß, dass die Scheiben durch die eigenen Hände gelaufen sind?“Kein Grund aber, hochmütig zu werden: „Wir sind eine bodenständ­ige, schwäbisch­e Firma“, sagt Veh, ein pragmatisc­her, anpackende­r Mann, der im nahen Wertingen wohnt.

Der Besuch in der Fertigung ist ein Erlebnis: Die Halle im Nordosten der Stadt erstreckt sich über eine Fläche von rund fünf Fußballfel­dern, 450 Meter ist sie lang, ein gigantisch­er riesiger offener Raum. Das Rohglas bewegt sich zuerst über lange Transports­tränge, mit Diamantsch­leifern wird es angeschnit­ten, dann gebrochen. In den Bearbeitun­gszentren werden die Kanten geschliffe­n, es wird gefräst und gebohrt. In einem Reinraum legen die Beschäftig­ten dünne Kunststoff­folien zwischen das Glas. Haushohe Öfen – Autoklaven genannt – verbacken Glas und Folie bei rund 140 Grad zu den fertigen Scheiben, Sicherheit­sglas entsteht. Dass eine Scheibe am Ende sieben Tonnen wiegt, ist keine Seltenheit. Die dicksten Scheiben bestehen aus bis zu 18 Schichten. Sie kommen auf Jachten zum Einsatz. Eingebaut in den Schiffskör­per kann man die Unterwasse­rwelt beobachten. Durch die Dicke der Scheibe kann diese selbst Kollisione­n standhalte­n.

Das Unternehme­n Sedak gibt es erst seit 2007. „Wir sind damals in kurzer Zeit von null auf 100 gestartet“, erinnert sich Geschäftsf­ührer Veh. Das Ziel war es, Scheiben herzustell­en, die länger als sechs Meter sind. Doch inzwischen wollen die Architekte­n mehr als nur flache Gläser: „Der Trend geht zu gebogenem

Glas“, sagt Sedak-Sprecherin Tatjana Vinkovic. „Gebäude werden immer amorpher, die Formen runder“, sagt sie.

Das Unternehme­n hat sich deshalb neues Know-how an Bord geholt und 60 Prozent an der Firma Sunglass Industry aus Villafranc­a Padovana bei Padua in Italien erworben. Die rund 75 Mitarbeite­r dort erstellen komplexer gebogene

Scheiben und haben zum Beispiel die Elbphilhar­monie in Hamburg beliefert. Auch für das größte Riesenrad der Welt, das Dubai Eye, liefert der italienisc­he Spezialist die gebogenen Gläser für die Personenka­binen.

Bei Sedak sieht man große Chancen für die Zukunft: „Die moderne Architektu­r wünscht sich mehr Transparen­z im Fassadenba­u“, sagt

Tatjana Vinkovic. Dafür gibt es nur eine Lösung: Glas.

Ihr aktuelles Lieblingsp­rojekt: ein Hotel im kroatische­n Küstenort Rovinj. Blickt man aus einem dunklen Raum durch die Scheibe ins Freie, entfaltet sich ein Panorama wie auf einer Postkarte. Blaues Meer, die roten Dächer, die Küstenstad­t und grüner Wald. Die Scheibe stammt natürlich aus Gersthofen.

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Fotos: Sedak Zwanzig Meter lange Scheiben sind derzeit das Maximum der Glasfertig­ung. Das Unternehme­n Sedak in Gersthofen hat die Herausford­erung gemeistert.
 ?? ?? Prämiert: das Haus der Europäisch­en Geschichte in Brüssel mit Sedak-Scheiben.
Prämiert: das Haus der Europäisch­en Geschichte in Brüssel mit Sedak-Scheiben.

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