Augsburger Allgemeine (Land West)
Groß, größer, aus Glas
Ob Apple-Zentrale oder Elbphilharmonie – das Unternehmen Sedak aus Gersthofen stellt Scheiben für die markantesten Bauwerke der Welt her
Gersthofen Hart und spröde, so kennen wir Glas aus dem Alltag. Das ändert sich, je größer die Scheiben werden. Dann biegt sich die Glasfläche plötzlich. Wie ein Blatt Tonpapier auf einer Fingerspitze. Die Scheibe, die gerade in der Halle des Unternehmens Sedak in Gersthofen auf dem Bearbeitungstisch liegt, ist 17 Meter lang. Langsam senken sich Saugnäpfe, groß wie Untertassen, auf die Scheibe herab. Ein Pfeifen, ein Piepsen, das Sirren von Elektromotoren, an Haken wird die Scheibe daraufhin wie in Zeitlupe nach oben gezogen. Auf einmal wölbt sie sich wie dünner Karton. Die umstehenden Arbeiter tragen Helme und Handschuhe, sie sind hoch konzentriert. Denn nichts soll schiefgehen auf dem Weg zum nächsten Bearbeitungsschritt.
Das Unternehmen Sedak in Gersthofen produziert Isoliergläser und Sicherheitsgläser für Fassaden in übergroßen Formaten. Scheiben aus Gersthofen haben ihren Weg zu spektakulären Architekturprojekten gefunden. Sedak lieferte Glas für die kreisrunde Apple-Zentrale in Kalifornien, für das Lakhta-Center in St. Petersburg, aber auch für das Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg. Auch die Scheiben für den Umbau des Messeturms in Frankfurt am Main stammen von Sedak. Das Hochhaus mit einer Fassade aus rotem Granit von Spitzenarchitekt Helmut Jahn aus dem Jahr 1991 wird umgebaut. Es soll innen leichter und heller wirken.
Sedak beschäftigt rund 180 Mitarbeiter, die Zentrale liegt in Gersthofen, in New Jersey in den USA gibt es eine Geschäftsstelle. Das Unternehmen versteht sich als Spezialist, der Glas für außergewöhnliche Bauvorhaben herstellt. Für Architekten ist Glas derzeit eine riesige Spielwiese, erfährt man bei Sedak. Sie träumen von immer größeren Glasflächen, um Häuser transparent zu machen. „Früher war es eine Herausforderung, über sechs Meter Länge zu gehen“, sagt Geschäftsführer Bernhard Veh. „Heute haben wir 20 Meter Länge erreicht.“Darauf, seit kurzem Scheiben in dieser Länge produzieren zu können, ist man bei Sedak besonders stolz. „Das kann sonst kein anderes Unternehmen auf der Welt“, sagt Veh. „Dafür braucht man jede Menge Pioniergeist.“Noch ist es ein Geheimnis, wo die Riesenscheiben zuerst eingebaut werden.
Zwanzig Meter sind derzeit praktisch das Maximum in der Glasfertigung. Auch wenn es Sedak gelungen ist, große Scheiben herzustellen, stellen die Ausmaße die Firma vor neue Herausforderungen. „Wir haben ein eigenes Fahrzeug bauen müssen, um das Glas hierher zu transportieren“, sagt Veh.
Sedak produziert die Glasscheiben dabei nicht selbst. Das Rohglas wird zugeliefert und dann in Gersthofen „veredelt“, wie es die Fachleute formulieren. Aus dem einfachen Glas entsteht zum Beispiel Isolierglas oder Sicherheitsglas. Dazu werden mehrere Glasplatten zu einer Scheibe laminiert. Die Scheiben können in Gersthofen auch bedruckt, gebogen, geschliffen werden. Dann sind sie bereit für den Weg zu den Baustellen.
„Unser wichtigster Markt sind die USA“, berichtet Veh. Scheiben aus Gersthofen finden ihren Weg aber auch nach Asien, Arabien und in andere Regionen. „Ob Russland oder Hongkong, wir gehen dorthin, wo die Kunden uns brauchen“, sagt er. Besonders dicke, stabile Gläser werden in Kreuzfahrtschiffe eingebaut. Das jüngste Highlight: Das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel erhielt im Dezember den German Design Award 2020. Die
Elemente dafür stammten aus Gersthofen.
Bernhard Veh, 56, startete vor über dreißig Jahren als Einkäufer bei der Seele-Firmengruppe. Seit 2013 führt der gelernte Kaufmann den Glasveredler Sedak. Er ist überzeugt, dass die Mitarbeiter hier etwas Besonderes verbindet: „Der Mut, etwas Außergewöhnliches zu machen“, meint er. „Auf der ganzen Welt gibt es markante Gebäude. Wer ist dann nicht stolz darauf, wenn er weiß, dass die Scheiben durch die eigenen Hände gelaufen sind?“Kein Grund aber, hochmütig zu werden: „Wir sind eine bodenständige, schwäbische Firma“, sagt Veh, ein pragmatischer, anpackender Mann, der im nahen Wertingen wohnt.
Der Besuch in der Fertigung ist ein Erlebnis: Die Halle im Nordosten der Stadt erstreckt sich über eine Fläche von rund fünf Fußballfeldern, 450 Meter ist sie lang, ein gigantischer riesiger offener Raum. Das Rohglas bewegt sich zuerst über lange Transportstränge, mit Diamantschleifern wird es angeschnitten, dann gebrochen. In den Bearbeitungszentren werden die Kanten geschliffen, es wird gefräst und gebohrt. In einem Reinraum legen die Beschäftigten dünne Kunststofffolien zwischen das Glas. Haushohe Öfen – Autoklaven genannt – verbacken Glas und Folie bei rund 140 Grad zu den fertigen Scheiben, Sicherheitsglas entsteht. Dass eine Scheibe am Ende sieben Tonnen wiegt, ist keine Seltenheit. Die dicksten Scheiben bestehen aus bis zu 18 Schichten. Sie kommen auf Jachten zum Einsatz. Eingebaut in den Schiffskörper kann man die Unterwasserwelt beobachten. Durch die Dicke der Scheibe kann diese selbst Kollisionen standhalten.
Das Unternehmen Sedak gibt es erst seit 2007. „Wir sind damals in kurzer Zeit von null auf 100 gestartet“, erinnert sich Geschäftsführer Veh. Das Ziel war es, Scheiben herzustellen, die länger als sechs Meter sind. Doch inzwischen wollen die Architekten mehr als nur flache Gläser: „Der Trend geht zu gebogenem
Glas“, sagt Sedak-Sprecherin Tatjana Vinkovic. „Gebäude werden immer amorpher, die Formen runder“, sagt sie.
Das Unternehmen hat sich deshalb neues Know-how an Bord geholt und 60 Prozent an der Firma Sunglass Industry aus Villafranca Padovana bei Padua in Italien erworben. Die rund 75 Mitarbeiter dort erstellen komplexer gebogene
Scheiben und haben zum Beispiel die Elbphilharmonie in Hamburg beliefert. Auch für das größte Riesenrad der Welt, das Dubai Eye, liefert der italienische Spezialist die gebogenen Gläser für die Personenkabinen.
Bei Sedak sieht man große Chancen für die Zukunft: „Die moderne Architektur wünscht sich mehr Transparenz im Fassadenbau“, sagt
Tatjana Vinkovic. Dafür gibt es nur eine Lösung: Glas.
Ihr aktuelles Lieblingsprojekt: ein Hotel im kroatischen Küstenort Rovinj. Blickt man aus einem dunklen Raum durch die Scheibe ins Freie, entfaltet sich ein Panorama wie auf einer Postkarte. Blaues Meer, die roten Dächer, die Küstenstadt und grüner Wald. Die Scheibe stammt natürlich aus Gersthofen.