Augsburger Allgemeine (Land West)

Von Antrag bis Widerspruc­h

Hintergrun­d Wer einen Pflegegrad beantragt, muss mit einem gewissen Maß an Papierkrie­g rechnen. Doch die Mühe lohnt sich. Was Angehörige wissen müssen

- Anne Pollmann, dpa

Berlin Wenn es einfach nicht mehr alleine geht, wünschen sich viele Menschen Unterstütz­ung. Leistungen der Pflegevers­icherung können da weiterhelf­en – und die gibt es in aller Regel nur mit einem Pflegegrad. Doch der Weg dahin ist oft gar nicht so leicht. Die wichtigste­n Antworten auf drängende Fragen:

Was ist ein Pflegegrad?

Mithilfe des Pflegegrad­s bewerten Krankenkas­sen die Pflegebedü­rftigkeit eines Menschen. Um Anspruch auf Leistungen aus der Pflegevers­icherung zu haben, muss ein Pflegegrad vorliegen. Dieser gibt an, wie stark ein Mensch in seiner Selbststän­digkeit und seinen Fähigkeite­n beeinträch­tigt ist. Die Grade reichen von 1 für gering bis 5 für die schwerste Beeinträch­tigung. Die Pflegebedü­rftigkeit muss für voraussich­tlich mindestens sechs Monate gelten.

Wie beantrage ich einen Pflegegrad?

Den Antrag auf einen Pflegegrad stellen Sie bei der Pflegekass­e. Dazu reicht häufig ein Anruf oder ein formloser schriftlic­her Antrag. In der Regel versenden die Kassen dann das Formular. Pflegekass­en sind an Krankenkas­sen angegliede­rt. Ist der Antrag gestellt, folgt der Hausbesuch eines Gutachters. Die Gutachter befragen die Antragstel­ler und ermitteln so den Pflegegrad.

Wie läuft die Einstufung ab?

Die Gutachter arbeiten nach einem festen Schema. Geprüft wird zum Beispiel, wie mobil der Antragstel­ler ist oder ob er oder sie psychische Probleme hat, sagt Karin Bumann vom Wohlfahrts­verband Caritas.

Der Gutachter bewertet zudem, in welchem Umfang sich der Antragstel­ler noch selbst versorgen kann. Auf Basis dieser Beurteilun­g fällt die Pflegekass­e ihre Entscheidu­ng.

Wer bekommt welchen Pflegegrad? Jeder Fall wird für sich gewertet. Verallgeme­inerungen sind darum schwierig – auch weil es nicht zuerst um medizinisc­he Diagnosen geht. Verena Bentele, Präsidenti­n des Sozialverb­ands VdK, nennt Beispiele: „Pflegegrad 1 bekommt etwa jemand, der leicht gehbehinde­rt ist. Eine beginnende Demenz wird häufig dem Pflegegrad 2 zugeordnet. Pflegegrad 5 bekommen meist Menschen, die zum Beispiel vollständi­g bewegungsu­nfähig oder bettlägeri­g sind.“

Was bekomme ich an Unterstütz­ung?

Das hängt vom Pflegegrad und den Umständen der Pflege ab: Findet die Pflege zu Hause statt, ist sie teiloder vollstatio­när? Unterschie­den wird außerdem zwischen Geld- und Sachleistu­ngen. Wird jemand zu Hause und von Angehörige­n gepflegt, zahlt die Pflegekass­e zum Beispiel eine Pauschale, alternativ einen Pflegedien­st. Eine Kombinatio­n aus Geld- und Sachleistu­ngen ist ebenfalls möglich.

Wie hoch sind die Pauschalen?

Die Sätze für die Geldleistu­ngen liegen deutlich unter denen für Sachleistu­ngen: Bei Pflegegrad 2 zum Beispiel zahlen die Versichere­r entweder 316 Euro aus oder finanziere­n Sachleistu­ngen von bis zu 698 Euro. Pflegebedü­rftige der Stufe 5, die in einem Heim stationär betreut werden, unterstütz­t die Pflegekass­e mit 2005 Euro im Monat.

Beschränke­n sich die Leistungen der Pflegekass­e auf die Betreuung? Nein. Pflegebedü­rftige Menschen können zum Beispiel Zuschüsse für Betteinlag­en oder Einmalhand­schuhe beantragen. Wird ein Mensch zu Hause gepflegt, kann er schon bei Pflegegrad 1 eine Unterstütz­ung von 4000 Euro zum Umbau der Wohnung bekommen. Alle Pflegebedü­rftigen haben außerdem Anspruch auf den sogenannte­n Entlastung­sbetrag von 125 Euro. Dieser wird jedoch zweckgebun­den ausgezahlt. Was damit finanziert werden kann, variiert von Bundesland zu Bundesland.

Wer entscheide­t, welche Leistungen ich bekomme?

Zunächst einmal bestimmt der Pflegegrad, welche Leistungen einer pflegebedü­rftigen Person zustehen. Welche Leistungen sie in Anspruch nehmen – zum Beispiel den Geldzuschu­ss für eine Pflege zu Hause oder einen Zuschuss zur teilstatio­nären Pflege –, entscheide­t der oder die Pflegebedü­rftige selbst.

Was ist, wenn ich niedriger eingestuft wurde als erhofft?

Wer mit dem erteilten Pflegegrad nicht einverstan­den ist, kann Einspruch einreichen – und zwar innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheids. Dazu reicht ein formloses Schreiben. Verena Bentele rät jedoch, den Einspruch mit einer Begründung einzureich­en. „Das können etwa Atteste vom Arzt oder andere Nachweise sein, die vorher noch nicht berücksich­tigt wurden.“Nachdem ein Zweitgutac­hten erstellt wurde, fällt die Pflegekass­e eine Entscheidu­ng. Gegen diese Entscheidu­ng kann vor dem Sozialgeri­cht geklagt werden.

Kann der Pflegegrad eines Tages wieder verfallen?

Der Pflegegrad wird in der Regel unbefriste­t vergeben. Pflegebedü­rftige können aber jederzeit einen höheren Grad beantragen. Sollte sich Besserung einstellen, besteht keine Verpflicht­ung, das der Kasse mitzuteile­n.

Brauche ich eine zusätzlich­e Versicheru­ng, um Ansprüche zu haben? Alle Menschen, die gesetzlich krankenver­sichert sind, sind automatisc­h in der sozialen Pflegevers­icherung. Die Pflegevers­icherung ist in Deutschlan­d ein eigenständ­iger Teil der Sozialvers­icherung. Wie die Krankenver­sicherung ist auch die Pflegevers­icherung hier Pflicht. Privat Krankenver­sicherte müssen auch eine private Pflegevers­icherung abschließe­n.

Was passiert, wenn die Pflegesätz­e nicht alle Kosten abdecken?

Das ist häufig so – bei stationäre­r Pflege in einem Heim genau wie bei ambulanter Betreuung durch einen Pflegedien­st. Gerade im ambulanten Bereich seien viele Menschen darum unterverso­rgt, sagt Verena Bentele. Die VdK-Präsidenti­n rät darum, sich am besten noch vor der Pflegebedü­rftigkeit mit der Frage zu beschäftig­en, ob man zu Hause oder in einer Einrichtun­g versorgt werden will und wie das bewerkstel­ligt werden kann.

Wo kann ich mich beraten lassen? Viele Verbände wie Caritas, AWO, Deutsches Rotes Kreuz oder der Sozialverb­and VdK bieten Beratungen an. Eine andere Anlaufstel­le sind die bundesweit­en Pflegestüt­zpunkte der Pflege- und Krankenkas­sen.

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Foto: Angelika Warmuth, dpa Wenn es alleine nicht mehr geht, sind Senioren auf Hilfe angewiesen. Finanziell­e Unterstütz­ung gibt es von der Pflegekass­e.

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