Augsburger Allgemeine (Land West)

Stau am Berg

Immer mehr Menschen zieht es im Winter in die Alpen. Die Folge: Viele Skigebiete sind heillos überfüllt. Wo besonders viel los ist und welche Folgen die Massen für die Natur haben

- VON STEPHANIE SARTOR UND ANDREA WENZEL

Augsburg Manchmal driften Wunsch und Wirklichke­it unglaublic­h weit auseinande­r. Da träumt man davon, friedlich durch puderzucke­rfeinen Pulverschn­ee zu pflügen, umgeben von nichts und niemandem außer den gewaltigen Berggipfel­n – und dann das: Menschenma­ssen. Auf dem Parkplatz. In der Gondel. Auf der Piste. In der Hütte. Überall. Und dieser Andrang hat massive Auswirkung­en – auf die Dörfer in den Skigebiete­n, die Laune der Touristen und die Natur.

Wie sehr sich der Wintertour­ismus verändert hat, das verraten die Zahlen: In Bayern sind die Gästeankün­fte in der Wintersais­on innerhalb von nur zehn Jahren stark angestiege­n. In der Saison 2008/2009 waren es knapp über zehn Millionen. 2018/2019 fast 16 Millionen – das ist ein Plus von 56 Prozent.

Erwin Menhofer hat das am eigenen Leib erfahren. Der Zahnarzt aus Augsburg ist begeistert­er Skifahrer und in den Weihnachts­ferien immer in den Bergen. „Dieses Mal war es so schlimm wie noch nie, die Leute haben in den Feldern geparkt, weil sonst alles voll war“, erzählt Menhofer, der jedes Jahr im österreich­ischen Schladming Urlaub macht. Dass dort am Berg auf einmal so viel los ist, dafür macht er auch die Liftbetrei­ber verantwort­lich. „Es wurde eine neue Bahn gebaut. 1800 Menschen können pro Stunde auf den Berg gebracht werden“, sagt

Menhofer und fügt hinzu: „Da ist Geldgier im Spiel. Da werden so viele Menschen raufgekarr­t wie möglich.“Der Skifahrer hat sich aber nicht nur über lange Warteschla­ngen an den Liften geärgert. „Wir haben uns auch unsicher gefühlt.“Er habe von extrem vielen Unfällen und Hubschraub­ereinsätze­n gehört. „Die Gefährdung des Gastes wird einfach hingenomme­n. Und das geht nicht.“

Auch im Skigebiet Steinplatt­e in der Nähe des oberbayeri­schen Reit im Winkl kennt man das Problem mit zu vielen Gästen. „Speziell an Schönwette­rtagen in den Ferien und am Wochenende stoßen wir als mittelgroß­es Skigebiet an unsere Kapazitäts­grenzen“, erzählt Andreas Brandtner, Geschäftsf­ührer der Steinplatt­e Aufschließ­ungsgesell­schaft. Noch stärker dann, wenn in den umliegende­n Skigebiete­n wenig Schnee liegt und ein Skivergnüg­en nur eingeschrä­nkt oder gar nicht möglich ist. So wie in dieser Saison. Dann machen sich noch mehr Besucher auf den Weg zur Steinplatt­e. Das führe unter anderem dazu, dass sich an diesen Tagen auf den Zufahrtsst­raßen lange Rückstaus bilden. Nicht nur Tagestouri­sten, sondern auch Urlauber aus den benachbart­en Orten sind dann betroffen – selbst der Skibus, der eigentlich als schneller Shuttle zwischen Unterkunft und Liftanlage dienen soll, kommt nur im Schritttem­po voran. Um Abhilfe zu schaffen, würde man in solchen Fällen die Polizei um Hilfe bitten, um die Gäste an den entspreche­nden Stellen rechtzeiti­g über die Lage zu informiere­n. Auch Radiosende­r werden gebeten, Durchsagen zu machen. Die Idee, den Shuttlebus-Betrieb zu intensivie­ren und so den Zufahrtsve­rkehr zu reduzieren, sei derzeit nicht umsetzbar, sagt Brandtner. „Da alle Fahrer für den Skibusverk­ehr und den Shuttlebus zum Ausweichpa­rkplatz eingeteilt sind und auch die Ruhezeiten und die Zeiten im Fahrplan eingehalte­n werden müssen, fällt diese Option weg.“

Auch im Allgäu kennt man derlei Probleme: Im Oberallgäu ist es oft auf der B19 ab Sonthofen voll, wenn

Winterspor­tler auf dem Weg in die Berge sind. Sie fahren zum Beispiel nach Oberstdorf, wo 2017 über 2,6 Millionen Übernachtu­ngen gezählt wurden – 300000 mehr als noch 2010. Oberstdorf ist nach Angaben der Allgäu GmbH der Ort im Allgäu mit den meisten Übernachtu­ngen. Besonders gut besucht sind auch Balderschw­ang und Oberjoch.

Seit Jahrzehnte­n erforscht der Kulturgeog­raf Werner Bätzing von der Universitä­t Erlangen-Nürnberg die Alpen. In Bayern sei besonders die Region um den Königssee hoch frequentie­rt. Allerdings sei es noch nicht so schlimm wie etwa im österreich­ischen Ischgl oder in Sölden. „Die werden überrannt“, sagt Bätzing. Die Menschmass­en brächten

Probleme für die Orte mit sich: viel Verkehr, Lärm und steigende Bauund Grundstück­spreise. Zwar konzentrie­rt sich der Alpen-Tourismus auf wenige Flächen – Skipisten etwa machen Bätzing zufolge gerade einmal drei Prozent der Gesamtfläc­he des Alpenraume­s aus –, doch diese Regionen seien extrem stark ökologisch verändert. Er fordert daher, dass die touristisc­he Infrastruk­tur nicht weiter ausgebaut wird und dass es keine Zusammensc­hlüsse von Skigebiete­n mehr gibt. „Wir brauchen einen dezentrale­n Tourismus.“Es sei kontraprod­uktiv, wenn sich Menschenme­ngen auf einzelne Großregion­en konzentrie­rten. Der Tagestouri­smus müsse zudem stärker gelenkt werden. „Die Leute müssen auf andere Ziele hingewiese­n werden, damit sie nicht nur in die Brennpunkt­regionen fahren.“

Verkraftet das Ökosystem der Alpen eigentlich so einen Andrang? Nicht die Skifahrer seien das größte Problem, sagt Michael Schödl, Alpenrefer­ent des Landesbund­s für Vogelschut­z. Denn die blieben meist auf den Pisten. Schneetour­engeher indes würden oft in die Lebensräum­e von wilden Tieren vordringen. „Die Tiere werden aufgescheu­cht. Eigentlich wollen sie sich aber im Winter möglichst wenig bewegen, um Energie zu sparen.“Der Naturexper­te plädiert dafür, keine kleineren Gebiete mehr auszubauen. „Wenn man jedes kleine Skigebiet zu einem beschneite­n aufrüstet, dann haben wir noch mehr Flächenver­brauch für den Tourismus.“

Die Region um den Königssee ist sehr hoch frequentie­rt

 ?? Archivfoto: Ralf Lienert ?? Viele Skifahrer suchen Entspannun­g, wenn sie auf die Berge fahren. Was sie allerdings schon an vielen Parkplätze­n und Liften erwartet, sind lange, lange Menschensc­hlangen. Der Massentour­ismus hat längst gravierend­e Folgen für die Natur und die Ortschafte­n.
Archivfoto: Ralf Lienert Viele Skifahrer suchen Entspannun­g, wenn sie auf die Berge fahren. Was sie allerdings schon an vielen Parkplätze­n und Liften erwartet, sind lange, lange Menschensc­hlangen. Der Massentour­ismus hat längst gravierend­e Folgen für die Natur und die Ortschafte­n.

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