Augsburger Allgemeine (Land West)
Future for Kempten
Junge Leute aus der „Fridays for Future“-Bewegung wollen in den Stadtrat. Was sie antreibt, welche Hürden es gibt und was die Grünen dazu sagen
politiker genießen in Umfragen viel mehr rtrauen als Bundes- oder Landespolitiker. se Reputation kommt nicht von unger. Wenn aber die Qualität der Kommunalitik zumindest gehalten werden soll, ucht Bayern künftig mehr Berufsbürgerister. In den kleineren Gemeinden unter 0 Einwohner machen zu viele den Job h nebenher, doch die Anforderungen sind estiegen, dass man nicht Teilzeit-Bürgerister sein kann. Dieser Meinung ist auch meindetags-Chef Uwe Brandl: „Wer Proionalität und Kompetenz in der Kommupolitik will, muss an das Hauptamt den“, sagt Brandl. Der Bürgermeister sei lerorts ein vollwertiger Sachbearbeiter. Er n nicht auch noch Lehrer sein.
Die Kommunalwahl ist die komplizierteste hl überhaupt. gends sonst gilt der abgedroschene Bef von der „Qual der Wahl“so sehr wie bei Kommunalwahl. Wer in einer Landgeinde wohnt, darf gleich vier Stimmzettel füllen: Gemeinderat, Kreistag, Bürgerister und Landrat. Die Anzahl der Stimn, die der Wähler vergeben darf, enticht meist der Zahl der Mandate. Und die hl der Mandate hängt von der Größe der meinde ab. In München dürfen die Wähzum Beispiel 80 Stimmen abgeben. Dort en 2014 sage und schreibe 932 Kandidaauf 14 Listen für den Stadtrat an. Allein Entfaltung des riesigen Stimmzettels ist eine Herausforderung. Und damit aber h nicht genug der Unübersichtlichkeit: allem Überfluss gibt es noch die Besonheit, dass die Wähler „kumulieren“und naschieren“können. Kumulieren (oder ufeln) bedeutet, man kann einem einzelKandidaten bis zu drei Stimmen geben. aschieren (oder Mischen) heißt, die Stimn können beliebig an Bewerber verschieer Listen verteilt werden. Aber Vorsicht: bei geht schnell der Überblick verloren d man gibt zu viele Stimmen ab. Und dann der Stimmzettel ungültig.
Benjamin Gras tritt mit seinen schwarzen Sportschuhen von einer Stelle auf die andere. Es ist kalt an diesem Vormittag. Der 18-Jährige steht an seinem Stand in der Fußgängerzone der Kemptener Innenstadt. Er braucht Unterschriften – mindestens 340 Stück müssen es bis zum 3. Februar sein. Gras möchte nämlich bei der Kommunalwahl im März einen Sitz im Stadtrat ergattern. Seine Themen: Mobilität, Klimaschutz und Jugend. Immer wieder spricht er Leute an, bittet um Unterstützung. Manche hören interessiert zu, andere schütteln den Kopf und gehen weiter. „Wenn du lange diskutierst, ist dein Gegenüber nicht deiner Meinung“, sagt Gras. So komme man zu keiner Unterschrift. „Du musst es in 30 Sekunden schaffen.“
Gras ist nicht allein. Er hat mit Dominik Tartler, 18, und Julius Bernhardt, 20, die Wählergemeinschaft „Future for Kempten“gegründet. 17 Kandidaten stehen auf der Liste – elf davon sind unter 21 Jahre alt. Die Gruppierung ist aus der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“entstanden. Gras ist einer der Organisatoren in Kempten. Jetzt folgt der nächste Schritt: vom Protest in die Politik. Die Jugendlichen wollen vor Ort mitgestalten, Entscheidungen treffen.
Im Allgäu sind sie besonders früh dran. Nach Recherchen unserer Redaktion ist Kempten neben Erlangen offenbar die einzige Stadt, in der junge Menschen aus der Klimaschutzbewegung den Sprung ins Kommunalparlament mit einer eigenen Liste wagen wollen. Sie lehnen die starren Strukturen der Parteien ab. „Die Grünen sind schon relativ eingesessen, winken viele Sachen einfach nur durch und wir wären als Junge nicht reingekommen“, kritisiert Gras. Mit der eigenen Liste hätten sie viel mehr Chancen. Natürlich habe man ähnliche Themen wie die Grünen, „aber wir werden mit mehr Dampf dahinter sein.“
Ein Mann mit Mantel und Schal kommt zu dem Stand. Um die Schulter trägt er eine
Tasche mit dem Aufdruck „Aus Liebe zum Allgäu“. „Wir brauchen dringend junge Gesichter“, sagt er. Der Mann wünscht sich eine Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs. Er wird unterschreiben. Doch die Jugendlichen müssen kämpfen, um die 340 Unterschriften zusammenzubekommen. 201 Stimmen haben sie am Freitag bereits, die Zeit ist knapp. Gras ist zuversichtlich, dass es klappt. Aber: „Wir brauchen jede Stimme.“
Die Unterschriften schreibt das bayerische Wahlgesetz vor. Je nach Größe der Kommune benötigt man eine bestimmte Anzahl an Unterstützern, um für die Wahl zugelassen zu werden – für bis zu 100000 Einwohner sind es 340 Stück. „Das ist schon eine große Hürde“, sagt Gras. Denn: Die Unterschriften können nicht direkt am Stand in der Innenstadt gesammelt und dann gebündelt abgegeben werden. Gras kann die Passanten nur darum bitten, bei der Stadtverwaltung für seine Wählergemeinschaft zu unterschreiben.
Überhaupt seien die Hürden, eine Liste aufzustellen, hoch. Deshalb haben sich die jungen Erwachsenen von „Jurats“, einem Verein zur Förderung des politischen Nachwuchses, beraten lassen. Der Kontakt kam über ein „Fridays for Future“-Treffen in Berlin zustande. Stefan Ott, Vorsitzender des Vereins in Nordrhein-Westfalen, kennt die Herausforderungen. Er hat Gras und seine Mitstreiter etwa darüber beraten, wie die Satzung aussehen muss, wie eine
Wählergemeinschaft gegründet wird und welche Möglichkeiten die kommunale Klimapolitik bietet.
Gras hat sich viel mit diesen Themen beschäftigt. „Ich bin bereits dabei, den Stadtrat in seine Einzelteile zu zerlegen“, sagt der 18-Jährige. Was wie eine Kampfansage klingt, hat allerdings mehr mit seinem Wissensdurst zu tun: „Wenn man versteht, wie etwas funktioniert, hat man auch keine Angst mehr davor.“
Eines der Hauptanliegen von „Future for Kempten“ist die Jugendbeteiligung an politischen Entscheidungen. Das Durchschnittsalter der 44 Stadträte beträgt knapp 60 Jahre. „Die Jugend wird dort nicht repräsentiert“, sagt Gras. Aktuell arbeitet die Gruppe an konkreten Forderungen – beispielsweise Straßen für den Autoverkehr zu sperren, damit dort Bus- und Fahrradverkehr möglich ist.
Es sind Themen, die auch die Grünen umtreiben. Einen Kilometer weiter sitzt Erna-Kathrein Groll in ihrem Büro. Seit 2008 ist die 60-Jährige für die Grünen im Stadtrat. Die Partei feiert heuer ihr 40-jähriges Bestehen. Sie beansprucht für sich, jung und dynamisch zu sein. Ihr Kernthema ist das Klima, für das Jugendliche seit Monaten auf die Straße gehen. Und diese Partei schafft es jetzt nicht, eben diese Menschen zu sich zu holen?
Groll überlegt kurz: „Als die Demonstrationen losgegangen sind, waren die jungen Leute aufgerüttelt. Sie wollten sich engagieren. Ihnen war es wichtig, unabhängig zu sein.“Groll hat dafür Verständnis. Wenn sie sich alte Grünen-Plakate ansieht, bekommt sie den Eindruck, dass sich kaum etwas verändert hat. Die jungen Leute seien daher wahnsinnig wichtig mit ihrer Wut im Bauch. Es gebe „große Überschneidungen“mit den Grünen, sagt Groll und betont: „Wir arbeiten nicht gegeneinander.“
Zwischen „Fridays for Future“und den Grünen in ihren Anfangsjahren gibt es unbestreitbare Parallelen. Zwangsläufig stellt sich also die Frage, ob die Grünen zu sehr Partei geworden sind. Groll verneint. „Man muss die Spielregeln des Systems kennen, damit man eine Chance hat, sich einzubringen – wir sind erwachsen geworden, aber nicht alt.“Die Kemptenerin hat die Sorge, dass sich die jungen Leute mit einem Sitz im Stadtrat zu viel zumuten: „Die Jungen dürfen nicht verbrannt werden.“Es sei in diesem Alter nicht ganz einfach, sich für sechs Jahre in so ein Gremium zu setzen und sich mit allen möglichen Themen beschäftigen zu müssen. Das koste auch viel Zeit.
Benjamin Gras sieht dieses Problem nicht: Er habe schon unzählige Stunden für „Fridays for Future“investiert. „Wir wollen in den Stadtrat, um zu lernen“, sagt er. Immer wieder hat er Sitzungen des Gremiums besucht. Er geht das Projekt selbstbewusst an, weiß aber auch: „Ohne die Erfahrung der Älteren geht es nicht.“