Augsburger Allgemeine (Land West)

Future for Kempten

Junge Leute aus der „Fridays for Future“-Bewegung wollen in den Stadtrat. Was sie antreibt, welche Hürden es gibt und was die Grünen dazu sagen

- Von Felix Futschik

politiker genießen in Umfragen viel mehr rtrauen als Bundes- oder Landespoli­tiker. se Reputation kommt nicht von unger. Wenn aber die Qualität der Kommunalit­ik zumindest gehalten werden soll, ucht Bayern künftig mehr Berufsbürg­erister. In den kleineren Gemeinden unter 0 Einwohner machen zu viele den Job h nebenher, doch die Anforderun­gen sind estiegen, dass man nicht Teilzeit-Bürgeriste­r sein kann. Dieser Meinung ist auch meindetags-Chef Uwe Brandl: „Wer Proionalit­ät und Kompetenz in der Kommupolit­ik will, muss an das Hauptamt den“, sagt Brandl. Der Bürgermeis­ter sei lerorts ein vollwertig­er Sachbearbe­iter. Er n nicht auch noch Lehrer sein.

Die Kommunalwa­hl ist die komplizier­teste hl überhaupt. gends sonst gilt der abgedrosch­ene Bef von der „Qual der Wahl“so sehr wie bei Kommunalwa­hl. Wer in einer Landgeinde wohnt, darf gleich vier Stimmzette­l füllen: Gemeindera­t, Kreistag, Bürgeriste­r und Landrat. Die Anzahl der Stimn, die der Wähler vergeben darf, enticht meist der Zahl der Mandate. Und die hl der Mandate hängt von der Größe der meinde ab. In München dürfen die Wähzum Beispiel 80 Stimmen abgeben. Dort en 2014 sage und schreibe 932 Kandidaauf 14 Listen für den Stadtrat an. Allein Entfaltung des riesigen Stimmzette­ls ist eine Herausford­erung. Und damit aber h nicht genug der Unübersich­tlichkeit: allem Überfluss gibt es noch die Besonheit, dass die Wähler „kumulieren“und naschieren“können. Kumulieren (oder ufeln) bedeutet, man kann einem einzelKand­idaten bis zu drei Stimmen geben. aschieren (oder Mischen) heißt, die Stimn können beliebig an Bewerber verschieer Listen verteilt werden. Aber Vorsicht: bei geht schnell der Überblick verloren d man gibt zu viele Stimmen ab. Und dann der Stimmzette­l ungültig.

Benjamin Gras tritt mit seinen schwarzen Sportschuh­en von einer Stelle auf die andere. Es ist kalt an diesem Vormittag. Der 18-Jährige steht an seinem Stand in der Fußgängerz­one der Kemptener Innenstadt. Er braucht Unterschri­ften – mindestens 340 Stück müssen es bis zum 3. Februar sein. Gras möchte nämlich bei der Kommunalwa­hl im März einen Sitz im Stadtrat ergattern. Seine Themen: Mobilität, Klimaschut­z und Jugend. Immer wieder spricht er Leute an, bittet um Unterstütz­ung. Manche hören interessie­rt zu, andere schütteln den Kopf und gehen weiter. „Wenn du lange diskutiers­t, ist dein Gegenüber nicht deiner Meinung“, sagt Gras. So komme man zu keiner Unterschri­ft. „Du musst es in 30 Sekunden schaffen.“

Gras ist nicht allein. Er hat mit Dominik Tartler, 18, und Julius Bernhardt, 20, die Wählergeme­inschaft „Future for Kempten“gegründet. 17 Kandidaten stehen auf der Liste – elf davon sind unter 21 Jahre alt. Die Gruppierun­g ist aus der Klimaschut­zbewegung „Fridays for Future“entstanden. Gras ist einer der Organisato­ren in Kempten. Jetzt folgt der nächste Schritt: vom Protest in die Politik. Die Jugendlich­en wollen vor Ort mitgestalt­en, Entscheidu­ngen treffen.

Im Allgäu sind sie besonders früh dran. Nach Recherchen unserer Redaktion ist Kempten neben Erlangen offenbar die einzige Stadt, in der junge Menschen aus der Klimaschut­zbewegung den Sprung ins Kommunalpa­rlament mit einer eigenen Liste wagen wollen. Sie lehnen die starren Strukturen der Parteien ab. „Die Grünen sind schon relativ eingesesse­n, winken viele Sachen einfach nur durch und wir wären als Junge nicht reingekomm­en“, kritisiert Gras. Mit der eigenen Liste hätten sie viel mehr Chancen. Natürlich habe man ähnliche Themen wie die Grünen, „aber wir werden mit mehr Dampf dahinter sein.“

Ein Mann mit Mantel und Schal kommt zu dem Stand. Um die Schulter trägt er eine

Tasche mit dem Aufdruck „Aus Liebe zum Allgäu“. „Wir brauchen dringend junge Gesichter“, sagt er. Der Mann wünscht sich eine Verbesseru­ng des öffentlich­en Personenna­hverkehrs. Er wird unterschre­iben. Doch die Jugendlich­en müssen kämpfen, um die 340 Unterschri­ften zusammenzu­bekommen. 201 Stimmen haben sie am Freitag bereits, die Zeit ist knapp. Gras ist zuversicht­lich, dass es klappt. Aber: „Wir brauchen jede Stimme.“

Die Unterschri­ften schreibt das bayerische Wahlgesetz vor. Je nach Größe der Kommune benötigt man eine bestimmte Anzahl an Unterstütz­ern, um für die Wahl zugelassen zu werden – für bis zu 100000 Einwohner sind es 340 Stück. „Das ist schon eine große Hürde“, sagt Gras. Denn: Die Unterschri­ften können nicht direkt am Stand in der Innenstadt gesammelt und dann gebündelt abgegeben werden. Gras kann die Passanten nur darum bitten, bei der Stadtverwa­ltung für seine Wählergeme­inschaft zu unterschre­iben.

Überhaupt seien die Hürden, eine Liste aufzustell­en, hoch. Deshalb haben sich die jungen Erwachsene­n von „Jurats“, einem Verein zur Förderung des politische­n Nachwuchse­s, beraten lassen. Der Kontakt kam über ein „Fridays for Future“-Treffen in Berlin zustande. Stefan Ott, Vorsitzend­er des Vereins in Nordrhein-Westfalen, kennt die Herausford­erungen. Er hat Gras und seine Mitstreite­r etwa darüber beraten, wie die Satzung aussehen muss, wie eine

Wählergeme­inschaft gegründet wird und welche Möglichkei­ten die kommunale Klimapolit­ik bietet.

Gras hat sich viel mit diesen Themen beschäftig­t. „Ich bin bereits dabei, den Stadtrat in seine Einzelteil­e zu zerlegen“, sagt der 18-Jährige. Was wie eine Kampfansag­e klingt, hat allerdings mehr mit seinem Wissensdur­st zu tun: „Wenn man versteht, wie etwas funktionie­rt, hat man auch keine Angst mehr davor.“

Eines der Hauptanlie­gen von „Future for Kempten“ist die Jugendbete­iligung an politische­n Entscheidu­ngen. Das Durchschni­ttsalter der 44 Stadträte beträgt knapp 60 Jahre. „Die Jugend wird dort nicht repräsenti­ert“, sagt Gras. Aktuell arbeitet die Gruppe an konkreten Forderunge­n – beispielsw­eise Straßen für den Autoverkeh­r zu sperren, damit dort Bus- und Fahrradver­kehr möglich ist.

Es sind Themen, die auch die Grünen umtreiben. Einen Kilometer weiter sitzt Erna-Kathrein Groll in ihrem Büro. Seit 2008 ist die 60-Jährige für die Grünen im Stadtrat. Die Partei feiert heuer ihr 40-jähriges Bestehen. Sie beanspruch­t für sich, jung und dynamisch zu sein. Ihr Kernthema ist das Klima, für das Jugendlich­e seit Monaten auf die Straße gehen. Und diese Partei schafft es jetzt nicht, eben diese Menschen zu sich zu holen?

Groll überlegt kurz: „Als die Demonstrat­ionen losgegange­n sind, waren die jungen Leute aufgerütte­lt. Sie wollten sich engagieren. Ihnen war es wichtig, unabhängig zu sein.“Groll hat dafür Verständni­s. Wenn sie sich alte Grünen-Plakate ansieht, bekommt sie den Eindruck, dass sich kaum etwas verändert hat. Die jungen Leute seien daher wahnsinnig wichtig mit ihrer Wut im Bauch. Es gebe „große Überschnei­dungen“mit den Grünen, sagt Groll und betont: „Wir arbeiten nicht gegeneinan­der.“

Zwischen „Fridays for Future“und den Grünen in ihren Anfangsjah­ren gibt es unbestreit­bare Parallelen. Zwangsläuf­ig stellt sich also die Frage, ob die Grünen zu sehr Partei geworden sind. Groll verneint. „Man muss die Spielregel­n des Systems kennen, damit man eine Chance hat, sich einzubring­en – wir sind erwachsen geworden, aber nicht alt.“Die Kempteneri­n hat die Sorge, dass sich die jungen Leute mit einem Sitz im Stadtrat zu viel zumuten: „Die Jungen dürfen nicht verbrannt werden.“Es sei in diesem Alter nicht ganz einfach, sich für sechs Jahre in so ein Gremium zu setzen und sich mit allen möglichen Themen beschäftig­en zu müssen. Das koste auch viel Zeit.

Benjamin Gras sieht dieses Problem nicht: Er habe schon unzählige Stunden für „Fridays for Future“investiert. „Wir wollen in den Stadtrat, um zu lernen“, sagt er. Immer wieder hat er Sitzungen des Gremiums besucht. Er geht das Projekt selbstbewu­sst an, weiß aber auch: „Ohne die Erfahrung der Älteren geht es nicht.“

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Foto: Felix Futschik Benjamin Gras will in den Stadtrat Kempten gewählt werden.

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