Augsburger Allgemeine (Land West)
Brecht-Preis für eine Schonungslose
Die deutsch-schweizerische Schriftstellerin Sibylle Berg wird von der Stadt Augsburg ausgezeichnet – als so populäre wie einschüchternd rabiate Autorin
Augsburg Sie schreibt eindringlich, analysiert die Gegenwart schonungslos, meldet sich politisch zu Wort. Ihre Romane sind Bestseller geworden, an ihren Kolumnen arbeiten sich Kollegen (vor allem männliche) regelmäßig ab, und ihre Theaterstücke sind mehrfach ausgezeichnet worden. Damit ist Sibylle Berg eine perfekte Brecht-Preisträgerin. Deshalb verwundert es nicht, dass die Stadt Augsburg die deutsch-schweizerische Autorin ehrt. Am 18. Februar wird Sibylle Berg für ihr Werk der BertoltBrecht-Preis verliehen, der mit 15 000 Euro dotiert ist und alle zwei Jahre vergeben wird.
Wer Berg nicht mag, hängt ihr böse Etiketten um. Sie reichen von „Designerin des Schreckens“über „Höllenfürstin des Theaters“bis zu „Kassandra des Klamaukzeitalters“. Ihre Art Humor ist so schwarz, so ernsthaft, dass er von vielen nicht richtig wahrgenommen wird. Im literarischen Deutschland ist Berg seit mehr als 20 Jahren eine Gestalt, an der sich viele reiben und die gleichzeitig verehrt wird. „Sibylle
Sie schreibt über die Ungleichheit
Berg verschanzt sich mit ihrer literarischen Arbeit nicht in den Komfortzonen des Kulturbetriebs, sondern sucht die wütende Kollision mit den gesellschaftlichen Realitäten. Sie ist eine ebenso coole wie populäre Kolumnistin, eine erbarmungslose Dramatikerin und eine geradezu einschüchternd rabiate Romanautorin, die in allen drei Berufen den Konflikten der Gegenwart auf den Grund geht“, heißt es in der Jurybegründung des Brechtpreises.
Berg schaut in ihren Texten darauf, was mit den Schwachen, den Entrechteten, den an den Rand Gedrückten geschieht. Sie prangert die Ungleichheit an und hält der männlich dominierten Welt schonungslos den Spiegel vor. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur erklärte sie beispielsweise über ihr neuestes Buch „GRM. Brainfuck“: „Ich fühlte mich da gar nicht warnend und dräuend und anklagend, sondern eher aufzeichnend und schauend, was macht das mit den Menschen, wie lebt man da.“
Mit dem Roman hat die 57-Jährige ihren bislang größten Publikumserfolg erzielt. Die ersten drei Auflagen sind sofort nach Erscheinen im April vergangenen Jahres vergriffen gewesen. Sie zeichnet darin nach, welchen Weg das neoliberale Großbritannien seit 2000 genommen hat und wie es in ein paar Jahren aussehen könnte – und das aus der Perspektive von vier an den Rand gedrängten Jugendlichen, vier Vertretern der untersten Unterschicht. Es wird geschildert, wie der digitale Überwachungsstaat à la China durch die Hintertür eingeführt wird, indem die Wohltaten des Sozialstaats nur an diejenigen ausgezahlt werden, die sich komplett überwachen lassen.
Die Macht der Diktatur hat Berg selbst erlebt. Als Tochter einer alkoholkranken DDR-Bibliothekarin wuchs sie erst in Weimar, dann einige Jahre bei einem entfernt verwandten Paar in Berlin und später wieder bei ihrer Mutter auf. Nach dem Abitur ließ sie sich zur Puppenspielerin ausbilden. Als sie einen Ausreiseantrag in den Westen stellte, verlor sie sofort ihre Anstellung in Naumburg, konnte aber letztlich die DDR verlassen.
Mitte der 1990er Jahre begann Sibylle Berg mit dem journalistischen Schreiben, 1997 legte sie mit „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ihren ersten Roman vor. In Folge von 50 Absagen entschied sich der Reclam-Verlag für das Buch – und landete damit gleich einen Bestseller: Ein bitterböses Buch über die Generation Spaß. Es folgten sieben weitere Romane, unter anderem „Sex II“, „Amerika“, „Ende gut“.
Welchen literarischen Stellenwert Sibylle Berg einnimmt, das veranschaulicht die zu Ende gehende Woche sehr gut. Denn nicht nur Augsburg zeichnet die Schriftstellerin aus. Nachdem sie vergangenes Jahr für „GRM. Brainfuck“den Schweizer Buchpreis erhalten hatte, folgt aktuell auch der mit 40 000 Franken dotierte Grand Prix der Literatur für ihr Lebenswerk.
Zum zehnten Mal vergibt die Stadt Augsburg den Bertolt-BrechtPreis. Mit ihm ehrt die Stadt Augsburg Persönlichkeiten, die sich in ihrem literarischen Schaffen kritisch mit der Gegenwart auseinandersetzen. Der Jury unter der Leitung von Augsburgs Kulturreferent Thomas Weitzel (ohne Stimme) gehören unter anderem Shermin Langhoff (Intendantin Maxim-Gorki-Theater Berlin), Prof. Jürgen Hillesheim (Leiter Brecht-Forschungsstätte Augsburg), Prof. Mathias Mayer (Universität Augsburg) sowie die Literaturkritiker Hubert Spiegel
(FAZ) und Uwe Wittstock an. Der Bertolt-Brecht-Preis feiert in diesem Jahr außerdem sein 25-jähriges Bestehen. Bisherige Preisträger sind Franz Xaver Kroetz, Robert Gernhardt, Urs Widmer, Christoph Ransmayr, Dea Loher, Albert Ostermaier, Ingo Schulze, Silke Scheuermann und Nino Haratischwili.