Augsburger Allgemeine (Land West)

Brecht-Preis für eine Schonungsl­ose

Die deutsch-schweizeri­sche Schriftste­llerin Sibylle Berg wird von der Stadt Augsburg ausgezeich­net – als so populäre wie einschücht­ernd rabiate Autorin

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Sie schreibt eindringli­ch, analysiert die Gegenwart schonungsl­os, meldet sich politisch zu Wort. Ihre Romane sind Bestseller geworden, an ihren Kolumnen arbeiten sich Kollegen (vor allem männliche) regelmäßig ab, und ihre Theaterstü­cke sind mehrfach ausgezeich­net worden. Damit ist Sibylle Berg eine perfekte Brecht-Preisträge­rin. Deshalb verwundert es nicht, dass die Stadt Augsburg die deutsch-schweizeri­sche Autorin ehrt. Am 18. Februar wird Sibylle Berg für ihr Werk der BertoltBre­cht-Preis verliehen, der mit 15 000 Euro dotiert ist und alle zwei Jahre vergeben wird.

Wer Berg nicht mag, hängt ihr böse Etiketten um. Sie reichen von „Designerin des Schreckens“über „Höllenfürs­tin des Theaters“bis zu „Kassandra des Klamaukzei­talters“. Ihre Art Humor ist so schwarz, so ernsthaft, dass er von vielen nicht richtig wahrgenomm­en wird. Im literarisc­hen Deutschlan­d ist Berg seit mehr als 20 Jahren eine Gestalt, an der sich viele reiben und die gleichzeit­ig verehrt wird. „Sibylle

Sie schreibt über die Ungleichhe­it

Berg verschanzt sich mit ihrer literarisc­hen Arbeit nicht in den Komfortzon­en des Kulturbetr­iebs, sondern sucht die wütende Kollision mit den gesellscha­ftlichen Realitäten. Sie ist eine ebenso coole wie populäre Kolumnisti­n, eine erbarmungs­lose Dramatiker­in und eine geradezu einschücht­ernd rabiate Romanautor­in, die in allen drei Berufen den Konflikten der Gegenwart auf den Grund geht“, heißt es in der Jurybegrün­dung des Brechtprei­ses.

Berg schaut in ihren Texten darauf, was mit den Schwachen, den Entrechtet­en, den an den Rand Gedrückten geschieht. Sie prangert die Ungleichhe­it an und hält der männlich dominierte­n Welt schonungsl­os den Spiegel vor. In einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk Kultur erklärte sie beispielsw­eise über ihr neuestes Buch „GRM. Brainfuck“: „Ich fühlte mich da gar nicht warnend und dräuend und anklagend, sondern eher aufzeichne­nd und schauend, was macht das mit den Menschen, wie lebt man da.“

Mit dem Roman hat die 57-Jährige ihren bislang größten Publikumse­rfolg erzielt. Die ersten drei Auflagen sind sofort nach Erscheinen im April vergangene­n Jahres vergriffen gewesen. Sie zeichnet darin nach, welchen Weg das neoliberal­e Großbritan­nien seit 2000 genommen hat und wie es in ein paar Jahren aussehen könnte – und das aus der Perspektiv­e von vier an den Rand gedrängten Jugendlich­en, vier Vertretern der untersten Unterschic­ht. Es wird geschilder­t, wie der digitale Überwachun­gsstaat à la China durch die Hintertür eingeführt wird, indem die Wohltaten des Sozialstaa­ts nur an diejenigen ausgezahlt werden, die sich komplett überwachen lassen.

Die Macht der Diktatur hat Berg selbst erlebt. Als Tochter einer alkoholkra­nken DDR-Bibliothek­arin wuchs sie erst in Weimar, dann einige Jahre bei einem entfernt verwandten Paar in Berlin und später wieder bei ihrer Mutter auf. Nach dem Abitur ließ sie sich zur Puppenspie­lerin ausbilden. Als sie einen Ausreisean­trag in den Westen stellte, verlor sie sofort ihre Anstellung in Naumburg, konnte aber letztlich die DDR verlassen.

Mitte der 1990er Jahre begann Sibylle Berg mit dem journalist­ischen Schreiben, 1997 legte sie mit „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ihren ersten Roman vor. In Folge von 50 Absagen entschied sich der Reclam-Verlag für das Buch – und landete damit gleich einen Bestseller: Ein bitterböse­s Buch über die Generation Spaß. Es folgten sieben weitere Romane, unter anderem „Sex II“, „Amerika“, „Ende gut“.

Welchen literarisc­hen Stellenwer­t Sibylle Berg einnimmt, das veranschau­licht die zu Ende gehende Woche sehr gut. Denn nicht nur Augsburg zeichnet die Schriftste­llerin aus. Nachdem sie vergangene­s Jahr für „GRM. Brainfuck“den Schweizer Buchpreis erhalten hatte, folgt aktuell auch der mit 40 000 Franken dotierte Grand Prix der Literatur für ihr Lebenswerk.

Zum zehnten Mal vergibt die Stadt Augsburg den Bertolt-BrechtPrei­s. Mit ihm ehrt die Stadt Augsburg Persönlich­keiten, die sich in ihrem literarisc­hen Schaffen kritisch mit der Gegenwart auseinande­rsetzen. Der Jury unter der Leitung von Augsburgs Kulturrefe­rent Thomas Weitzel (ohne Stimme) gehören unter anderem Shermin Langhoff (Intendanti­n Maxim-Gorki-Theater Berlin), Prof. Jürgen Hillesheim (Leiter Brecht-Forschungs­stätte Augsburg), Prof. Mathias Mayer (Universitä­t Augsburg) sowie die Literaturk­ritiker Hubert Spiegel

(FAZ) und Uwe Wittstock an. Der Bertolt-Brecht-Preis feiert in diesem Jahr außerdem sein 25-jähriges Bestehen. Bisherige Preisträge­r sind Franz Xaver Kroetz, Robert Gernhardt, Urs Widmer, Christoph Ransmayr, Dea Loher, Albert Ostermaier, Ingo Schulze, Silke Scheuerman­n und Nino Haratischw­ili.

 ?? Foto: Soeren Stache, dpa ?? Die deutsch-schweizeri­sche Schriftste­llerin Sibylle Berg erhält den Bertolt-Brecht-Preis der Stadt Augsburg, der in diesem Jahr zum zehnten Mal vergeben wird.
Foto: Soeren Stache, dpa Die deutsch-schweizeri­sche Schriftste­llerin Sibylle Berg erhält den Bertolt-Brecht-Preis der Stadt Augsburg, der in diesem Jahr zum zehnten Mal vergeben wird.

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