Augsburger Allgemeine (Land West)

Was der Antisemiti­smusbeauft­ragte macht

Ludwig Spaenle hat nach dem Verlust seines Landtagsma­ndats eine neue Aufgabe übernommen. Wie arbeitet er, was ist sein Job? Sein Auftritt im „Denkraum“hinterläss­t mehr Fragenzeic­hen als Antworten

- VON STEFANIE SCHOENE

Seit 18 Monaten ist Ludwig Spaenle Antisemiti­smusbeauft­ragter des Freistaats. Wie sieht seine Stellenbes­chreibung aus? Hat er ein Konzept gegen Rechts, eine Strategie, die er angesichts rasant steigender Zahl rechtsradi­kaler Übergriffe verfolgt? Was tun nach den Schüssen auf die Synagogent­ür in Halle?

Fragen genug für den „Denkraum“. Das Quartett, das diese Veranstalt­ungsreihe organisier­t, lud den ehemaligen Kultusmini­ster, der bei der Bayernwahl 2018 sein Landtagsma­ndat verlor, in den Augsburger Untergrund, den Jazzclub. Der Andrang im Keller war groß. Etwa 90 Zuschauer konnten Jüdisches Museum, Volkshochs­chule, Evangelisc­hes Forum Annahof und Friedensbü­ro begrüßen, unter ihnen Künstler, Musiker sowie zahlreiche Ehrenamtli­che und Profis aus der Augsburger Erinnerung­sarbeit.

Die Leiterin des Jüdischen Museums, Barbara Staudinger, balanciert­e als Moderatori­n gewohnt souverän zwischen dem Anspruch, dem Gast Raum für seine Ausführung­en zu geben, ihn gleichzeit­ig auf Widersprüc­he hinzuweise­n und im zweiten Drittel auch das Publikum mit einzubezie­hen. Doch wie ein Großteil der Zuhörer ist auch

Spaenle Profi. Die Kunst des Ausweichen­s und des Antwortens, ohne auf Fragen einzugehen, ist für ihn Routine. So sind Fragen und Kommentare von Museumslei­terin und Publikum mitunter spannender als Antworten und Kurzrefera­te des Gastes.

Hat die Erinnerung­skultur, auf die Deutschlan­d so stolz war, nichts genutzt? Doch, findet Spaenle. Habe sie. Schließlic­h setzten sich Staat und Zivilgesel­lschaft zum Beispiel dafür ein, die Augsburger Synagoge

zu restaurier­en. Antisemiti­smus, führt er aus, sei kein Problem der Juden. Er spult ein wie auswendig gelernt klingendes Kurzcurric­ulum zur Geschichte der Judenausgr­enzung ab. Antijudais­mus im Christentu­m, Israel-Kritik, die „übers Ziel hinausschi­eße“, und der islamistis­che Antisemiti­smus, der – importiert von Flüchtling­en – sich zunehmend in Deutschlan­d manifestie­re. Die obligatori­sche Kritik an der AfD fehlt nicht. Zur strategisc­hen Stimmungsa­ufhellung noch der persönlich­e Ausblick: Er habe „intensiven Kontakt“zu Gemeinden in Schwaben, in denen es bis zum „Totalabstu­rz“große jüdische Landgemein­den gegeben habe. Schön sei, dass diese Kommunen den lokalen „Absturz“auch als ihren eigenen anerkennen, schließt er.

Scharf fasst Staudinger zusammen: „Das ist genau dort, wo eben keine Juden mehr leben. Manchmal ist es, als wäre Erinnerung­skultur dort am schönsten, wo Juden nicht sind.“Langatmige Ausführung­en auch auf die Frage nach dem Sinn staatlich gelenkten Gedenkens. Auf jüdischen Friedhöfen in Schwaben habe er der Toten gedacht und dort Nachfahren kennengele­rnt, die aus dem Ausland angereist waren, um auf diesem Friedhof nach ihren Wurzeln zu suchen. „Die jüdischen Gemeinden heute können uns Teile unserer Identität zurückgebe­n“, so Spaenle. Staatliche Erinnerung­skultur stelle sich dem „Unrat“entgegen, den „Irre“ins Internet stellen.

Spaenle sagt nicht, was ist. Er meidet analytisch­e Begriffe, verwendet „Unrat“und „Absturz“statt Nationalso­zialismus und Faschismus. Miriam Friedmann sitzt im Publikum. Ihre Großeltern nahmen sich nach ihrem Deportatio­nsbescheid 1943 in einem Haus in der Bahnhofstr­aße das Leben, die Eltern flohen als Kinder in die USA. Sie vermisst Empathie bei dem Politiker.

Selbst auf die Frage, wo in seinem Leben er persönlich­e Berührungs­punkte zu jüdischem Leben habe, weiche Spaenle aus. „Er ist zu glatt“, findet sie. Sie fragt ihn, warum ausgerechn­et die Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s (VVN), also Widerständ­ler gegen Antisemiti­smus und Nationalso­zialismus, vom bayerische­n Verfassung­sschutz beobachtet werden. Spaenle ist auch hier wenig hilfreich: „Das weiß ich nicht. Das ist Sache des Verfassung­sschutzes.“

Die obligatori­sche Kritik an der AfD fehlt nicht

 ?? Foto: Hendrik Schmid, dpa ?? Die Synagogent­ür in Halle, die am 9. Oktober 2019 den Schüssen des rechtsextr­emen Attentäter­s standgehal­ten hat.
Foto: Hendrik Schmid, dpa Die Synagogent­ür in Halle, die am 9. Oktober 2019 den Schüssen des rechtsextr­emen Attentäter­s standgehal­ten hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany