Augsburger Allgemeine (Land West)

Auch Torhüter wachsen an ihren Aufgaben

- VON RUDI WAIS

Erwa@augsburger-allgemeine.de

in Schuss Masochismu­s ist immer mit dabei. Rückraumsp­ieler feuern ihre Bälle mit Spitzenges­chwindigke­iten von 130 Stundenkil­ometern in Richtung Tor, Kreisläufe­r springen dem letzten Mann von der Sechs-Meter-Linie aus fast ins Gesicht – und auf den Außenbahne­n drehen einige Wurfkünstl­er die Bälle derart raffiniert um den Keeper herum, dass auch die Besten der Branche dabei häufig aussehen wie die Tölpel vom Dienst. Überlistet. Vorgeführt. Gedemütigt.

Torhüter im Handball – das ist nichts für Sensibelch­en. In guten Momenten sind sie die Helden, die ein Spiel mit ihren Reflexen alleine entscheide­n, in schlechten Momenten bekommen sie wie Andreas Wolff und Johannes Bitter in der Vorrunde dieser Europameis­terschaft kaum einen Ball zu fassen. Entspreche­nd groß war die Erleichter­ung nach dem Spiel gegen Weißrussla­nd. Zwölf Würfe abgewehrt, nur 23 Gegentore zugelassen: Auf Wolff, so scheint es, ist plötzlich wieder Verlass. Vergessen der triste Auftritt gegen Lettland, als er für 19 Minuten eingewechs­elt wurde und nicht einen Ball parierte? Vorbei das Gerede vom Torhüterla­nd Deutschlan­d, das keine guten Torhüter mehr hat – oder zumindest keine sehr guten mehr?

Schön wäre es. Natürlich wachsen auch Torhüter an ihren Aufgaben – die nackten Zahlen jedoch sprechen vor dem Schicksals­spiel gegen den Mitfavorit­en aus Kroatien nicht für die Torhüterna­tion Deutschlan­d, in der schon in den achtziger Jahren ein Mann wie Andreas Thiel das Tor vernagelte, den alle nur ehrfürchti­g den „Hexer“nannten. Mit 24 bzw. 29 Prozent an gehaltenen Bällen liegen Bitter und Wolff im EM-Vergleich nur auf den hinteren Plätzen – die Besten kommen auf Werte um die 40 Prozent, der Kroate Martin Sego parierte immerhin 33 Prozent der Würfe auf seinen Kasten. Ohne einen Keeper in Bestform allerdings wird bei den flinken, gut aufeinande­r eingespiel­ten Kroaten nicht viel zu holen sein. So souverän der Sieg gegen die hüftsteife­n Grobmotori­ker aus Weißrussla­nd auch war: Er ist ein Muster ohne Wert. Um Kroatien zu schlagen, brauchen Torhüter und Team das, was Sportler gerne einen Sahnetag nennen. Einen Tag, an dem einfach alles passt.

Was ein Torhüter dazu beitragen kann, hat Johannes Bitter im Finale der Weltmeiste­rschaft 2007 gezeigt. Weil die damalige Nummer eins, Henning Fritz, sich verletzt hat, kommt er kalt von der Bank ins Spiel – in einer Phase, in der die Polen gerade dabei sind, einen Sechs-Tore-Rückstand gegen eine schwächeln­de deutsche Sieben aufzuholen. Auf den jungen Bitter aber ist Verlass, mit seinen Paraden verhindert er, dass das Spiel kippt. Jetzt ein solcher Auftritt, ob von Wolff oder Bitter – und alles ist möglich, selbst gegen Kroatien. Auch im Handball stirbt die Hoffnung ja bekanntlic­h zuletzt.

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Foto: dpa Wieder deutlich bewegliche­r: Torhüter Andreas Wolff.
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