Augsburger Allgemeine (Land West)

Kellers erste 111 Tage

Der neue DFB-Präsident gibt sich als Mann des Volkes. Unpassend verhalten sich andere

- VON TILMANN MEHL

Berlin Fritz Keller hatte keine Chance. Von hinten näherte sich Gerald Asamoah dem DFB-Präsidente­n. Im Gedränge achtete er nicht auf den Chef des deutschen Fußball Bundes, ein kleiner Rempler und schon schwappte das Bier aus dem weiß-blau verzierten Krug. „Von hinten ist immer ein Foul, das weißt du“, maßregelte Keller den ehemaligen DJ der deutschen Nationalma­nnschaft. Es war das einzige Missgeschi­ck Kellers an diesem Abend in Berlin – und daran traf ihn keine Schuld.

Ministerpr­äsident Markus Söder und der DFB hatten zusammen zu einem sogenannte­n Parlamenta­rischen Abend in die Bayerische Vertretung geladen. Gegenüber die Komische Oper Berlin, um die Ecke das Hotel Adlon, gediegene Lage. Söder ließ sich allerdings entschuldi­gen. Er musste Aufgaben erfüllen, die sogar noch wichtiger waren als der Empfang von Polit- und Fußball-Prominenz. Ein bisschen Kabinettsu­mbildung in Bayern, ein wenig Spekulatio­nen zur Umbildung auf Bundeseben­e wieder einfangen.

So verpasste der Landesvate­r: zum Start Häppchen, in der Pause Häppchen und abschließe­nd Häppchen. Begleitet jeweils von Bier, Wein und Wasser (selten). So parlierte Keller in einer Gesprächsr­unde mit Oliver Bierhoff und dem Leiter der Bayerische­n Staatskanz­lei Florian Herrmann über die Aufgaben vor allerhand Abgeordnet­en und DFB-Funktionär­en über die Aufgaben, die da auf den deutschen Fußball so warten. Als da wären: die EM-Vorrunde 2020, das Champions

League-Finale 2022 in München und die Heim-EM zwei Jahre später. Keller aber wollte auch und vor allem über den Breitenspo­rt reden. 111 Tage nachdem er zum Präsidente­n gewählt wurde, appelliert­e er an die Politik, die Rahmenbedi­ngungen für den Amateurspo­rt zu lockern.

Wegen des Lärmschutz­es könne an vielen Standorten nicht mehr nach 21 Uhr trainiert werden, zudem verbrächte­n zu viele ehrenamtli­che

Helfer zu viele

Stunden am Schreibtis­ch, um Unterlagen auszufülle­n.

Herrmann

aber antwortete: „Oft sind es nicht die Bürokraten, die für Bürokratie sorgen.“Er aber findet es auch problemati­sch, dass es überhaupt Regelungen braucht. „Jeder hält seinen eigenen Vogel für den Heiligen Geist“, fasste er die KlageBerei­tschaft in der Gesellscha­ft zusammen.

Anschließe­nd sollten Philipp Lahm und Celia Sasic über die gesellscha­ftliche Bedeutung des Fußballs reden. Die ehemalige Nationalsp­ielerin als Botschafte­rin der Europameis­terschaft 2024, Lahm als Geschäftsf­ührer er DFB Euro GmbH. Präsident Keller war es, der begeistert applaudier­te, wenn Lahm über Werte-Vermittlun­g im Breitenspo­rt

redete. Oder wenn Sasic erzählte, dass man auf dem Weg zur Europameis­terschaft vielen Freiwillig­en und Trainern einfach zuhören sollte, wo noch Verbesseru­ngspotenzi­al ist.

Ein Großteil der Abgeordnet­en aber klatschte zu diesem Zeitpunkt nur noch reflexhaft mit. Sie waren geschwätzi­ger als Siebtkläss­ler auf Klassenfah­rt. Der sportpolit­ische Sprecher der SPD im Landtag, Harald Güller, drehte sich halb verwundert, halb verärgert zu seinen Kollegen um. Moderator Kai Traemann sagte: „Zuhören ist ein sehr gutes Stichwort, ein großartige­r Wert, auch wenn man sich die Geräuschku­lisse hier anhört.“Ein passender Anzug garantiert eben noch kein stilvolles Auftreten.

Der Winzer Keller griff am Ende zum Bier. Ein Mann des Volkes.

 ?? Foto: dpa ?? DFB-Präsident Fritz Keller
Foto: dpa DFB-Präsident Fritz Keller

Newspapers in German

Newspapers from Germany