Augsburger Allgemeine (Land West)
Haltbarkeit im alten rom
Was der statistische vergleich der Lebensdauer von römischen Kaisern und Elektrogeräten zeigt
Kaiser Augustus zumindest starb friedlich im Bett. 75 Jahre alt, als seine letzten Worte sind jene überliefert, die römische Schauspieler am Schluss einer Theateraufführung an das Publikum zu richten pflegten: „Das Spiel ist aus. Wenn’s euch gefiel: Applaus, Applaus!“
So ein Tod aber, müde gearbeitet nach langer Amtszeit, war die Seltenheit. Kaiser des Römischen Reiches hatten ein sehr hohes Risiko, sogar schon im ersten Jahr ihrer Amtszeit einen gewaltsamen Tod zu erleiden. Das Risiko sank nach einigen Jahren auf ein stabiles Niveau, stieg aber nach dem 12. Herrschaftsjahr wieder an. Ein Wissenschaftler hat nun eine Gemeinsamkeit zwischen der Lebensdauer römischer Herrscher und der Haltbarkeit von Elektrogeräten ermittelt. Wie der US-Forscher Joseph Homer Saleh im Fachmagazin Palgrave Communications berichtet, lässt sich die Zeit zwischen Herrschaftsantritt und Tod jedenfalls statistisch gesehen mit der Lebensdauer von Produkten vergleichen, wie sie etwa in Ingenieurwissenschaften genutzt werde.
Saleh hatte die Lebensläufe von 69 römischen Kaisern statistisch ausgewertet – von Augustus, der im Jahr 14 starb, bis zu Theodosius dem Großen, der 395 starb. Das Leben der römischen Imperatoren werde häufig mit Luxus, Grausamkeit
und Ausschweifungen in Verbindung gebracht – und manchmal auch zu Recht, schreibt er in seiner Analyse. Übersehen werde dabei oft, dass das machtvolle Amt für seinen Inhaber sehr gefährlich war. Von den 69 Herrschern kamen demnach 43 (62 Prozent) gewaltsam um – durch Mord (79 Prozent), Suizid (12 Prozent) oder im Kampf (9 Prozent). Das Sterberisiko eines Bergsteigers, der einen 8000er-Gipfel im Himalaja besteige, liege seit Jahrzehnten bei etwa vier Prozent, schreibt Saleh. Für einen römischen Kaiser habe die Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamen Todes um eine Größenordnung höher gelegen.
Die längste Herrschaft hatte Augustus, der 45 Jahre lang regierte und in hohem Alter eines natürlichen Todes starb. Didius Julianus dagegen wurde im März des Jahres 193 Kaiser und nach nur 66 Tagen im Amt kurz nach seiner Absetzung ermordet. In jenem Jahr erlebte Rom vier Kaiser, von denen drei – Pertinax, Didius Julianus und Pescennius Niger – eines gewaltsamen Todes starben. Auch im Jahr 69 hatte Rom schon vier Kaiser erlebt, von denen ebenfalls drei gewaltsam umkamen: Galba und Vitellius wurden getötet, Otho brachte sich um.
Historisch werde jeder Tod als individuelles Ereignis betrachtet, aber womöglich gebe es zugrunde liegende Gemeinsamkeiten, begründet Saleh,
der eigentlich als Raumfahrtingenieur am Georgia Institute of Technology in Atlanta arbeitet, die Motivation für seine Studie. Er bediente sich statistischer Methoden, mit denen unter anderem die Haltbarkeit und Verlässlichkeit von Produkten untersucht wird.
„In den Ingenieurwissenschaften ist die Verlässlichkeit definiert als die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Komponente oder ein Prozess nach einem festgelegten Zeitraum noch funktioniert“, erläutert Saleh. „Die Zeit, bis eine Komponente oder ein Prozess versagt, wird als „Zeit bis zum Versagen“definiert – und die zeigt Ähnlichkeit mit der „Zeit bis zum gewaltsamen Tod“bei römischen Kaisern.“
Im ersten Jahr ihrer Regierungszeit hatten die Kaiser demnach ein sehr hohes Risiko eines gewaltsamen Todes. Dies erinnere an die auch als „Kindersterblichkeit“bezeichnete Zeit eines frühen Ausfalls eines Produkts oder Bauteils, häufig aufgrund von Konstruktions- oder Produktionsfehlern. Zwischen dem 8. und 12. Jahr der Regierungszeit stabilisierte sich das Risiko demnach – eine Gnadenfrist, in der „die Imperatoren ihre Wachen ein wenig reduzieren konnten“, wie Saleh schreibt. Nach dem 12. Jahr nahm das Risiko wieder zu. Dies erinnere an die zunehmende Störungsrate eines Produkts aufgrund von Abnutzung oder Materialermüdung, auch Alterserscheinung genannt.
„Es ist interessant, dass ein so ungewöhnlicher und zufälliger Prozess wie der gewaltsame Tod eines römischen Herrschers – über einen Zeitraum von vier Jahrhunderten und eine stark veränderte Welt hinweg – eine zugrunde liegende systematische Struktur hat, die gut von einer statistischen Verteilung abgebildet wird“, schreibt Saleh.
Wie aber ließe sich diese systematische Struktur begründen? Die festgestellte, frühe Sterblichkeit im ersten Jahr weise womöglich auf schwache Herrscher hin, die unfähig oder den Umständen nicht gewachsen waren, spekuliert der Wissenschaftler. Die zwischenzeitliche Stabilisierung könne als Lern- und Anpassungsleistung interpretiert werden, in der die Herrscher ihre Feinde kennen- und beherrschen lernten. Sie folge dem Motto: Was die Kaiser nicht umbringt, macht sie stärker. Die steigende Störungsrate nach dem 12. Regierungsjahr wiederum sei womöglich ein Zeichen mangelnder Anpassungsfähigkeit an Veränderungen oder sich häufender Fehler.
Joseph Homer Saleh schränkt ein, dass die Gründe für das festgestellte Muster genauer untersucht werden müssten. Ebenfalls zu bedenken: Die Todesursachen der Kaiser steht nicht immer zweifelsfrei fest, historische Quellen widersprächen sich teils.
Materialermüdung? Traf auch auf manche Herrscher zu