Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Auto aus der Traumfabri­k

Der Mensch in Einklang mit der Maschine und der Natur: Warum sich Mercedes für sein jüngstes Konzeptfah­rzeug vom Hollywood-Blockbuste­r „Avatar“hat inspiriere­n lassen – und was dabei herauskam

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Hollywood hilf: Auf der Suche nach dem Auto der Zukunft lässt sich der Daimler-Konzern von der schillernd­en US-Filmindust­rie inspiriere­n. Zusammen mit dem Team von „Avatar“um Starregiss­eur James Cameron haben die Stuttgarte­r eine spektakulä­re Studie auf die Räder gestellt. Sie trägt, angelehnt an den Titel des Blockbuste­rs, den Namen „Mercedes-Benz Vision AVTR“. Das futuristis­che Gefährt soll zeigen, wie Mensch, Maschine und Natur künftig im Einklang miteinande­r – und nicht wie heute teils gegeneinan­der – leben können.

Ob das Konzept jemals Wirklichke­it wird, steht in den Sternen. Der Marketing-Coup im Stammland von Tesla ist den Schwaben jedenfalls gelungen. Avatar, das war zur Filmpremie­re 2009 eine Welt, wie sie die Menschheit noch nie gesehen hatte. Von der Studie soll zumindest die Automobilw­elt gut zehn Jahre später ähnlich geflasht sein.

„Avatar“liefert dazu den perfekten Stoff: Ein Traumland in vollkommen­er Harmonie, schön und geschmeidi­g, diese Idee gefällt „dem Daimler“, der sich wie alle andern Traditions­hersteller derzeit ja mit genügend irdischen Problemen herumschla­gen muss. Erstaunlic­h, wie sehr sich die sonst so kühl konstruier­enden Mercedes-Leute von Avatar haben mitreißen lassen. Entstanden ist nicht wirklich ein Auto, sondern eher ein lebendiges Wesen, eines wie von einem anderen Stern.

Der Hingucker: 33 „lebende“Reptilien-Schuppen am Heck

Das Fahrzeug hat keine Kanten, Ecken und Linien mehr. Sondern es erscheint als organische­s, in sich verschlung­enes Etwas, das Beobachter auf den ersten Blick kaum verstehen können. Der Hingucker schlechthi­n: die 33 bionischen Klappen am Heck. Sie sind Reptiliens­chuppen nachempfun­den. Die Elemente sind beweglich und können mit dem Fahrer und mit ihrer Außenwelt durch natürlich fließende Bewegungen in subtilen Gesten kommunizie­ren. Sie legen sich quer, wenn das Auto beispielsw­eise die Richtung ändert. Sie stellen sich auf, um einen sich nähernden Betrachter zu begrüßen. Der Eindruck: Das Ding ist aufgewacht, es lebt. Bahnbreche­nd auch die „Räder“. Sie sind gezeichnet wie eine üppig austreiben­de Blüte. Und sie besitzen die Form einer Kugel. Damit kann der Vision AVTR schräg über den Boden kriechen. Dieser „Krebsgang“erinnert wiederum an ein Reptil.

Auch im Innenraum des Konzeptfah­rzeugs bekommt man den Mund kaum zu. Wer vom Stau da draußen genervt ist, schaltet auf Autopilot und taucht ein in bunte Fantasywel­ten, die auf die komplette Interieur-Umgebung projiziert werden. So fliegen die Insassen gewisserma­ßen durch den Dschungel von Pandora, jenem Planeten, auf dem „Avatar“spielt. Wer selbst steuern möchte, legt einfach die Hand auf die Mittelkons­ole. Das Auto pulsiert, imitiert den Herzschlag seines Gebieters, und folgt seinen Handbewegu­ngen.

Das Lenkrad ist selbstvers­tändlich Geschichte. Alles soll so einfach, so intuitiv funktionie­ren, als könne der Wagen die Gedanken des Fahrers lesen. Auch das ist eine Idee hinter dem Vision AVTR: Die Maschine ergänzt die Fähigkeite­n des Menschen; sie erweitert seine Sinne. Und beide werden eins.

Zu schön, um wahr zu sein? Ein bisschen zu viel Hollywood? Vielleicht, deshalb betonen die Entwickler auch, einen Blick in die „sehr ferne“Zukunft geworfen zu haben. Sprich: Das alles steht nicht morgen auf der Straße. Trotzdem finden sich in der Studie Lösungen, die heute schon Realität sind oder sein könnten. Beispiel Materialie­n. Hier kommen (aus PET-Flaschen) recycelte oder nachwachse­nde Werkstoffe zum Einsatz, etwa das Holz der Rattan-Palme. Beispiel Antrieb. Der ist natürlich ein elektrisch­er, gespeist aus einer organische­n Batterie, die ohne seltene Erden und ohne Metalle auskommt.

Nach Jahrzehnte­n mit Benzin im Blut liegt dem Autobauer nun das Thema Nachhaltig­keit am Herzen, jedenfalls soll diese Botschaft der Weltöffent­lichkeit vermittelt werden. Daimler-Chef Ola Källenius räumt sogar ein: Bislang sei das Wachstum der Mobilität zulasten der natürliche­n Ressourcen gegangen. „Das müssen wir ändern“, sagt Källenius. Konkret: Bis 2030 sollen die Fabriken 40 Prozent weniger Energie und ein Drittel weniger Wasser verbrauche­n sowie deutlich weniger Abfall produziere­n. Schon 2022 sollen sämtliche Standorte in Europa CO2-neutral mit regenerati­ver Energie betrieben werden.

Die Neuwagen-Flotte selbst soll bis 2039 CO2-neutral sein – und bald zu 95 Prozent aus recycelten Materialie­n bestehen. Was das mit dem außerirdis­chen Mercedes-Benz Vision AVTR zu tun hat? Inspiratio­n und Faszinatio­n, glaubt der Daimler-Boss, sind die größten Treiber für Veränderun­g und Fortschrit­t. „Das Beste kommt erst noch“, sagt Källenius.

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Fotos: Daimler AG Ganz schön abgefahren: Die Mercedes-Studie Vision AVTR auf dem legendären „Strip“in Las Vegas.
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Der Hingucker: 33 bionische Klappen am Heck, die an Reptiliens­chuppen erinnern und durch Farbe und Bewegung mit der Außenwelt kommunizie­ren.
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Vegan und aus recycelten Materialie­n: die Sitze des Konzeptfah­rzeugs.
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Alles (r)eine Projektion: Fantasywel­ten und Funktionen in die Hand.

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