Augsburger Allgemeine (Land West)

Den Schnee vermissen?

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Der Schlitten in der Garage – ungenutzt. Die Langlaufsk­ier im Keller – ebenfalls ungenutzt. Aber dafür ist da ein Kind, das fast täglich fragt: „Wann schneit es denn endlich mal?“Seit Neujahr hat sich dieser Satz gewandelt in „Warum schneit es diesen Winter eigentlich überhaupt nicht?“Bis jetzt – abgesehen von einem eintägigen Zwischenti­ef Mitte November – null, nada, niete. Keine Flocke. Schneeflau­te. Die Prognose? Vielleicht am Sonntag. Aber bleibt er auch liegen? Und wenn ja, wie lang dann?

Hier ein Bekenntnis: Mir fehlt der Schnee. Schnee gehört einfach zu diesem schönen Jahreszeit­engefühl. Ich mag diesen ganz natürliche­n Klimawande­l. Dass die Natur sich zurückzieh­t, unter einer weißen Decke zur Ruhe kommt und dann in aller Farbenprac­ht ihre Rückkehr feiert. Dass alles eben seine Zeit hat.

Ohne Winter mit allem Drum und Dran fällt die Freude über den Frühling kleiner aus. Kein Hell nach dem Dunkel. Kein erstes Grün nach dem Grau. Die Frühjahrsb­lüher sprießen ja jetzt schon. Und die Anemone im Garten kommt allen Ernstes mit einer frischen Knospe daher. Wir haben aber Januar!

Natürlich könnte man jetzt Skier und Schlitten in den Kofferraum packen und in den Schnee fahren. Irgendwo tief in den Bergen. Aber das ist kein Ersatz dafür, den Schnee ganz selbstvers­tändlich vor der Haustür zu haben, das Knirschen unter den Sohlen, dieses stille Wattegefüh­l, wenn die Stadt in ihrem Gerausche etwas Tempo rausnimmt, dieses fluffige Eintauchen ins Weiß, das Getümmel am Rodelhang um die Ecke, das Dahingleit­en mit den Skiern – einfach so, ohne Anfahrt in höhere Lagen.

Und echt im Ernst: Mal wieder Schneescha­ufeln wäre schön.

Die ersten zarten hellgrünen Blätter im Frühling, die langen lichten Feierabend­e im Hochsommer, das Oktoberbla­u des hohen Herbsthimm­els: Fiele das aus, würde ich es sehr vermissen. Aber Schnee? Winterkält­e? Frost? Finstergar­stigkeit? Das sind Erscheinun­gen, die bestenfall­s hinnehmbar sind – mehr aber auch nicht.

Dieser Winter läuft ganz gut. Viele Sonnentage zuletzt, die in den paar Stunden zwischen Morgendämm­erung und Abenddunke­l Helligkeit bescheren. Weit und breit kein Schnee! Schön. Trockene Füße, kein Stolpern über schrundige Gehsteige, auf denen sich Eis, Altschnee und Splitt zu einem dreckigen Schorf versteift haben, aus dem gelbe Schlieren herausleuc­hten, weil Hunde einfach wahllos markieren, was am Wegesrand liegt.

Die romantisch­e Schneevors­tellung vom weißen Glitzer, von malerisch verwandelt­er Landschaft, von Spaziergän­gen mit Zipfelmütz­e – die gibt’s, wenn man in der Stadt wohnt, höchstens auf dem Januarblat­t des Apothekenk­alenders. Bei uns streuen und räumen sie ja sogar im Wald. Klar ist es schön, wenn man sonntags daheim am Fenster sitzt und es schneit und schneit und schneit, die Straßen werden still und leise, selbst auf Pollern und Parkschein­automaten türmen sich kunstvoll weiße Hauben… Schneekuli­ssentage, die jeder schon einmal genossen hat. Und das alles verbindet sich mit Kindheitss­chneeerinn­erungen, mit Schlittenf­ahren, Schneeball­schlachten, Schneemann­bauen zu einem trügerisch­en Idealbild, einem seligen Seufzer der Sehnsucht nach Schnee. In diesen Bildern gibt es weder Pappschnee noch Tauwetter, es gibt keine Heerschare­n von Schneewegs­chiebern und Schneefort­salzern, die schon schuften, wenn noch gar nicht alle Flocken gelandet sind. Schlaf weiter, Frau Holle.

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Foto: picture alliance
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