Augsburger Allgemeine (Land West)
Man sollte das öffentliche Leben nicht mehr als nötig einschränken
Die Stadt geht gut mit der Corona-Krise um, einige Entscheidungen sind dennoch nicht nachvollziehbar. Die Sperrung von Wiesen und Parks zählt dazu. Wo sollen die Bürger denn noch hin?
Seit vergangenem Wochenende sperrt die Stadt Augsburg mehrere öffentliche Park- und Wiesenflächen. Am Kuhsee, im Wittelsbacher Park, im Siebentischwald. Absperrbänder markieren die Flächen, auf die man nicht mehr darf, auf Schildern steht: „Gruppenbildung verboten. Nicht niederlassen.“Eine unmissverständliche, nachvollziehbare Entscheidung zu Corona-Zeiten, könnte man meinen, doch so einfach ist es nicht. Stattdessen kann sie als Beispiel herhalten, wie willkürlich einige der derzeitigen Einschränkungen sind.
Es geht mit der Vorgeschichte der Entscheidung los. Die Stadt hatte sie, nachdem an beliebten Ausflugszielen trotz der Ausgangsbeschränkung viel los gewesen war, immerhin angekündigt beziehungsweise damit gedroht. Oberbürgermeister Kurt Gribl hatte an die Bürger appelliert, nur mit Angehörigen eines Haushalts spazieren zu gehen und sich nirgends niederzulassen. „Sonst sind wir gezwungen, drastischere Maßnahmen vorzunehmen.“Ordnungsreferent Dirk Wurm formulierte es ähnlich. „Sollte sich die Mehrheit der Bevölkerung nicht an die Ausgangsbeschränkungen halten, dann ist es gut möglich, dass es leider zu weiteren Einschränkungen im öffentlichen Raum kommen kann.“
Eine offenkundig nicht besonders werthaltige Aussage, denn die Mehrheit der Bevölkerung hält und hielt sich an die Ausgangsbeschränkungen, wie übrigens seit ihrer Einführung schon. Die Stadt schränkte das öffentliche Leben trotzdem kurz darauf weiter ein und sperrte die Wiesen, einfach so. Dass die zunächst genannte Bedingung nicht eintrat, spielte offensichtlich keine Rolle. Ebenso wenig schien man den Details der Maßnahme allzu große Bedeutung beizumessen – und sperrte Flächen im Siebentischpark gleich mit, was weder angekündigt war noch auf der städtischen Homepage so steht. und schon aus diesem Grund ein einigermaßen gutsherrenartiges Vorgehen ist.
Man könnte an diesem Punkt grundlegende Fragen zur Sinnhaftigkeit eines Teils der bayerischen Corona-Gesetzeslage stellen. Etwa, in welchen Situationen die Gefahr wohl größer ist, sich den Virus einzufangen: Wenn Familien auf einer Wiese sitzen, picknicken und darauf achten, Abstand zu anderen zu halten (verboten)? Wenn eine Seniorin alleine auf einer Parkbank sitzt und ein Buch liest (verboten?) Oder doch eher, wenn Menschen mit der im Takt ausgedünnten und daher teils immer noch recht vollen Tram fahren, einkaufen gehen oder in die Arbeit müssen, wo nicht überall Sicherheitsabstand gewährleistet ist (erlaubt)?
Man könnte auch auf die Schwammigkeit, Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten der neuen Regelungen hinweisen, die zum Beispiel Sport und Bewegung an der frischen Luft erlaubt, aber nicht klar definiert, was damit gemeint ist. Joggen und Spazierengehen, klar. Angeln übrigens ebenso, auch wenn man argumentieren könnte, dass Angler nicht den ganz großen Bewegungsradius haben und vom verbotenen „Niederlassen“nicht so weit entfernt sind. Aber dürften zwei minderjährige
Kinder mit ihrem Vater noch draußen bolzen, etwa in einem Park? Schwer zu sagen. Im Zweifel entscheiden Exekutivorgane wie Polizei oder Ordnungsdienst, in deren Bemessen gerade (zu) viel liegt, weil die Regeln eben teils so eindeutig nicht sind.
Doch unabhängig von all dem mangelt es der Augsburger Entscheidung an innerer Logik. Liest man die Polizeiberichte der vergangenen Wochen, war aus Sicht der Ordnungsbehörden offenbar weniger problematisch, dass Menschen vor allem am Kuhsee bewusst gegen die Corona-Regeln verstießen, sondern, dass schlicht so viele Leute vor Ort waren, dass der Mindestabstand von Personen zueinander von 1,5 Metern nicht eingehalten werden konnte.
Diese Voraussetzung macht die Sperrung der Wiesen allerdings nicht besser oder verständlicher, eher im Gegenteil: Augsburg ist eine Großstadt, in der die Mehrheit der Bevölkerung nun mal nicht in dörflicheren Gegenden wie Inningen oder Bergheim, sondern zum Beispiel der Innenstadt oder Oberhausen lebt: Orte, in denen enge Bebauung vorherrscht und das EinOder familienhaus mit großzügigem Garten eher selten zu sehen ist. Heißt: Die Leute müssen irgendwo hin, wenn sie sich die Beine vertreten wollen. Wenn die Stadt die Areale sperrt, an denen dazu Platz wäre, tummeln sich diese Leute eben in größerer Zahl woanders, wo vielleicht weniger Platz ist. Dass damit im Sinne des Infektionsschutzes viel gewonnen wird, kann man bezweifeln. In den Parks hätten sie zumindest noch die Möglichkeit, sich aus dem Weg zu gehen, etwa auf den nun gesperrten Wiesen.
sie könnten sich dort sportlich betätigen. Ältere Menschen, die an der frischen Luft sind und das Bedürfnis haben, sich hinzusetzen, könnten es dort tun.
Die Stadt Augsburg geht bisher gut mit der Corona-Krise um. Alle Entscheidungsträger erwecken den Eindruck, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und trotz der immensen Schwierigkeiten einen kühlen Kopf zu bewahren. Mit ihnen tauschen will man in diesen Tagen nicht. Auch soll dieser Kommentar sicher nicht als Aufruf verstanden werden, die Corona-Regelungen zu ignorieren oder allzu bereitwillig auszudehnen. Jeder Bürger ist derzeit in der Verantwortung, aus Solidarität mit seinen Mitmenschen möglichst Abstand zu diesen zu halten, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.
Aber trotz allem haben die Politik und ihre Ordnungsbehörden auch die Verantwortung, die Grundrechte der Menschen in dieser Zeit so weit es geht zu ermöglichen und Entscheidungen, die diese Rechte einschränken, transparent und rational zu begründen. Und sie zurückzunehmen, wenn sie unsinnig sind.