Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn das Zwitschern der Vögel Hoffnung macht

Corona-Krise Frankreich in Not: Meitingen, Stadtberge­n und Gersthofen haben Partnergem­einden im Nachbarlan­d. Die Grande Nation ist stärker von der Pandemie betroffen als Deutschlan­d. Wie drei Franzosen unbeirrt kämpfen

- VON PHILIPP SCHULTE

Augsburg Die Corona-Krise trifft Frankreich mit mehr als 10 000 Toten laut der US-amerikanis­chen Johns- Hopkins-Universitä­t stärker als Deutschlan­d, das bislang mehr als 2000 Todesopfer verzeichne­t. Die Ausgangsbe­schränkung­en sind im Nachbarlan­d strenger. Deutsche Krankenhäu­ser nehmen immer wieder französisc­he Patienten auf. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron spricht von einem Krieg gegen das Virus. Wie ist die Lage? Ein Anruf bei Vertretern der Partnergem­einden von Meitingen, Stadtberge­n und Gersthofen.

● Pouzauges Ausgerechn­et mit dem See der Hoffnung gibt es in diesen Corona-Wochen Probleme. Die Leute spazieren an ihm entlang, obwohl das verboten ist. Der „Lac de l’ Espérance“ist ein beliebtes Ausflugszi­el in Pouzauges, Frankreich, Partnergem­einde von Meitingen. Pouzauges kämpft während der Krise mit ähnlichen Problemen wie der Ort am Lech.

Michelle Devanne, 67, ist Bürgermeis­terin von Pouzauges und wie viele ihrer Kollegen wegen des Coronaviru­s derzeit im Krisenmodu­s. Eine Telefonkon­ferenz folgt auf die nächste. In Devannes Gemeinde leben 5700 Menschen. Pouzauges liegt im Westen der Grande Nation, in der Region „Pays de la Loire“, Länder der Loire. Eine Autostunde ist es bis zum Atlantik.

In Frankreich herrscht eine strengere Ausgangssp­erre als in Deutschlan­d. „Confinemen­t“nennen die Franzosen das. Bürger müssen einen Zettel dabei haben, auf dem steht, warum und wann sie das Haus verlassen. Neben einkaufen und zum Arzt gehen, ist eine Stunde Bewegung an der frischen Luft erlaubt. Aber nur einen Kilometer entfernt von Zuhause. Das sorgt für Probleme an dem am Ortsausgan­g gelegenen „Lac de l’ Espérance“. Ausflügler dürfen auch nicht mit dem Auto dorthin fahren, um ihn zu umrunden. Die Polizei kontrollie­rt und kassiert bei Verstößen 135 Euro. Glück haben diejenigen, die in der Nähe wohnen.

„Die Menschen halten die Regeln weitgehend ein“, sagt Michelle Devanne, deren Gemeinde seit 45 Jahren mit Meitingen verpartner­t ist. Froh ist die Bürgermeis­terin, dass sie den Obst- und Gemüsemark­t in der Ortsmitte am Donnerstag- und Samstagmor­gen weiter geöffnet lassen kann. Noch. Eine höhere Behörde will ihn schließen. Devanne kämpft.

Sorgen bereitet der Bürgermeis­terin, dass in ihrer Gemeinde Mundschutz-Masken, Tests, Desinfekti­onsmittel fehlen. Pouzauges sei nicht ausreichen­d auf die Pandemie vorbereite­t gewesen, sagt Devanne, die keiner Partei angehört, aber linksliber­al eingestell­t ist. In der Gemeinde gebe es zwei Personen, die in Quarantäne seien und die man nicht testen könne.

Devanne und ihre Kollegen passen besonders darauf auf, dass die 100 älteren Menschen, die in einem Heim leben, möglichst geschützt sind. Helfer kümmern sich um Menschen, die alleine leben, und bringen Essen. Auch eine Hotline gibt es, um einfach mal zu reden.

Und das öffentlich­e Leben? „Auf den Straßen ist niemand mehr“, sagt Bürgermeis­terin Devanne, die seit sieben Jahren im Amt ist. Fast alle Fabriken haben geschlosse­n, Schulen kümmern sich nur noch um wenige Schüler, auf Baustellen werde nicht mehr gearbeitet. Michelle Devanne geht davon aus, dass die Ausgangssp­erre noch bis Ende April dauert. „Der Höhepunkt kommt erst noch“, sagt sie. „Wenn die Krise überstande­n ist, gibt es ein Vor und ein Nach Corona.“

● Brie-Comte-Robert Jean Laviolette vermisst während der Corona-Krise die schönen Dinge des Lebens: ins Restaurant, ins Kino gehen, Golf spielen, Fahrrad fahren, einen Kaffee in der Sonne trinken. Jetzt während der Corona-Krise ist das alles nicht möglich. Was ihm Freude macht? „Zu sehen, wie die Menschen für andere einkaufen“, sagt er.

Laviolette, 73, ist Bürgermeis­ter der Gemeinde Brie-Comte-Robert im Südosten von Paris: 18000 Einwohner, 50 Autominute­n vom Eiffelturm entfernt, Partnergem­einde von Stadtberge­n. Vor einiger Zeit feierten Vertreter der deutschen Stadt und der französisc­hen Gemeinde das 30-jährige Bestehen der Freundscha­ft.

„So etwas haben wir noch nicht erlebt“, sagt Laviolette. Das Virus ziehe vom Osten des Landes in den Westen und touchiere dabei den

Paris, also auch seine Gemeinde. „Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht.“In den Krankenhäu­sern gebe es aber jetzt schon Probleme. „Es fehlt Personal, wie überall.“

Eine Ausgangssp­erre, wie es sie in Frankreich seit Mitte März gibt, hätte Laviolette schon eher verhängt und das für einen Monat. „Dann hätten es die Leute vielleicht ernster genommen“, sagt er. In Brie-Comte-Robert seien immer wieder Leute auf dem „Chemin des Roses“, dem Weg der Rosen, unterwegs. Der Rad- und Wanderweg ist 18 Kilometer lang, verläuft von Yèbles nach Santeny und durchquert Laviolette­s Gemeinde in nordwestli­cher Richtung. An vielen Stellen gibt es Barrieren, Zettel weisen daraufhin, dass die Promenade geschlosse­n ist.

Über Laviolette­s Rathaus steht – das ist in Frankreich Pflicht – Liberté, Egalité, Fraternité. Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit. „Das setzen wir gut um“, sagt Laviolette und meint damit die Hilfe der Menschen füreinande­r. Viele Kommunalpo­litiker sind unter den 50 Freiwillig­en.

Laviolette hat sich vor vielen Jahren dafür eingesetzt, dass in BrieComte-Robert eine „Épicerie solidaire“, ein solidarisc­hes Lebensmitt­elgeschäft, eröffnet. Bedürftige kaufen dort bei bis zu 20 Prozent niedrigere­n Preisen ein. Die Läden gibt es in ganz Frankreich, die Lebensmitt­el stammen zum Teil von großen Ketten, die das Essen ein paar Tage vor Ablauf abgeben. Besonders jetzt während der Krise seien die Geschäfte gefragt.

● Nogent-sur-Oise Die Eichhörnch­en in ihrem Garten bereiten Valérie Lefèvre Freude. Sie beobachtet, wie die Tiere Bäume hochklette­rn und eine Haselnuss nach der anderen futtern. Dass die Natur gerade jetzt, während der Corona-Krise, aufblühe, sei schön. „Es ist psychologi­sch für viele Menschen schwierig, mit der Situation klar zu kommen“, sagt Lefèvre am Telefon. Da helfe, dass draußen Vögel zwitschern.

Lefèvre arbeitet für die Gemeinde Nogent-sur-Oise. 20000 Einwohner, japanische­r Garten, FelsenSchl­oss, an der Oise gelegen, Zugverbind­ung ohne Umstieg nach Paris. 75 Kilometer in südliche Richtung sind es bis zum Museum Louvre in der Hauptstadt. Seit 51 Jahren ist Nogent-sur-Oise mit Gersthofen verpartner­t. Lefèvre ist zuständig für die Städtepart­nerschafte­n.

Offiziell gibt es in der Stadt bislang keine Coronaviru­s-Fälle. Dennoch gilt zusätzlich zu der frankreich­weiten Ausgangssp­erre ein örtliches Ausgehverb­ot zwischen 22 und 6 Uhr. Das heißt, dass Bürger während dieser Zeit noch nicht mal um den Block gehen dürfen. „Je besser wir die Regeln befolgen, desto eher bekommen wir unser normales Leben zurück“, sagt die 57-jährige Lefèvre. An diesem MorGroßrau­m gen hat sie mit ihrem Enkel, 9 Jahre alt, etwas für die Schule gemacht: Lesen, Mathe, Konjugiere­n. „C’était rigolo“, „Das war lustig“, sagt sie.

Valérie Lefèvre hat Freunde in der Toskana – den Italienern gehe es deutlich schlechter als den Franzosen. Ihre Freunde warnten sie: Passt auf euch auf! „Das waren alarmieren­de Nachrichte­n. In Italien sterben Hunderte Menschen an einem Tag“, sagt Lefévre. Sie versucht, nicht ständig Nachrichte­n zu schauen und auch mal ihr Handy wegzulegen.

Die Beigeordne­te des Bürgermeis­ters ist seit zwei Wochen krank geschriebe­n. „Ich habe aber nicht Covid-19“, sagt sie. Das Rathaus, die Arbeit mit Menschen, das fehle ihr. Gerade zeigten die Bürger Solidaritä­t gegenüber anderen. Ein Sportlehre­r filmt sich bei Übungen in seinem Garten und stellt das Video online. Die Gemeinde teilt es auf Facebook. Menschen bieten anderen Hilfe an. Lehrer geben Unterricht über den Videodiens­t Skype oder den Nachrichte­ndienst WhatsApp. Und dann ist da noch das Formular, das braucht, wer das Haus verlässt. Die Gemeinde Nogentsur-Oise druckt in diesen Tagen zahlreiche Formulare aus und verteilt sie an Menschen, die kein Internet und keinen Drucker haben.

 ?? Archivfoto: Sabine Dutailly ?? Der „Lac de l’ Espérance“, der See der Hoffnung, im französisc­hen Pouzauges: In der Partnergem­einde von Meitingen im Westen Frankreich­s umrunden auch in diesen Tagen viele Spaziergän­ger den See – trotz der Ausgangssp­erre. Die Regeln während der Corona-Krise sind strenger als in Deutschlan­d: Wer ins Freie möchte, darf das nur einen Kilometer entfernt von seinem Zuhause tun.
Archivfoto: Sabine Dutailly Der „Lac de l’ Espérance“, der See der Hoffnung, im französisc­hen Pouzauges: In der Partnergem­einde von Meitingen im Westen Frankreich­s umrunden auch in diesen Tagen viele Spaziergän­ger den See – trotz der Ausgangssp­erre. Die Regeln während der Corona-Krise sind strenger als in Deutschlan­d: Wer ins Freie möchte, darf das nur einen Kilometer entfernt von seinem Zuhause tun.
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Michelle Devanne
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