Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie gut digitale Weinverkostungen sind
Restaurants sind geschlossen, Weingüter gesperrt. Es schlägt die Stunde der virtuellen Degustation. Ein Rundgang im Internet bringt jedoch ernüchternde Erfahrungen – mit wenigen Ausnahmen. Eine Kritik
Franziska und Johannes Gröhl rutschen ins Bild. Ihre Köpfe hat der Handy-Bediener nicht ganz ins Bild bekommen, Gläser leer, der Blick von Franziska findet die Kamera nicht. Seit 1625 machen die Gröhls Wein in Weinoldsheim/Rheinhessen. Knappe 400 Jahre später rutschen sie auf ihren Stühlen hin und her und stellen ihre Tropfen ins Nichts vor. Genau 239 Menschen haben diese Folge bisher im Internet angeschaut. Dazu bestellt man passend sechs Flaschen aus ihrem Sortiment zum Probier-Preis von 43 Euro.
Das Coronavirus hat diesen neuen Vertriebsweg geschaffen. Mittlerweile führt die Internet-Seite des Deutschen Wein Institutes (DWI) mehr als einhundert Winzer, die Online-Weinproben anbieten. „Da wurde aus der Not eben eine Tugend gemacht, die auch nach Corona Bestand haben wird“, sagt Ernst Büscher des DWI. Und so turnen landauf, landab Winzer, Händler und Sommeliers durchs Bild und stellen Weine vor.
● Die Unerfahrenen Es folgen Begrüßungsformeln und Rechtfertigungen des rührenden Winzer-Paares Gröhl. Dann endlich: Nach genau sieben Minuten und 38 Sekunden kommt der erste Wein ins Glas. Puh. Die Geduld der Zuschauer setzt eine Verweildauer voraus, für die deutsche Fernsehmacher vor Freude durch die Decke gehen würden. Im Netz zu finden unter www.weingut-groehl.de.
● Der Nüchterne Felix Prinz zu Salm-Salm. Salms Auftritt firmiert unter der Überschrift „Stay home and drink wine“. Über 100-jährige Jubiläen kann er nur lachen. Sein Betrieb ist 800 Jahre alt. Er leitet das Haus in Wallhausen/Nahe in nunmehr 32. Generation. Damit ist das „Weingut Prinz Salm“das älteste ununterbrochen in Familienbesitz befindliche in Deutschland. Der Prinz stapft in seinem Youtube-Video durch seine Weinberge und redet über Spätfrost, Bodenstrukturen und seine feinen Rieslinge vom
Wallhäuser Felseneck. Das ist fachlich ein bisschen spröde, aber informativ. Durchlaucht ist sogar per Du mit uns Usern. Das Probe-Paket mit sechs Weinen soll zwei Werktage vor der neuen Verkostung bestellt werden und kostet 44 Euro. 185 Menschen wollten diese Folge sehen. Im Netz: www.prinzsalm.de.
● Die Unabhängige „Fette Katze!“Dieser Ausdruck, der in der einschlägigen Wein-Literatur bislang nicht zu finden ist, entkommt Eva Adler bei ihrem Youtube-Auftritt mit dem Namen „Endorphine im Glas“über den fränkischen 2016er
Silvaner „Kvevri“von Manfred Rothe, der nach georgischem Vorbild in der Amphore ausgebaut wurde. Die mit höchsten Weihen als IHK-geprüfte Sommelière ausgestattete Münchnerin arbeitet für einen Getränke-Vertrieb und stellt dessen Weine eben nicht vor, sondern Tropfen, die sie selbst für spannend und bezahlbar hält.
Wäre der Auftritt von Eva Adler ein Wein, würde man wohl sagen: „Ist erst am Anfang seiner Entwicklung und hat noch viel Potenzial.“Zu kaufen und zu bestellen gibt es bei Eva Adler übrigens nichts. „Ich begreife das als selling tool, damit die Leute nicht im Supermarkt Wein einkaufen, sondern beim Winzer selber“, sagt sie.
Die Produktnähe ist wohl das größte Problem der Mehrzahl der Online-Verkostungen. Da mag das Probierpaket vielleicht portofrei verschickt werden und die Weine sind einige Cent billiger zu haben als im freien Verkauf, dennoch wird jeder Winzer immer seine Weine im besten Licht darstellen. Eine unabhängige Verbraucher-Information ist das nur in seltenen Fällen.
● Die Saftige Geschenkt, wenn die Information so freudig daher kommt wie bei Andrea Wirsching vom gleichnamigen Weingut im fränkischen Iphofen. Das ProbierPaket ist ein Schnäppchen: drei Weine für 39 Euro inklusive Versand, darunter ein Großes Gewächs und eine Erste Lage. Erreichbar unter www.wirsching-shop.de.
Wer das Internet also zur geschmeidigen Weinbar machen will mit großen Reichweiten, der sollte auf Elfenbeinturm-Gelaber verzichten, Werblichkeit vermeiden und an die Länge seiner Posts denken. Der Auftritt der Winzer-Familie Gröhl dauert übrigens eine Stunde und 38 Minuten.
● Der Beste Ganz vieles macht Hendrik Thoma aus Hamburg richtig. Eigentlich platzend vor Wissen, präsentiert der Master of Wine – davon gibt es nur wenige hundert in der Welt – in seiner Online-Verkostungs-Serie „Wein am Limit“die feinen Tropfen mit hanseatischer Kargheit, in verständlichem WeinDeutsch und viel Witz. Genau das mögen seine Zuschauer. Die Clicks bewegen sich im hohen dreistelligen und auch schon im vierstelligen Bereich. Da werden schon mal kitschige Rosé-Weine veräppelt, aber auch die Jahreszeit mitgenommen mit „Spargel meets Burgund“. Die zum Teil illustren Promi-Gäste bräuchte es eigentlich gar nicht.
Ja, Hendrik Thoma ist auch Weinhändler. Er vermeidet aber in seinen mittlerweile fast 500 Folgen wohltuenderweise jedes Verkaufsgeplänkel und schüttet auch mal die Reste im Glas in die Flasche zurück. Großes Wein-Kino ist das. Das Verkostungspaket kostet zwischen 69 und 99 Euro, maximal gibt es 100 Teilnehmer. Die Seite von Hendrik Thoma ist zu finden unter www.weinamlimit.de.
Ohne Zweifel, der Online-Verkostung gehört (erst einmal) die Zukunft. Das größte Problem hat allerdings der Verbraucher dabei. Was tun mit sechs preiswerten, aber angebrochenen Flaschen aus der Online-Verkostung?
Zum Autor Unser Kritiker Herbert Stiglmaier ist IHK-geprüfter Sommelier.