Augsburger Allgemeine (Land West)
„Hören Sie die Stille?“
Von falschen und echten Geisterspielen im deutschen Profifußball
Lange, sehr lange galt die Bundesliga-Partie Tasmania Berlin gegen Borussia Mönchengladbach als absoluter und nicht zu überbietender Minusrekord: 827 Zuschauer „bevölkerten“am 15. Januar 1966 das damals 88000 Menschen fassende Olympiastadion in Berlin. Nicht einmal jeder 100. Platz war besetzt. Ein Geisterspiel also, lange bevor der Begriff gebräuchlich wurde.
Am 11. März 2020 wurde Tasmanias trauriger Rekord dann doch unterboten. Beim ersten offiziellen Geisterspiel der Bundesligageschichte, einem Nachholspiel zwischen Mönchengladbach und dem 1. FC Köln. Dass die Stimmung dabei nicht allzu prickelnd war, überrascht wenig. „Irgendwie hat es mit Fußball nichts zu tun“, bilanzierte Schiedsrichter Deniz Aytekin nach dem Gladbacher 2:1-Sieg und stellte fest, dass „ohne Fans das tatsächlich nich mal halb so viel wert“sei.
Das erste Geisterspiel im deutschen Profifußball ging vor mehr als 16 Jahren in der 2. Bundesliga über die Bühne. Nachdem bei der Partie Aachen gegen Nürnberg Club-Trainer Wolfgang Wolf von einem Wurfgeschoss getroffen worden war, wurde das Spiel abgebrochen und ein Nachholspiel vor leeren Rängen im Aachener Tivol anberaumt. Für den Bayerischen Rundfunk saß Kultreporter Günther Koch am Mikrofon und prägte den schönen Satz „Hören Sie die Stille?“. Seine 95–minütige Reportage geriet zu einem Echtzeit-Hörspiel, das heute noch im Hörspielpool des BR abzurufen ist. Bei den Profis kam die Ruhe im Stadion schon im Jahr 2004 nich gut an. Alemannen-Stürmer Erik Meijer sagte, nachdem seine Mannschaft nach dem
3:2-Erfolg im Spitzenspiel gegen die Franken von den Ordnern lautstark gefeiert worden war: „Das war ein echtes Pflichtspiel. Ich wäre heute mit meiner Frau lieber ins Kino gegangen.“Was heutzutage ja auch keine Alternative ist.
Die allermeisten Fußballspiele ohne Publikum waren Strafen für die Heimmannschaft, deren Fans sich danebenbenommen haben, sei es durch den Einsatz von Pyrotechnik, Böllerwürfen und häufig wegen antisemitischer oder rassistischer Entgleisungen. Ganz anders lag der Sachverhalt im November 2016, als das Drittliga-Derby 1. FC Magdeburg gegen den Halleschen FC kurz vor einer Ansetzung als Geisterspiel stand. Schuld daran waren Statikprobleme, die Stadt Magdeburg als Inhaberin der MDCC-Arena sah die Sicherheit der Zuschauer gefährdet. Erst als die Fans versicherten, auf das sonst übliche Hüpfen zu verzichten, konnte die Partie mit Zuschauern angepfiffen werden. In Corona-Krise-Zeiten ist von Folgendem abzuraten: Im September 2014 trat der FC Bayern vor leeren Rängen bei ZSKA Moskau an. Die Russen mussten aufgrund rassistischer Vergehen der eigenen Fans vier Heimpartien der Champions-League-Saison ohne Zuschauer absolvieren. Einige FCB-Anhänger zeigten sich kreativ: Sie mieteten eine ganze Etage eines Hochhauses in unmittelbarer Nähe der Moskauer Arena Khimki an und konnten so die Begegnung verfolgen. Für die Bayern-Anhänger hat sich der 2300-Kilometer-Trip doppelt gelohnt. Schließlich gewann ihr Team dank eines von Thomas Müller verwandelten Foulelfmeters mit 1:0. Außerdem zeigten sich die Bayern-Bosse von so viel Kreativität begeistert und übernahmen die Kosten für den ungewöhnlichen Ausflug.