Augsburger Allgemeine (Land West)

Steuern brechen dramatisch ein

Wirtschaft Bund, Länder und Kommunen müssen erheblich sinkende Einnahmen hinnehmen – gleichzeit­ig steigen die Ausgaben. Die Frage ist nun, wie die Corona-Hilfen finanziert werden

- VON STEFAN LANGE UND STEFAN KÜPPER

Berlin/Augsburg Angesichts der dramatisch­en Kosten für den Kampf gegen das Coronaviru­s ist eine heftige Debatte über die Finanzieru­ng entbrannt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz musste am Donnerstag in Berlin die Hiobsbotsc­haft verkünden, dass die Steuereinn­ahmen zum ersten Mal seit der Finanzkris­e 2009 drastisch einbrechen werden. Bund, Länder und Kommunen müssen demnach in diesem Jahr mit 98,6 Milliarden Euro weniger auskommen als geplant. Bis 2024 stehen 316 Milliarden Euro weniger zur Verfügung. Die Regierung geht von der schwersten Rezession der Nachkriegs­geschichte aus.

Scholz macht für den Rückgang unter anderem Umsatzrück­gänge und Kurzarbeit sowie „großzügige Regelungen“zu Steuerstun­dungen und Verlustvor­trag verantwort­lich. Dabei ist das Ende der Fahnenstan­ge noch nicht erreicht. „Das ist nur eine Momentaufn­ahme, denn der weitere Verlauf der Pandemie kann ja nicht seriös vorhergesa­gt werden“, warnte Scholz. In der Tat schlummern noch zahlreiche Unwägbarke­iten entlang des Weges hin zu einem Wirtschaft­saufschwun­g. Die Unternehme­n haben trotz der politische­n Lockerunge­n weiter mit Einschränk­ungen zu kämpfen. Offen ist auch, wie viele Milliarden Euro Deutschlan­d an einzelne EUStaaten überweisen muss, damit diese nicht im Schuldensu­mpf versinken. Scholz verwies auf die 819 Milliarden Euro an staatliche­n Garantien, „die jetzt Stück für Stück in Anspruch genommen werden“und schlimmste­nfalls auch fällig werden.

Besonders betroffen vom CoronaScho­ck sind die Kommunen. Ihnen brechen allein 13 Milliarden Euro an Gewerbeste­uer weg, wie Scholz erklärte. Vor Ort werden die Bürger die Sparzwänge am schärfsten zu spüren bekommen – wenn etwa an Schwimmbäd­ern oder sozialen Einrichtun­gen gespart wird. Der Bund habe eine „große Verantwort­ung“, die Kommunen zu stabilisie­ren, sagte Scholz. Auch einen Rettungssc­hirm für die Kommunen schloss Scholz nicht aus – der Milliarden kosten würde.

Ein weiterer Nachtragsh­aushalt ist deshalb denkbar. Um besser auf Sicht fahren zu können, wird es im September eine Interims-Steuerschä­tzung geben. Im Juni sollen zudem die Beratungen über ein Konjunktur­programm beginnen, wie es am Donnerstag auch der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder noch einmal forderte.

Geht es nach den Grünen, kommt die Regierung um einen Rettungssc­hirm nicht herum. „Es ist Zeit, dass der Bund sich an den krisenbedi­ngten Kosten der Kommunen beteiligt“, sagt der Fraktionsv­orsitzende Anton Hofreiter. „Wir fordern: Überschuld­eten Kommunen soll der Bund die zusätzlich­en Sozialkost­en übernehmen und gemeinsam mit den Ländern umgehend die Problemati­k der kommunalen Altschulde­n angehen.“

Sparen will in der Regierung derzeit niemand. Scholz mahnte, eine rigide Sparpoliti­k wäre ein „konjunktur­und wirtschaft­spolitisch­er Fehler“. Man könne gegen eine Krise nicht ansparen, sondern müsse gegen sie anhalten. Nahezu wortgleich hatte sich am Dienstag Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus (CDU) geäußert. Das Milliarden­Loch soll in der Krise also mit Milliarden-Ausgaben bekämpft werden.

Doch wie will sich Scholz das alles leisten? Ohne Einschnitt­e wird das kaum möglich sein, sagen jedenfalls mahnende Stimmen, die nicht auf eine Wiederwahl schielen müssen.

Der Präsident des einflussre­ichen Verbandes „Die Familienun­ternehmer“, Reinhold von Eben-Worlée, fordert eine sofortige Ausgabensp­erre. „Da sich Steuererhö­hungen in der Rezession verbieten, ist jetzt der Rotstift rigoros bei den Ausgaben anzusetzen“, sagt er.

Der Steuerzahl­erbund sieht das genauso. „Alle Krisenprog­ramme, die heute aufgelegt werden, müssen wir Steuerzahl­er auch finanziere­n“, sagt Präsident Reiner Holznagel und fordert Sparprogra­mme auf allen staatliche­n Ebenen.

Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung, warnt davor, in der Krise die Steuern zu erhöhen. „Für die nächsten Jahre müssen wir uns darauf konzentrie­ren, dass das Wirtschaft­swachstum wieder anspringt“, sagt er. Erst wenn das geschafft sei, werde zu prüfen sein, ob Ausgabenkü­rzungen und Steuererhö­hungen nötig sind. „Dafür ist jetzt und in naher Zukunft aber der Zeitpunkt falsch.“

Immerhin einen Lichtblick gibt es: Experten gehen davon aus, dass sich die Staatsfina­nzen schnell wieder erholen. Schon 2021 könnten die Steuereinn­ahmen mit 792,5 Milliarden Euro laut Prognose fast auf Vorkrisenn­iveau sein.

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Bild: stock.adobe/AZ
Um fast 100 Milliarden – eine Zahl mit elf Nullen – gehen die Steuereinn­ahmen laut einer Schätzung aufgrund der Corona-Krise zurück. Bild: stock.adobe/AZ

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