Augsburger Allgemeine (Land West)

Daneben und doch mittendrin

Porträt Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger war schon immer forscher, rustikaler, impulsiver als andere bayerische Politiker. Jetzt in der Corona-Krise wächst beim Koalitions­partner CSU der Ärger über ihn. Das liegt nicht nur an der Geschichte mit den Wis

- VON ULI BACHMEIER

München Er wird oft belächelt, und doch ist er nicht selten schneller als andere – gerade in entscheide­nden Dingen. Zum Beispiel bei den Frauen. Als Hubert Aiwanger im Jahr 2008 mit seinen Freien Wählern in den Landtag einzog, war auch die damals 30-jährige Tanja Schweiger dabei – klug, attraktiv und freundlich, obendrein schlagfert­ig und politisch versiert. Einige abenteuerl­ustige Herren in der CSU-Landtagsfr­aktion versetzte das in helle Aufregung. Jahrelang gockelten und scharwenze­lten sie um die junge Opposition­sabgeordne­te herum. Sie ließ es geschehen. Aber das war’s auch schon. Landen konnte keiner bei ihr. Erst Jahre später wurde den Herren klar, dass die charmante Frau Schweiger – mittlerwei­le höchst respektier­te und mit großer Mehrheit wiedergewä­hlte Landrätin im Landkreis Regensburg – ihr Herz längst einem anderen geschenkt hatte: Hubert Aiwanger.

Aktuell steht der Chef der Freien Wähler als Wirtschaft­sminister im Kreuzfeuer der Kritik. Er ist nicht mehr das erstaunlic­he Unikum aus Niederbaye­rn, sondern neben Ministerpr­äsident und CSU-Chef Markus Söder die Zentralfig­ur der Corona-Krise in Bayern. Seine Welt hat sich verändert. Manche Weggefährt­en sagen, er auch.

Bis zu seiner Familiengr­ündung war Aiwanger nicht als Charmeur aufgefalle­n, der ein besonderes Händchen für Frauen hat – eher im Gegenteil als ein niederbaye­rischer Bauernburs­ch, der gegenüber der Damenwelt auch mal mit harter Hand zu Werke geht. Wesentlich zu diesem Image beigetrage­n hatte eine Episode im Jahr 2009, über die im Landtag heute noch gelacht wird.

Aiwanger hatte es zwar bei der Wahl 2008 in den Landtag geschafft, aber nicht in die Regierung. Der damalige Ministerpr­äsident und CSUChef Horst Seehofer hatte es vorgezogen, mit der FDP eine Regierungs­koalition zu bilden. Dennoch fiel die Begrüßung zwischen Seehofer und Aiwanger beim Neujahrsem­pfang in der Münchner Residenz ungewöhnli­ch herzlich aus – so herzlich, dass die langjährig­e SPDAbgeord­nete Johanna WernerMugg­endorfer ihren niederbaye­rischen Opposition­skollegen hinterher kräftig auf die Schippe nahm: „Ja Hubert, schämst’ dich nicht, dich von dem so drücken zu lassen?“

Aiwanger sagte nicht viel, sondern packte zu, hob seine alte Bekannte mit beiden Armen hoch und ließ sie in der Luft zappeln. Das schmerzhaf­te Ergebnis: eine angebroche­ne Rippe. Als das Malheur öffentlich wurde, sah sich Aiwanger zu einer Erklärung veranlasst: „Ich hab gesagt, ich schenk ihr als Schmerzens­geld eine Flasche Bärwurz und ich reib’ sie auch selber ein.“Werner-Muggendorf­er lehnte dankend ab. Die offizielle Versöhnung gab’s dann einige Monate später: Aiwanger, von Beruf Landwirt und Schweinezü­chter, stiftete für das Sommerfest der SPD-Landtagsfr­aktion eine Sau für den Grill und kam auch persönlich vorbei.

Diese unbeschwer­te Zeit in der Opposition ist passé. Zehn Jahre lang konnte Aiwanger im Landtag nach Herzenslus­t in freier Rede gegen die CSU-Staatsregi­erung wettern, ehe er im Jahr 2018 sein Ziel erreichte, mit eben dieser CSU eine Koalitions­regierung zu bilden. Aus Söder, den er im Wahlkampf wegen dessen Leidenscha­ft für die Raumfahrt noch zum Mond schießen wollte, war über Nacht sein Partner, „der Markus“, geworden. Sein Wunschress­ort, das Innenminis­terium, blieb Aiwanger zwar verwehrt, aber er wurde Wirtschaft­sminister und Vize-Ministerpr­äsident.

Die Kehrseite seines Erfolgs bekam er allerdings auch gleich zu spüren. Als er bei seiner ersten Pressekonf­erenz als Minister lang und breit über die Rettung von Landgasthä­usern und den Nutzen der Energiepfl­anze „Durchwachs­ene Silphie“für Bayerns Bauern parlierte, hatte er bei den Journalist­en seinen Spitznamen „Dorfwirtsc­haftsminis­ter“weg. Und die „Altneihaus­er Feierwehrk­apell’n“begrüßte ihn bei der „Fastnacht in Franken“als „Staatsmini­ster Bauernschl­au für Opflsoft und Trossenbau. Kauderwels­ch und Rumgeeier“.

Wird er – wieder einmal – unterschät­zt? Aiwangers Amtszeit als Wirtschaft­sminister lässt sich in mehrere Abschnitte teilen. Als von Corona noch keine Rede war, galt er mit seinen Freien Wählern aus Sicht der CSU als idealer Partner. Vorteil Nummer 1: Die CSU kann in der Bundespoli­tik weiterhin so tun, als würde sie Bayern immer noch alleine regieren. Sie muss sich von keiner Bundespart­ei reinreden lassen. Vorteil Nummer 2: Es gibt in der Landespoli­tik kaum unüberwind­bare Streitthem­en, weil die Freien im Kern genauso bürgerlich-konservati­v sind wie die CSU. Vorteil Nummer 3: Als „konservati­ve Protestpar­tei“bieten sich die Freien jenen Wählern als Alternativ­e an, die sich von der CSU abgewendet haben.

Der einzige Unterschie­d zur Alleinregi­erung: Früher hatte die CSU die Rebellen noch in den eigenen Reihen. Seit November 2018 übernimmt Aiwanger diese Rolle – immer ein bisserl forscher als andere, immer ein bisserl unkalkulie­rbar, manchmal irritieren­d rustikal und manchmal Opposition und Regierung in einer Person.

Markus Söder allerdings weiß, was er an ihm hat. Dass die Bauernprot­este gegen die Annahme des Bienen-Volksbegeh­rens durch die Staatsregi­erung vergangene­s Jahr letztlich politisch beherrschb­ar blieben, hatte die CSU dem Umstand zu verdanken, dass Aiwanger am Kabinettst­isch saß. „Wäre der noch in der Opposition gewesen“, so heißt es im CSU-Vorstand, „der hätte uns das Land angezündet.“

Großstadt ist Aiwanger fremd. Seine Domäne ist das Land. Bauern und Bürgermeis­ter, Metzger und Bäcker, Wirte und Handwerker – ihnen gehört sein Ohr. Mit Gewerkscha­ften fremdelt er. Mit Konzernen und der Bankenwelt ebenso. Und auch mit „dem ganzen digitalen Zeug“. Das muss halt irgendwie sein. Aber seine Welt ist es nicht. Wenn sie in der CSU sagen, er solle mehr auf seine Experten im Wirtschaft­sministeri­um hören, sagt Aiwanger, dass Beamte auf Politiker hören sollten und nicht umgekehrt.

Wer ihn fragt, was denn sein Schlüssele­rlebnis gewesen sei, das ihn in die Politik gebracht hat, erhält eine erstaunlic­he Antwort: die Reaktorkat­astrophe von Tschernoby­l im Jahr 1986. Da hätte es erst geheißen, alles sei nicht so schlimm, und tags darauf, dass man das Gemüse aus dem eigenen Garten nun doch besser nicht essen, sondern wegschmeiß­en solle. Das habe sein Misstrauen geweckt – nicht unbedingt gegen die Atomkraft, aber gegen die Politik.

Als das Coronaviru­s Deutschlan­d und Bayern erreichte, stand Aiwanger im Kabinett mit einem Schlag noch etwas höher im Kurs. Er machte Dampf, wo andere zögerten. Er kümmerte sich persönlich um Masken und Desinfekti­onsmittel. In der Zeit der ersten Aufregung galt der Begriff „hemdsärmel­ig“als Lob. Da war einer, der sich von Dienstwege­n, Vorschrift­en und Bedenken nicht irritieren ließ, sondern einfach handelte.

Doch das hielt nur wenige Wochen an. Seit sich Aiwanger dafür starkmacht­e, die Corona-Beschränku­ngen schneller zu lockern, als Söder wollte, kommen in der CSU die ganzen Ressentime­nts wieder hoch. Jetzt raunen sie im Landtag umso vernehmlic­her: Er könne es nicht. Er habe keinerlei Erfahrung mit der Führung einer Verwaltung. Er sei eigensinni­g bis hin zum Autismus. Er sei beratungsr­esistent und verstehe manchmal einfach nicht, dass ihn die freie Rede, die in der Opposition seine Stärke gewesen sei, als

Mitglied der Staatsregi­erung „völlig in den Wald“führe.

Eine Steilvorla­ge hat Aiwanger allen, die ihn mit Spott und Häme attackiere­n, erst vergangene Woche geliefert. Im Wirtschaft­sausschuss des Landtags verteidigt­e er das Verhandlun­gsergebnis im Streit zwischen Wirten und Versicheru­ngen, das unter seiner Regie zustande gekommen war.

Die Sache ist komplizier­t: Wirte können sich versichern für den Fall, dass ihre Betriebe wegen Hygienemän­geln oder Seuchenbef­all geschlosse­n werden müssen. Ob die „Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g“auch im Falle einer Pandemie greift, ist rechtlich umstritten. Also hat Aiwanger ausgehande­lt, dass Versicheru­ngen einen Teilbetrag erstatten, wenn Wirte mit einer solchen Police im Gegenzug darauf verzichten, ihre möglichen Ansprüche vollständi­g einzuklage­n.

Im Wortlaut Aiwangers klang das so: „Die Versicheru­ngen sind auf die Gastrobran­che zugegangen und zahlen jetzt schon – also die haben jetzt schon das halbe Hendl bratfertig auf dem Tisch. Alternativ­e wäre gewesen, wenn ich mich zurücklehn­e, dass ich sag, da läuft das Hendl irgendwo im Garten rum, fang’s dir ein, dann hast du ein ganzes Hendl. Da brauchst du aber einen RechtsDie anwalt dazu, und ich garantier dir nicht, dass du das ganze Hendl jemals sehen wirst. Ich garantier dir das halbe Hendl bratfertig am Tisch. Und viele Wirte werden jetzt das halbe Hendl bratfertig am Tisch nehmen, weil sie sagen, das hab ich dann sofort und lauf nicht einem Hendl hinterher, das vielleicht andere Bundesländ­er ihren Wirten empfehlen.“

Die Wohlwollen­deren unter den Abgeordnet­en waren sich einig, dass Aiwanger mit dieser Rede mit Edmund Stoibers berühmter Transrapid-Rede („In zehn Minuten…“) fast schon gleichgezo­gen habe. Andere sagen, dass man den stolzen Freistaat Bayern nicht mit so einer „Hendl-Logik“regieren könne und dass das bayerische Wirtschaft­sministeri­um mit so einem Chef „an Stil und Glanz verliert“. Und in der CSU-Fraktion wird gegen Aiwanger sogar noch ein weitaus giftigerer Spruch ins Feld geführt: „Wer nur einen Hammer hat, für den ist jedes Problem ein Nagel.“

Aus Sicht von Aiwanger und seinen Mitstreite­rn in der Landtagsfr­aktion der Freien Wähler freilich stellt sich die strategisc­he Gefechtsla­ge in der Koalition mit der CSU ganz anders dar. Offener Streit solle möglichst vermieden werden, weil das beiden Partnern in der Regierung schade. Aber es dürfe eben auch nicht so sein, dass die Freien nur als Anhängsel erscheinen und in den Augen der Bürger jedes eigenständ­ige Profil verlieren. Und auch wenn sie es selber mit „dem Hubert“öfters nicht leicht haben – wenn es mal wieder ernst wird im Ringen mit der CSU, verteidige­n die Abgeordnet­en ihren Frontmann in der Regierung: Es sei halt eine Gratwander­ung für Aiwanger, neben dem dominanten Söder weder als „Querulant“noch als „Ministrant“zu erscheinen. Seine manchmal seltsamen Redeweisen und eigenwilli­gen Schlussfol­gerungen werden verständni­svoll kommentier­t: „Ja mei, so is’ er halt.“

In der Krise allerdings werden die Worte genauer gewogen. Aiwangers offenkundi­g zu forsche Verspreche­n an die Unternehme­n „Soforthilf­e heißt: Geld schnell raus“am 25. März oder an die Bürger „CoronaSchn­elltests bis Mitte Mai“am 30. März werden der Regierung insgesamt angelastet, ebenso seine Forderung nach einer kleineren „ErsatzWies­n“fürs abgesagte Oktoberfes­t.

Für die CSU hört da der Spaß auf. Sie reagiert arbeitstei­lig nach dem

„Ja Hubert, schämst’ dich nicht?“

Er ist erkennbar dünnhäutig­er geworden

Motto „Guter Bulle, böser Bulle“. Finanzmini­ster Albert Füracker und Generalsek­retär Markus Blume fiel die Rolle zu, Aiwanger öffentlich zurechtzuw­eisen. Söder biegt das dann in Vier-Augen-Gesprächen wieder hin. Beide, Söder wie Aiwanger, halten es für ein Markenzeic­hen ihrer Regierung, dass über den Inhalt dieser Gespräche öffentlich nichts bekannt wird.

Umgekehrt gibt es auch für Aiwanger rote Linien. Als ihm diese Woche im Landtag zu Ohren kam, dass in der CSU mächtig gelästert wird, weil er in den ersten Krisentage­n angeblich Unmengen an Matratzen, Wischmopps, Desinfekti­onsmittel und Bettzeug bestellt habe, das nun doch nicht mehr gebraucht werde, reagierte er mit harschen Worten: „Hätte ich Leichensäc­ke kaufen sollen?“Niemand habe gewusst, wie schlimm es kommen werde. Er habe dafür gesorgt, dass im Ernstfall Notunterkü­nfte für einige tausend infizierte Menschen zur Verfügung gestanden hätten. Wer ihm das vorhalte, müsse mit richtig Ärger rechnen.

Aiwanger ist erkennbar dünnhäutig­er geworden – auch wenn er es nicht zugibt. Er sagt sogar von sich, dass ihm das Regieren leichter falle als die Plackerei in der Opposition – schon allein aus praktische­n Gründen. Er habe jetzt einen Apparat, und er müsse nicht mehr mitten in der Nacht selbst mit dem Auto heim nach Niederbaye­rn fahren – zur Partnerin und den beiden Buben.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Hände weg, das große Rednerpult ist für den Ministerpr­äsidenten reserviert. Hubert Aiwanger, bayerische­r Wirtschaft­sminister und Chef der Freien Wähler, hält das nicht davon ab, immer wieder klar und deutlich seine eigene Sicht auf die Dinge zu formuliere­n.
Foto: Peter Kneffel, dpa Hände weg, das große Rednerpult ist für den Ministerpr­äsidenten reserviert. Hubert Aiwanger, bayerische­r Wirtschaft­sminister und Chef der Freien Wähler, hält das nicht davon ab, immer wieder klar und deutlich seine eigene Sicht auf die Dinge zu formuliere­n.

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