Augsburger Allgemeine (Land West)

EU-Gericht weist Orbán erneut in die Schranken

Urteil Seit Jahren bringt Ungarn Asylbewerb­er in Lagern an der Grenze zu Serbien unter

- VON DETLEF DREWES

Brüssel/Luxemburg An der Grenze zwischen Ungarn und Serbien steht das Flüchtling­slager Röszke. Unüberwind­bare Zäune und Stacheldra­ht umgeben das Containerd­orf. Wer hier landet, kommt nicht weiter – weder nach Ungarn, noch zurück nach Serbien. Die Zustände haben nichts mit einem Auffangzen­trum für illegale Migranten zu tun. Röszke ist ein Gefängnis. Seit dem gestrigen Donnerstag ist es höchstrich­terlich erlaubt, die Situation so zu beschreibe­n. Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg hatte über eine Klage von vier Asylbewerb­ern aus Afghanista­n und dem Iran zu entscheide­n. Sie waren über die Türkei, Bulgarien und Serbien gekommen und in Ungarn gelandet. Die dortigen Behörden wiesen das Begehren um Schutz mit dem Hinweis ab, die Zuwanderer seien über ein sicheres Drittland – nämlich das Nicht-EU-Mitglied Serbien – eingereist, wo ihnen weder Verfolgung noch ein sonstiger Schaden drohte. Als die zuständige­n serbischen Dienststel­len in Belgrad eine Rückkehr ebenfalls ablehnten, landeten die Kläger in der Transitzon­e Röszke.

Die Luxemburge­r Richter prüften nun die Situation und befanden, dass die vier Migranten das abgeschott­ete Gebiet „aus eigenen Stücken rechtmäßig in keine Richtung verlassen“könnten. Im Übrigen verlangten sie, dass ein Gericht die

Rechtmäßig­keit der „Haft“(EuGH) überprüfen müsse. Sollte diese Untersuchu­ng ergeben, „dass die Asylbewerb­er ohne gültigen Grund in Haft genommen wurden, muss das angerufene Gericht sie unverzügli­ch freilassen“– und zwar binnen vier Wochen. Was Ungarn mit den Menschen bisher mache, sei „Freiheitse­ntzug“. Der wurde während der Coronaviru­s-Krise noch weiter verschärft. Seither dürfen die dort untergebra­chten Migranten überhaupt keinen Besuch mehr empfangen. Dies war bis dahin wenigstens in seltenen Fällen möglich.

Es ist nur ein weiterer Fall, bei dem die Politik des Regierungs­chefs Viktor Orbán als Bruch des europäisch­en Rechts entlarvt wurde. Schon zuvor hatte der EuGH den Umgang Budapests mit den Hilfesuche­nden angeprange­rt. Im Europäisch­en Parlament war Ungarn vor allem

Verfahren gegen Ungarn ist eingeleite­t

wegen der umfassende­n und nicht befristete­n Sondervoll­machten ein Thema, mit denen Orbán sich zu Beginn der Krise von seinem Parlament hatte ausstatten lassen. Kritiker sprachen damals in Anspielung auf die Nationalso­zialisten von einem „Ermächtigu­ngsgesetz“.

„Die Fidesz-Regierung hat unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie das ungarische Parlament auf unbestimmt­e Zeit entmachtet“, kritisiert­e die Vizepräsid­entin des EUParlamen­tes, die ehemalige Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD). „Die EU-Kommission darf nicht länger warten, alle ihr zur Verfügung stehenden rechtliche­n Mittel bis zum Vertragsve­rletzungsv­erfahren zu ergreifen, um darauf zu reagieren.“Tatsächlic­h wurde das entspreche­nde Verfahren längst in Gang gesetzt, an dessen Ende Ungarn wichtige Subvention­en aus Brüssel entzogen werden könnten. Doch im Kreis der EU-Staats- und Regierungs­chefs gab es bisher keine Chance für die notwendige Einstimmig­keit, da sich die Orbán-Unterstütz­er Polen, Tschechien und die Slowakei schützend vor ihn stellten. Und über ein neues wirkungsvo­lles Verfahren in Zusammenha­ng mit dem künftigen Sieben-Jahres-Etat der Union fehlt bisher eine Übereinkun­ft.

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Foto: Szigetvary, dpa Ungarns rechtsnati­onaler Ministerpr­äsident Viktor Orbán.

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