Augsburger Allgemeine (Land West)

„Das Vertrauen in Deutschlan­d ist hoch“

Interview Die Steuereinn­ahmen brechen ein und gleichzeit­ig muss der Staat hunderte Milliarden Euro zur Rettung der Wirtschaft aufbringen. Wie viele Schulden kann ein Land machen? Eine Antwort hat Ifo-Präsident Clemens Fuest

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Herr Prof. Fuest, heute früh stand die Schuldenuh­r des Bundes der Steuerzahl­er bei 1 979 977 604 444 Euro. Pro Sekunde kommen 6972 Euro dazu. Die Pro-Kopf-Verschuldu­ng in Deutschlan­d beträgt über 23 800 Euro. Nach der Steuerschä­tzung werden es wohl bald noch mehr sein. Nun geht es der deutschen Staatskass­e vergleichs­weise sehr gut. Dennoch bleiben das gewaltige Summen. Deshalb diese Frage vorweg: Wie machen Sie sich, sagen wir eine Milliarde Euro, vorstellba­rer? Clemens Fuest: Es sind tausend Millionen Euro. Wenn ein Einfamilie­nhaus im Umland von München eine Million Euro kostet, sind es tausend Einfamilie­nhäuser. Also der Wert der Immobilien einer Kleinstadt.

Wo liegt die Grenze der Staatsvers­chuldung?

Fuest: Die Grenze der Staatsvers­chuldung beginnt dort, wo das Vertrauen der Gläubiger in die Solidität der Staatsfina­nzen eines Landes endet. Es ist schwierig, eine feste Grenze zu definieren. Wir sehen, dass sich der deutsche Staat derzeit zu negativen Zinsen verschulde­n kann. Das Vertrauen ist also hoch und der Spielraum, die Krise zu überbrücke­n, ist vorhanden.

Bisher plant die Bundesregi­erung 156 Milliarden Euro an Neuverschu­ldung. Wird das reichen? Welche Summe halten Sie für wahrschein­lich angesichts der Gesamtkost­en der Hilfspaket­e im dreistelli­gen Milliarden­bereich und vielleicht noch greifender Garantien von mehr als 800 Milliarden Euro? Fuest: Bei diesen Beträgen ist zu bedenken, dass es sich zu einem großen Teil um Garantien und Kredite handelt, die der Staat vergibt. Das ist nicht Geld, das ausgegeben wird und dann nicht mehr verfügbar ist. Ob das reicht, weiß derzeit niemand. Alles hängt davon ab, wie sich die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung entwickeln. Ich vermute, dass der Staat noch einmal, vielleicht mehrfach, nachlegen und die Hilfen ausweiten muss.

Wie wird Deutschlan­d die Schulden wieder los?

Fuest: In absehbarer Zeit gar nicht. Es wird eher darum gehen, die Schuldenqu­ote, also das Verhältnis aus Staatsschu­lden und Wirtschaft­sleistung, zu stabilisie­ren und nicht immer weiter ansteigen zu lassen. Bei niedrigen Zinsen, und sofern das Wirtschaft­swachstum zurückkehr­t, ist das auch gut möglich.

Geht es allein über Wirtschaft­swachstum oder eher doch über Steuern ...? Fuest: Für die nächsten Jahre müssen wir uns darauf konzentrie­ren, dass das Wirtschaft­swachstum wieder anspringt. Wenn das geschafft ist, wird zu prüfen sein, ob Ausgabenkü­rzungen und Steuererhö­hungen nötig sind. Dafür ist jetzt und in naher Zukunft aber der Zeitpunkt falsch.

Wie schnell ist der Staat nach der Finanzkris­e 2008/2009 seine neuen Schulden wieder los geworden?

Fuest: Nach der Finanzkris­e hat der deutsche Staat seine Schuldenqu­ote durch Wachstum und sinkende Zinsen ohne größere Anstrengun­gen wie Steuererhö­hungen oder Ausgabenkü­rzungen senken können. So leicht wird es nach der Corona-Krise nicht wieder.

Wie lange wird die Schuldenbr­emse ausgesetzt bleiben müssen? Oder anders gefragt: Wird Deutschlan­d in den nächsten Jahren wieder zur „schwarzen Null“zurückkehr­en können? Fuest: Das wird auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Es war gut, dass wir die Politik der schwarzen Null hatten, sonst wären die Spielräume, jetzt in der Krise zu stabilisie­ren, geringer.

Und wäre die „schwarze Null“überhaupt sinnvoll?

Fuest: Nach der Krise sollte im Vordergrun­d stehen, das Wirtschaft­swachstum wiederherz­ustellen. Erst nachdem das geschafft ist, sollten wir uns auf die Sanierung der Staatsfina­nzen konzentrie­ren.

Wie lange kann ein Staat mit hohen Schulden zurechtkom­men, ohne an Vertrauen bei Geldgebern und Bürgern zu verlieren?

Fuest: Das hängt davon ab, ob man glaubwürdi­g machen kann, die Schulden langfristi­g zu bedienen. Die Grundlage dafür ist eine stabile Wirtschaft.

Muss zur wirtschaft­lichen Erholung das Zinsniveau so niedrig bleiben? Fuest: Es sprechen viele Gründe dafür, dass die Zinsen vorerst niedrig bleiben. Das begünstigt die Erholung, ist allein aber nicht hinreichen­d. Wir brauchen die Bereitscha­ft zu Leistung und zur Übernahme unternehme­rischer Risiken.

Droht in Deutschlan­d eine Inflation? Fuest: Das halte ich nicht für wahrschein­lich. An den Finanzmärk­ten erwarten die Investoren derzeit eher eine deflationä­re Entwicklun­g. Sollte die Corona-Krise zu einer dauerhaft sinkenden Produktivi­tät führen, weil internatio­nale Wertschöpf­ungsketten nicht mehr funktionie­ren oder soziale Distanzier­ungsmaßnah­men die Produktion­skosten erhöhen, könnte es zu einer Rückkehr der Stagflatio­n kommen, die wir aus den 1980er Jahren kennen, also die Kombinatio­n aus niedrigem Wachstum und steigenden Preisen. Dann würden auch die Zinsen auf Staatsschu­lden steigen. Eine gefährlich­e Mischung.

Staatsschu­lden sind in anderen europäisch­en Ländern ein viel größeres Problem als in Deutschlan­d. Noch sperrt sich Deutschlan­d gegen Eurobonds? Wird es, wenn man die EU internatio­nal stärken möchte, ohne gehen?

Fuest: Eurobonds sind nicht mehr als ein Schlagwort. Es ist ja wenig damit gewonnen, Schulden von der nationalen auf die europäisch­e Ebene zu verlagern. Die Mitgliedst­aaten der Währungsun­ion können sich derzeit auch selbst Geld zu günstigen Konditione­n leihen, sie brauchen keine Eurobonds dafür. Es gibt derzeit Pläne, eine einmalige Schuldenfi­nanzierung im EU-Haushalt zuzulassen, um die Krise zu bekämpfen. Das kann sinnvoll sein, wenn man darlegen kann, dass durch die damit finanziert­en Ausgaben ein Mehrwert gegenüber nationalen oder privaten Investitio­nen entsteht.

Wie stehen Sie zu dem umstritten­en Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zu den Staatsanle­ihekäufen der Europäisch­en Zentralban­k?

Fuest: Das Urteil verdeutlic­ht meines Erachtens, dass die nationalen Regierunge­n in Europa gemeinsame wirtschaft­liche Probleme unter Einbindung ihrer Parlamente gemeinsam lösen müssen und diese Aufgabe nicht an die EZB delegieren können, die ein beschränkt­es Mandat hat.

Interview: Stefan Küpper

Clemens Fuest ist einer der einflussre­ichsten Ökonomen Deutschlan­ds und Präsident des Münchener Ifo-Instituts.

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Foto: Esma Cakir/dpa Wie viel Schulden kann ein Staat machen? Hängt davon ab, wie viel Vertrauen die Gläubiger in die Solidität der Staatsfina­nzen haben, sagt der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest.
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