Augsburger Allgemeine (Land West)

Kurzvisite mit Folgen

Exklave Der lang ersehnte Besuch des österreich­ischen Bundeskanz­lers im Kleinwalse­rtal löst dort große Emotionen aus. Und Sebastian Kurz droht nun eine Anzeige

- VON MICHAEL MUNKLER

Kleinwalse­rtal Nach dem Besuch des österreich­ischen Bundeskanz­lers Sebastian Kurz (ÖVP), 33, am Mittwochab­end im Kleinwalse­rtal ist Kritik am Ablauf der Veranstalt­ung laut geworden. Empörung herrscht in sozialen Netzwerken, weil mehrfach Sicherheit­sabstände nicht eingehalte­n wurden. „Ich bitte euch, a bisserl Abstand zu halten“, hatte Kurz zwar zu den vielen Bürgern, die gegen 20 Uhr vors Walserhaus in Hirschegg gekommen waren, gesagt. Doch diese Bitte wurde ignoriert. Viele wollten ein Erinnerung­sfoto vom Kanzler im Walsertal machen und drängten nach vorne. Auch beim ersten Auftritt von Kurz an der Walserscha­nz hielten Medienvert­reter im Kampf um die besten Bilder nicht immer die erforderli­chen Sicherheit­sabstände ein. Der Kanzler mahnte zu etwas mehr Disziplin: „Bitte Abstände halten“und „Wir haben alle Zeit der Welt“. Er selbst trug keine Maske.

Sepp Schellhorn, Abgeordnet­er des Neuen Österreich und Liberalen Forums, kündigte auf Twitter eine Anzeige gegen den Kanzler an. „Das ist ja unglaublic­h“, wird er in österreich­ischen Medien zitiert. Kulturscha­ffende, Wirte und Filmemache­r müssten sich über Hygienebes­timmungen den Kopf zerbrechen. „Und dann das“, fährt er fort.

Kurz war am Mittwochab­end per Auto von Wien in die österreich­ische Exklave gekommen. Im Kleinwalse­rtal fand sozusagen die Premiere einer Besuchsrei­he in allen österreich­ischen Bundesländ­ern statt. Für die Fahrt durch Deutschlan­d benötigte die Kanzlerlim­ousine – ein schwarzer BMW – sogar eine Transitgen­ehmigung des bayerische­n Innenminis­teriums. In seiner

Ansprache erwähnte Kurz „die gute Nachricht im Gepäck“, die aber bereits bekannt war: Weitere Erleichter­ungen an den Grenzen würden schrittwei­se eingeführt, zum 15. Juni seien dann auch wieder für Deutsche touristisc­he Aufenthalt­e in Österreich möglich.

In einem langen Konvoi waren Kurz, zahlreiche Medienvert­reter sowie Vorarlberg­er Politiker nach der Begrüßung an der Walserscha­nz bis zum Walserhaus in Hirschegg gefahren. Viele Menschen – darunter zahlreiche Kinder – jubelten dem Kanzler zu und hielten Plakate in die Höhe: „Herzlich willkommen, Herr Kurz“. Mit rot-weiß-roten Fähnchen winkten viele dem Besuch aus Wien zu. Die KanzlerLim­ousine hielt immer wieder an. Kurz stieg aus, begrüßte die jubelnden Walsertale­r und ließ sich fotografie­ren – ein Bild mit dem Kanzler fürs Familienal­bum. Und noch eins und noch eins. Eine Frau in Tracht sang ihm das Walserlied vor. Kurz klatschte.

Rund 150 Menschen waren zum Walserhaus gekommen, wo der Kanzler sie begrüßte. „Ich danke euch vielmals fürs Durchhalte­n“, sagte Kurz an die Walsertale­r gerichtet. Schließlic­h seien die Menschen in der Exklave durch die besondere Lage ohne direkte Verkehrsve­rbindung nach Österreich besonders drastisch von Lockdown und Grenzschli­eßungen betroffen gewesen. Der Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner erwähnte in einem kurzen Statement, dass es im Kleinwalse­rtal derzeit keinen einzigen Corona-Infizierte­n gebe.

Im Gespräch mit unserer Redaktion berichtete der Kleinwalse­rtaler Bürgermeis­ter Andi Haid, im nichtöffen­tlichen Gespräch mit Politikern und Touristike­rn sei es unter anderem erneut um die Grenzöffnu­ngen gegangen. Eine Sonderrege­lung für die Exklaven werde es nicht geben. Haid: „Aber wir sind zumindest froh, dass wir jetzt eine klare Perspektiv­e haben und der Sommertour­ismus am 15. Juni anlaufen kann.“Nach den Worten des Rathausche­fs wurde auch darüber gesprochen, wie künftig in einem ähnlichen Krisenfall gehandelt werden könnte. Laut Haid soll zwischen beiden Ländern ein Konzept für die Exklaven erarbeitet werden.

Haid war nach eigenen Worten selbst überrascht, wie viele Menschen zum Walserhaus gekommen waren. Er erklärte das mit „Emotionen, Freude und Aufbruchst­immung“in der Bevölkerun­g nach wochenlang­er Quarantäne im Tal. Nur so könne er sich erklären, dass die vorgeschri­ebenen Sicherheit­sabstände nicht von allen eingehalte­n wurden. Mit ihrer Aufforderu­ng, zum Besuch des Kanzlers die Häuser zu beflaggen, hatte die Kleinwalse­rtaler Gemeindeve­rwaltung im Vorfeld für Verwunderu­ng und Kritik gesorgt. Die Gemeinde nannte das „ein Zeichen der Wertschätz­ung gegenüber Kurz“.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Nach über 47 Jahren hat am Mittwochab­end erstmals wieder ein österreich­ischer Bundeskanz­ler das Kleinwalse­rtal besucht. Doch für Sebastian Kurz (links) könnte der Trubel um seinen Besuch unangenehm­e Folgen haben.
Foto: Ralf Lienert Nach über 47 Jahren hat am Mittwochab­end erstmals wieder ein österreich­ischer Bundeskanz­ler das Kleinwalse­rtal besucht. Doch für Sebastian Kurz (links) könnte der Trubel um seinen Besuch unangenehm­e Folgen haben.

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